Sialorrhoe in Folge einer fast ganz vicari irenden Ausscheidung des Quecksilbers durch die Speicheldrüsen. Von Dr. LUDWIG WEISS, NEW YORK. With Compliments of Dr. LUDWIG WEISS, 744 Lexington Avenue. Aus der New Yorker ,, Medicinischen Monatsschrift", April, 1890. Sialorrhoe in Folge einer fast ganz vicariirenden Ausscheidung des Quecksilbers durch die Speicheldrüsen. *) V*n Dr. LUDWIG WEISS, New York. Unter den vielgestaltigen Erscheinungen, welche die Einführung des Quecksilbers in den Organismus erzeugt, spielte von jeher die ver- mehrte Speichelabsonderung, Salivation, Ptyalismus, eine Haupt-, weil am meisten in die Augen fallende Rolle. Bevor die Fortschritte der Chemie es ermöglichten, das Metall mit der grössten Exactheit in den Se- und Excreten nachzuweisen, war es die vermehrte Absonderung oder der eingetretene Speichelfluss, welcher den ersten Anhaltspunkt über die Resorption des einverleibten Queck- silbers bot. Die in früheren Zeiten üblich gewesene übermässige Ver- wendung des Metalls hatte eben ihren Hauptgrund in der Annahme, dass nur eine ausserordentlich reichliche Salivation im Stande sei, das luetische Gift aus dem Organismus zu schaffen. Zu welch' schreck- lichem Quecksilbersiechthum diese Auffassung Anlass gab, davon gibt die Geschichte der Syphilistherapie nur zu viele unrühmliche Zeugnisse. Wir wissen jetzt, dass das Quecksilber, einmal resorbirt, alle Organe durch dringt und dass sich an dessen Ausscheidung alle ab- und aus- sondernden Organe betheiligen ; obwohl über einem der ersteren, wie wir bald sehen werden, die Meinungen noch abweichen. Ein mässiger Grad von Speichelfluss wird von den meisten Aerzten als ein nicht un- willkommenes Zeichen der stattgehabten Mercurresorption angesehen. Ja so lange als dieser die Breite des relativ Normalen um nicht zu Vieles überschreitet und als Begleiterscheinung eine nur leichte Auflockerung des Zahnfleisches hat, ist gegen dieses beliebte alte Wahrzeichen der Quecksilberresorption nichts Besonderes einzuwenden. Wirklich nöthig ist dessen Gegenwart aber nicht, und ein Ausbleiben des Speichelflusses noch kein Zeichen der nicht erfolgten Aufnahme des Mercurs. Der Nachweiss der Quecksilberverbindungen in den Faeces und in dem Harn sind die einzigen wissenschaftlich begründeten Kriterien der Re- sorption. Ein grosse Affinität scheint das Quecksilber für die parenchymatösen Drüsen zu haben. In der Leber ist es in grösster Menge und am längsten nachgewiesen worden. Besonders wenn es per os eingeführt worden ist. Das so eingeführte Quecksilber wird von dem Blutgefäss- system resorbirt, hat die Pfostader zu passiren, und wird so von der Leber länger zurückgehalten, während das subcutan Eingeführte die Leber *) Vorgetragen, in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York, am 7. April 1890. 2 nicht passiren muss und daher seine Wirkung eher entfaltet (Gärtner). Die Muskeln enthalten es am spärlichsten. Zwischen Beiden steht das Knochengewebe, welches das resorbirte Quecksilber in grosser Menge enthält. Das Endproduct, die Ausscheidung des Quecksilbers, in welcher Form es immer eingeführt worden sei, erfolgt als Quecksilberoxyd- albuminat. Die Faeces enthalten es als Schwefelverbindung. Die Ausscheidung des Metalles als solches ist, den Angaben älterer Au- toren entgegen, unwahrscheinlich. Es