Zur Aetiologie der Unterleibs- brüche. TON Dr. W. FREUDENTHAL, NEW YOBK. Aus der "New Yorker Medizinischen Presse," Octobcr 1888. Aus der „New Yorker Medizinischen Presse," October, 1888. Zur Aetiologie der Unterleibsbrüche. Von Dr. W. Freudenthal, New York. Vortrag gehalten in der Sitzung der " Med. Chir. Ges. deutscher Aerzte von New York und Um- gegend" am i. October, 1888. Seit den ältesten Zeiten beschäftigen sich die Aerzte mit der Er- forschung und Behandlung der Erkrankungen des Respirations-Apparates, und doch hat man bis in die neueste Zeit den obersten Theil derselben : die Nase und den Nasenrachenraum fast vollständig äusser Acht ge- lassen. Man bedachte nicht, dass wenn die Nase pathologisch erkrankt wäre, auch der Larynx und die Lungen afficirt werden könnten ; man vergass, dass wenn der Anfangstheil einer Leitung schlecht sei die ganze Leitung darunter zu leiden hätte, bis endlich durch B. Fraenkel und VOLTOLTNI eine neue Aera -inaugurirt wurde, die bald so mächtigen Wiederhall, namentlich in Freiburg (Hack) und anderwärts fand, dass die beglückte ärztliche Welt bald eine Summe der schwersten Krankheiten von der Nase aus heilen zu können glaubte. Es häuften sich die Berichte über von der Nase ausgehende und mit ihr in Zusammenhang stehende Krankheiten, und es wurden so viele neue „Entdeckungen" namentlich in Betreff der sog. Reflexneurosen gemacht, dass fast zu viel des Guten auf diesem Gebiete geleistet wurde. Wenn ich es d e n n o c h im vorigen Jahre unternommen hatte, eine neue Krankheitsklasse-wenn auch nicht als Reflexneurose, sondern als Folge mechanischer Wirkung-von Verstopfungen der Nase abzuleiten, so geschah dies nach reiflicher Ueberlegung und in dem sicheren Glauben, dass ein grosser Theil solcher Patienten durch chirurgische Behandlung der Nase von den consecutiven Krankheiten geheilt, ja Manche sogar davor bewahrt werden können. Ich erlaube mir diese Frage von Neuem zu erörtern, da sich mir nachdem Erscheinen meiner ersten Arbeit : „Ueber den Zusam- menhang von chronischen Verstopfungen derNase etc., mit Unterleibsbrüchen"1) neue Gesichtspunkte aufge- drängt haben, die mir einer Besprechung nicht unwürdig zu sein scheinen. Wenn wir zunächst vom rein theoretischen Standpunkte aus diese Frage betrachten, so ist nichts leichter, als die Möglichkeit der i) „Monatsschrift für Ohrenheilkunde etc. " No. n und flgde., 1887, (ref. in No. 1. dieses Bandes der „Presse," Red.) 2 Entstehung einer Hernie von der Nase aus zu beweisen in demselben Sinne, wie sie schon längst von den Bronchien aus als erwiesen betrachtet wird. Der Husten drängt mit bedeutender Gewalt die Abdominalcon- tenta „gegen die an sich schon nicht sehr resistenten Stellen der Unter- bauchgegend, und es bilden sich in dieser Weise dem Zeitraum der Einwirkung und der individuellen Körperbeschaffenheit entsprechend, ein Bruchsack, sowie im weiteren Verlaufe eine Hernie aus." Es geschieht dies also, wie WERNHER und seine Schüler2) nachgewiesen haben, durch verstärkte und häufig vermehrte Anwendung des intra-abdominellen Druckes. Wenn wir bei normalen Verhältnissen die Nasensecrete entleeren, so ist der Druck gegen die Abdominaleingeweide so gering, dass er über- haupt nicht in Betracht kommt. Treten aber, wie dies nur zu häufig der Fall ist, pathologische Zustände ein, bilden sich Verstopfungen aus, die bald stärker, bald schwächer erscheinen, z. B. beim Retronasalkatarrh etc., so wird der Reiz die angehäuften Secrete zu entleeren, wachsen mit der zunehmenden und häufig wechselnden Unfähigkeit dies zu thun. Die expiratorischen Anstrengungen müssen demnach sehr stark werden, und den Hustenstössen ähnlich, zu denselben Hernien Veranlassung geben, wie diese. Sind nun diese Behauptungen richtig., dann müssen in den Län- dern, wo Nasenerkrankungen häufiger sind, auch die Unterleibsbrüche eine grössere Frequenz aufweisen. Dies sei aber, wie der hiesige "Medical Record''*'} behauptet, in Bezug auf Nord-Amerika, wo der Retronasalkatarrh bekanntlich eine so grosse Rolle spielt, nicht zu- treffend. Denn, so heisst es da, "Among 1,000 recruits for the Northern A r m y, 50 were rejected on account of hernia. In G e r - m a n y, the proportion of recruits rejected on account of hernia is 82 per 1,000; in France 65; in 11 a 1 y, a country that presumably does not