handelt sich in diesen Fällen um eine später erfolgte Reduction der Quecksilberverbindungen. Durch die von Schneider, Ludwig und Für bring er angegebenen Methoden und deren Modificationen durch Nega, Wolf und Schridde ist der Nachweis selbst kleinster Mengen des resorbirten Quecksilbers im Harn und den Faeces ermöglicht worden. Es ist jedenfalls über- raschend, dass der Nachweis des Quecksilbers im Speichel nur sehr selten vorgenommen wurde. Die Ausscheidung des Quecksilbers in einem Producte zu suchen, welches in erster Linie sichtbare Zeichen der Mercureinwirkung darbietet, liegt doch gewiss nahe. Es mag dies seine theilweise Erklärung darin finden, dass es wohl nur sehr schwer gelingen mag, eine für die chemische Analyse nothwendige Menge Speichels zu erhalten. Andererseits bietet die Untersuchung des Harnes und der Faeces die meisten Chancen für einen erfolgreichen Nachweis des Quecksilbers*). Unter den 201 von Vajda und Paschkis an der v. Sigmund'schen Klinik in Wien untersuchten Fällen wurde der Harn in 182 Fällen, der Speichel nur in 2 Fällen untersucht, und beide Male mit negativem Erfolge. Am meisten bestimmend jedoch wiegt der Umstand, dass die Mei- nungen über den Nachweis des Quecksilbers im Speichel noch immer getheilte sind. So haben Warnecke und Wright und Chemiker wie Schneider, kein Mercur im Speichel nachzuweisen vermocht. Andere wieder, wie Leh- man, geben dessen Vorkommen als ein constantes, Herrmann, Heller und Salkovelly als ein häufiges, an. Dem entgegen stehen wieder Befunde, die in aller jüngster Zeit von sehr verlässlichen Beobachtern gemacht wurden. So untersuchte Reder im Vereine mit Schneidert) alle Excrete von Kranken, denen zehn Tage hintereinander je j Grm. Sublimat verab- reicht wurde. Während bei diesen innerhalb vier Wochen mehr als 4 Grm. mit dem Stuhle abging, wurde im Speichel gar kein Quecksilber gefunden. - Es ist indess, Dank den sehr vervollkommneten Unter- suchungsmethoden als positiv anzunehmen, dass der Speichel mercu- rialisirter Individuen Quecksilber enthält. Allgemein wird jedoch zuge- geben, dass nur Spuren des einverleibten Metalles durch die Speichel- drüsen ausgeschieden werden. So sagt Welander |): . ... „In zwei bis *) Vajda und Paschkis: Ueber den Einfluss des Quecksilbers auf den Syphilisprocess. Wien, 1880. f) Wiener Med. Presse, 1889, No. 42, Pg. 1664, |) Recherches sur la absorption et sur l'elimination du Mercure dans l'orga- nisme humain. Annales de Dermat. et Syph., Paris, 1886, 2 s., VII. 412-417. 3 drei Fällen konnte ich im Speichel kein Quecksilber nachweisen, wäh- rend es in den Faeces und im Harn vorhanden war; so oft ich es aber im Speichel antraf, war es stets nur in kleiner Menge vorhanden. Wenn im- mer die Untersuchung grosse Mengen Speichels erwies, war gleichfalls eine intensive Stomatitis vorhanden. Ich schliesse mich der Ansicht Schmidt's an, dass den Speicheldrüsen bei der Eliminirung des Queck- silbers nur eine sehr nebensächliche Rolle zufällt." Einmal auf diesem Standpunkte angelangt, tritt an uns die Frage heran, unter welchen Bedingungen kommt Quecksilber sicher im Speichel vor. Nach Bockhardt *) entsteht die Mercurialstomatitis nicht in Folge mangelhafter Mundhygienie, sondern in Folge der Einwirkung des im Speichel enthaltenen Quecksilbers auf die ihrer Pflasterepithel- schicht verlustig gegangenen Schleimhaut der Mundhöhle. Nehmen wir diese sehr einleuchtende Erklärung für richtig an, so wird bei einem solchen Individuum eine reflectorische Speichelsecretion ausgelöst, und es entsteht eine reflectorischer Ptyalismus, hervorgerufen durch den Reiz der entzündeten Schleimhaut auf die Secretionsnerven der Speichel- drüsen. Diese Art Speichelfluss ist diejenige, welche in den meisten Fällen bei mercurialisirten Personen vorkommt. Nun gibt es - obschon in der kleinen Minderheit der Fälle - Individuen, bei denen trotz intacter Mundhöhlenschleimhaut sich Speichelfluss einstellt. Derselbe erreicht abei' nur selten einen so hohen Grad, wie der vorige. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass in diesem Falle eine directe Erregung der Secre- tionsnerven der Chorda-tympani, stattflndet. Es kann auch, da Ber- natski das Metall als solches an dem Ductus stenonianus fand, ein directer Einfluss des Quecksilbers auf die Speicheldrüsen angenommen werden. Diese Annahmen erklären nun ganz wohl die Bedingungen, unter welchen Speichelfluss eintreten kann, aber sie geben uns nui' man- gelhaften Aufschluss über die Thatsache, warum in einem Falle kein, in einem anderen Falle nur kleine Mengen von Quecksilber im Speichel nachgewiesen worden sind. Wir bewegen uns da in einer der ver- wickelsten Frage der Physiologie, nämlich der, der Secretionsanomalien. Die Speichelsecretion steht unter der Herrschaft von cerebro-spinalen Drüsennerven und der des Sympaticus. Beide führen Secretionsfasern. Ausserdem noch die ersteren Gefässerweiternde-, die letzteren Gefäss- verengernde Fasern. Dass es ein sog. Speichelcentrum in den moto- rischen Rindenfeldern (Theil der vierten Urwindung) gibt wie Bech- terew f) meint, wird von Külz-Eckhardt |) bestritten. Nach ihnen ruft die Reizung dieser Region an nichtcurarisirten Thieren nur Tetanus hervor, der dann erst durch eine Verkettung von Nervenerregung, Speichel- absonderung hervorruft. Die Literatur über diesen Gegenstand ist überaus dürftig, und es können bezüglich der Bedingungen, unter welchen Quecksilber durch *) Zur Aetiologie un d Behandlung der ulcerösen Mercurialstomatitis. Mo- natshefte für pract. Dermat., 1885, pag. 245, et sequ. f) Bechterew und Mislawski : Ueber den Einfluss der Hirnrinde auf die Speichelsecretion. Neurolog. Centralblatt, 1888, pag. 553. Eckhardt; Beiträge, VII, 199. 4 die Speicheldrüsen ausgeschieden wird, nur Vermuthungen angestellt werden. Alle Autoren sind darüber einig, dass die Hauptcanäle für die Ausscheidung, die Nieren und der Darm, resp. der Harn und die Faeces*) sind. In allen anderen Se- und Excreten (Schweiss, Milch) wurde das Quecksilber nur in Spuren nachgewiesen. Befremdlich bleibt es nur, dass dieses, selbst da wo massenhafter Speichelfluss stattflndet, entweder gar nicht oder nur in einer, zu der Secretion in keinem Verhältnisse stehenden kleinen Menge, ja nur in Spuren angetroffen wird. Es steht also die Quantität der Speichelsecretion in gar keinem Verhältniss zu der Quantität des ausgeschiedenen Quecksilbers. Wenn immer dasselbe im Speichel vorkommt, ist es wahrscheinlich nur vorhanden auf Kosten der Insufficienz anderer excretorischer Or- gane. Man ist angesichts des Umstandes, dass selbst hervor- ragende Chemiker das Quecksilber im Speichel entweder gar nicht, oder zu Zeiten und nur in geringen Mengen nachweisen konnten, zu der Annahme gedrängt, dass die Speicheldrüsen aus ihrer accesso- rischen Rolle, wie sie ihnen von Schmidt und Welander bei der Aus- scheidung des Quecksilbers zugetheilt wird, heraustreten, oder bei grösseren Mengen excernirten Quecksilbers herauszutreten bemüssigt sind. Es kann zugegeben werden, dass bei minimalem Quecksilber- gehalte im Speichel, die Nieren sich noch in ganz gesundem Zustande befinden mögen ; allein nach all dem was wir über die Ausscheidung des Quecksilbers im mercurialisirtem Individuum, und über die Wege durch die es ausgeschieden wird wissen, kann kein Zweifel darüber herrschen, dass dort wo durch den Speichel eine grosse Menge des Queck- silbers ausgeschieden wird, die Speicheldrüsen eine vicariirende Thätigkeit zu vollführen haben. Ein solcher Fall möge hier in Kürze mitgetheilt werden. S. N., 36 Jahre alt, Schreiner, verheirathet, hat 2 Kinder, wovon 1 an chronischen Hydrocephalus mit durch Abducensparese verursachten Schielen behaftet ist. Das andere leidet an epileptischen Krämpfen. Pat. acquirirte 1876 einen Schanker am Präputium, die entsprechende Narbe ist daselbst noch wahrnehmbar. Angeblich waren keine secun- dären Symptome vorhanden gewesen, und die Therapie soll sich damals auf das Nehmen von Pillen erstreckt haben. Pat. will bisher stets ge- sund gewesen sein. Im Juni 1887 machte er die Wahrnehmung, dass er bei der Arbeit leichter ermüdete als sonst. Es stellte sich Pelzigsein der Füsse ein. Gleichzeitig bildete sich eine leichte Coordinationsstörung der rechten Armmusculatur aus, die darin bestand, dass Pat. beim Nageln, den Nagelkopf mit der Hammerführenden rechten Hand nicht recht zu treffen vermochte und daneben schlug. Pat. reiste in der Idee, dass sein Zustand die Folge der hierzulande üblichen Ueberarbeitung sei, zur Erholung in's alte Vaterland, kehrte jedoch im October unge- bessert zurück. Zur selben Zeit kam er in meine Behandlung. Zu den eben geschilderten Symptomencomplex gesellten sich jetzt weit ernstere *) Bockhart, Welander, Suchow, Schuster, u. A. 5 Störungen des Intellects. Pat. ist partiell aphasisch, spricht lallend, lang gedehnt. Die Wortarticulation fällt ihm beschwerlich. Gleich- zeitig stellte sich erhebliche Gedächtnissschwäche ein. Pat. spricht öf- ters incoherent, wird ärgerlich und meint, dass er wohl wisse was er wolle, jedoch die rechten Worte nicht finden könne. Seine Schrift wird unleserlich. Dei' sonst ziemlich intelligente Patient lacht und weint ohne Ursache. Weiss nicht welchen Monat wir haben. Ist sehr auf- geregt, macht ungestüme Bewegungen, directes Silbenstolpern nicht vorhanden. Reaction der Pupillen normal. Das rechte Facialisgebiet ist leicht paretisch. Galvan. Erregbarkeit daselbst vermehrt. Zunge rechterseits etwas atrophirt und oscillirend. Kniephänomen normal. Es wird die Diagnose : Dementia paralytica incip. e lue, gestellt. Ord.: 30 Mercurial Inunctionen ä 2,0 nach der üblichen Methode. Vorerst zweckentsprechende Mundpflege. Die Einreibungen werden ohne Zwischenfall durchgeführt. Erst bei der 26. Einreibung bejaht Pat. freudig, die bis dahin öfters gestellte Frage, ob er salivire. Er schien darin, der noch von vielen Aerzten ge- theilten Ansicht über die Wichtigkeit des Speichelflusses zu huldigen. Bald genug sollte er darob unangenehm enttäuscht werden. Unterdess besserte sich der Zustand des Pat. zusehends. Er ver- mochte ohne Ermüdung zu arbeiten. Die Coordinationsstörung verlor sich, die Sprache, obwohl noch etwas schleppend, hörte sich nahezu normal an. Die Dementia wich, Gedankengang vernünftig. Die Inunc- tionskur schien ihr typisches Resultat erzielt zu haben. Da, inmitten der Freude, erschien der Speichelfluss als neidischer Störer. Gegen den unerbetenen Gast, der bei intakter Mundschleimhaut auftrat, wurden die gebräuchlichen Mittel, doch erfolglos angewandt. Unaufhaltsam und anschwellend wie ein Giessbach nach einem Gewitter, quoll der Speichel aus dem Munde. Bei der Arbeit, in der Ruhe, zu Hause wie auf der Strasse, Tag und Nacht war der Mund zum überlaufen voll und der Spucknapf wmrde dem Pat. das ersehnteste Möbelstück. Jetzt, im fünften Monate nach der Inunctionskur salivirt der Pat. wohl etwas weniger, aber immer noch ausserordentlich reichlich. Patient ist in Folge des bedeutenden Verlustes an Wasser, Eiweiss und organischen Bestandtheilen sehr geschwächt. Trotz subcutaner Atropinanwen- dung wird er wohl fortfahren, so lange zu saliviren, bis die letzte Spur des einverleibten Quecksilbers den Körper verlässt. Der eben erzählte Fall, meine Herren, beansprucht unser mehrfaches Interesse. Eine durch die Inunctionskur erfolgreich behandelte Spät- syphylis wird durch den schwächenden Einfluss einer abnorm grossen Speichelsecretion in Frage gestellt. Eine gegen Ende der Kur begin- nende mässige Salivation, geht trotz gesunder Mundhöhlenschleimhaut alsbald in eine Uebersecretion, in einen Ptyalismus über. In einer das ursprüngliche Krankheitsbild überschattenden Weise drängt sich die Secretionsanomalie in den Vordergrund. Während die Harnausschei- dung beinahe bis hart an die Grenze des physiologisch Zulässigen sinkt (etwa 1300 Cc. in 24 Stunden), die Darmfunction träge wird, weisen sonst, innerhalb bescheidener Grenzen functionirende Organe - die Speichel- 6 drüsen-eine abnorm grosse Thätigkeit auf, arbeiten gleichsam unter einem pathologischem Hochdruck, als dessen Resultat eine Sialorrhoe entsteht. Normaler Weise beträgt die Menge des in 24 Stunden secernirten Speichels etwa zwei bis drei Pints. In unserem Falle be- trug die Masse des in 12 Stunden ausgespeiten Speichels allein 2 Pints = 1000 Gramm. Es lag daher nahe, zu untersuchen, ob nicht vielleicht eine ungewohnt grosse Ausscheidung des Mercurs durch die Speicheldrüsen die Ursache für die Sialorrhoe abgibt. Zu diesem Behufe wurden drei ein halb Monate nach vollendeter Inunctionskur 520 Grm. Speichel gesammelt und davon 200 Grm. nach der Nega-Wolf-Schridde'schen Methode auf Quecksilber untersucht. Der Speichel stellte eine dünnflüssige, leicht trübe, geruchlose Flüssigkeit dar, welche in der Ruhe ein schleimiges Sediment absetzte. Reaction, sauer ; Spec. Gewicht bei 15° C. = 1,014. Es wurden 200 Cc. mit 1 Grm. Chlorkali und Salzsäure versetzt. Nacher folgter Klärung wurde die Flüssigkeit bis auf 100 Cc. abgedampft und Schwefelwasserstoff bis zur völligen Sättigung durchgeleitet. Nach zwölfstündigem Absetzen wurde abfiltrirt, Niederschlag und Filter in Acid. nitromuriat. gelöst, abgedampft und der fast trockene Rückstand in 50 Grm. destillirten Wassers aufgenommen. Nach Einführung der Lametta wurde die Flüssigkeit über Nacht auf dem Wasserbade der Amalgamirung über- lassen. Die gründlich mit Wasser, Alcohol und Aether gewaschene Lametta wurde im Hartglasrohr geglüht, entfernt und hernach metal- lisches Jod eingeführt, nach dessen Verdampfung sich im Rohre ein spärlicher, rothbrauner Beschlag von Quecksilberjodid in unregel- mässigen Flecken zeigte. Enttäuscht durch den sehr spärlichen Befund, wurde die übrig ge- bliebene, nicht untersuchte Portion näher betrachtet. Während vier Tagen hatte sich daselbst ein von der überstehenden Flüssigkeit scharf abgegrenztes, grau gefärbtes Sediment gebildet. Nach der obigen Methode untersucht, zeigte sich schon beim Einleiten des Schwefel- wasserstoffes der Niederschlag viel copiöser und dunkler gefärbt, als bei dem Präcipitiren des dünnflüssigen Speichels. Die Schlussreaction im unschmelzbaren Glasrohr ergab einen starken scharf ausgeprägten, etwa drei Mm. breiten rothen Ring von Jodquecksilber, an dem noch einzelne Tröpfchen reducirten metallischen Quecksilbers hingen. Ich übergebe Ihnen hiermit das Präparat zur Ansicht. Es wurde nun, um einen Einblick in die Ausscheidung des Queck- silbers durch den Harn, der kein Albumen enthält, zu gewinnen, 500Grm. desselben, der beschriebenen Methode gemäss, untersucht; öfters wiederholte Untersuchungen ergaben stets dasselbe Resultat von man- gelhafter Quecksilberausscheidung durch die Nieren. Das Ihnen hier vorgelegte Präparat lässt nur spärliche Mengen von Jodquecksilber sehen. Eine ähnliche Bewandtniss hat es mit dem dritten Präparat; es ent- stammt der Untersuchung von 500 Grm. Faeces auf Quecksilber. Auch hier sehen Sie nur spärliche Flecken von Jodquecksilber als Ergebniss dei' Schlussreaction erscheinen. 7 Es ist mir nicht gelungen, zu entscheiden, worin der Grund der man- gelhaften Ausscheidung des Quecksilbers durch die Nieren- und Darm- drüsen zu suchen ist. Vergleichen wir die drei Proben, wie sie eben vorliegen, miteinander, so sehen wir auf den ersten Blick, dass die grösste Menge Jodquecksilber aus dem Speichel stammt. Harn und Faeces ergeben, trotz der doppelt so grossen Masse des untersuchten Materials, nur kleine, gegen die der Speichelprobe nur verschwindend kleine Mengen. Man kann demnach je nach der Grösse des aus dem Harne oder den Excrementen - in meinem Falle aus dem Speichel - gewonnenen Jod- quecksilberringes auf die Menge des noch im Organismus circulirenden Quecksilbers schliessen *). Wir können diesen Erfahrungssatz unge- zwungen - weil folgerichtig - so erweitern, dass wir sagen: Die Grösse resp. die Menge des aus dem untersuchten Secrete gewonnenen Jodquecksilberringes ist proportional der in dem untersuchten Substrat enthaltenen Menge Quecksilbers. Es folgt hieraus von selbst, dass in unserem Falle von Sialorrhoe das Quecksilber, vermöge einer bisher noch nicht beobachteten, höchst gestei- gerten Thätigkeit der Speicheldrüsen, hauptsächlich durch den Speichel ausgeschieden wird, und das dieselben, indem sie eine vicariirende, stellvertretende Function ausüben, den Organismus von einer möglicher- weise deletär wirkenden temporären Remanenz des Quecksilbers befreien. *) Schuster : Die Syphilis, deren Wesen, Verlauf und Behandlung. Berlin, 1887, p. 54.