suffer from excessive nasal or pharyngeal troubles, it is 76. We can hardly admit, therefore, that Dr. Freudenthal has proved his theory, though the observations which he made are of themselves valuable." Da diese Angaben nicht ganz correct sind, so will ich mir gestatten, dieselben nach den mir zugänglich gewesenen Quellen zu berichtigen. Was zunächst die Nord-Armee anbetrifft, so wurden nach dem officiellen Bericht4) von je 1,000 ausgehobenen Männern wegen einer Hernie zurückgewiesen : 2) Vergl. Balthasar Horn: Untersuchungen über das Entstehen von Hernien. Inaug. Diss. Giessen 1869 und Carl Riege: Ueber die Aetiol. der Leisten- und Schenkelbrüche. Inaug. Diss. Berlin. Vergl. neben vielen anderen ferner: A. Le Dentu in „Jaccoud's Nouveau Dictionaire" (Article Hernie): ,,Le plus grand nombre des hernies resulte des pressions exercees sur la mässe intestinale par les contractions repetees des muscles abdominaux, aidees de l'action de la pesanteur. " 3) May 19Ü1 1888, pag. 555. ■*) Statistics, Medical and Anthropological of the Provost-Marshal-General's Bureau etc., by J. H. Baxter, Washington, 1875. 3 Aus dem Staate Maine 31,3 " " " New Hampshire . 27,9 " " " Vermont 43,0 " " " Massachusetts 26,8 " " " Rhode Island ■ .24,8 " " " Connecticut 26,4 " " " New York 32,7 " " " New Jersey ....27,3 " " " Pennsylvania . 29,6 " " " Maryland .... . 34,0 " " " West Virginia 20,9 " " " Kentucky 29,7 " " " Delaware 26,2 " " " District of Columbia. 30,9 " " " Missouri 36,3 ' " Ohio 27,9 " " " Indiana 31,2 " " " Illinois 38,3 " " " Iowa 41,0 " " " Michigan 33,4 " " " Wisconsin 40,2 " " " Minnesota 54,2 Durchschnittlich 31,6. Wir ersehen hieraus, dass diese Zahlen wesentlich hinter der vom " Medical Record" angegebenen Durchschnittsziffer (50) Zurückbleiben. Jedoch muss ich, um Ihnen ein vollständiges Bild über diese Verhältnisse zu geben, Einiges aus dem Bericht von Dr. P. R. WAGENSELLER über den Staat Pennsylvania citiren, ein Bericht, der wohl auch auf andere Staaten seine Anwendung finden könnte. Es heisst darin 5): ,,Hernien sind in Wirklichkeit viel häufiger im District, und ihr Verhältniss pro 1,000 ist daher grösser, als in der obigen Statistik angegeben wurde. Viele Leute, welche daran litten, haben sich nicht ge- meldet, um nachher von den Elinreihungs - Listen gestrichen zu werden. Denn sie waren der festen Ueberzeugung, dass ihre Zurück- weisung sicher war, im Falle sie gezogen werden sollten. Andere wollten sich nicht einer Untersuchung unterziehen .... Die Statistik zeigt, dass Hernien unter Farmern und Arbeitern häufiger sind, als in irgend einer anderen Berufsklasse, wofür nur die Annahme übrig bleibt, dass anstrengende Arbeit, welche viel Muskelthätigkeit erfordert, die hauptsächlichste Entstehungsursache dafür abgibt." Während ich mich den letzten bisher gang und gäbe gewesenen Anschauungen nicht anschliessen kann und ihre Unrichtigkeit späterhin beweisen werde, muss ich doch den in Bezug auf die Häufigkeit der Hernien gemachten Angaben entschieden beipflichten. Demnach würde 5) Vol. I. pag. 333. 4 die oben gewonnene Durchschnittszahl 31,6 etwa die vom "Medical Record" angegebene Höhe (50) erreichen. Doch wie verhält es sich nun damit in Deutschland und den übrigen genannten Ländern ? Da in Deutschland keine officiellen Berichte hier- über veröffentlicht werden dürfen, so ist es mir leider unmöglich gewesen, etwas Genaues zu erfahren. Ich weiss auch nicht, woher der "Medical Record" seine Angaben hat. Doch dürfte es vielleicht von Interesse sein, die Aeusserung eines englischen Autors vom Jahre 1836 zu erfahren. In seiner Statistik der Hernien sagt Knox 6): „Wenn man die prä- disponirenden Ursachen kennen würde, so könnten Vermuthungen in Betreff der grösseren Empfänglichkeit eines Theils der Bevölkerung für Hernien angestellt werden . . . . " Er erwähnt sodann die deutschen Rekruten und fährt fort : „Die Anzahl der deutschen Rekruten, welche (in dem Jahre) untersucht wurden, betrug: 40,460. Davon wurden wegen Hernien zurückgewiesen: 360 oder weniger als 1%, und doch müssen diese Deutschen im Allgemeinen aus den niedrigeren und ärmeren Klassen ausgehoben sein .... Angenommen, dass ihre Frauen und Kinder in demselben Verhältniss gebrochen sind, was man nicht einmal vermuthen kann, so würden wir doch kaum 2% % für alle Alters- klassen haben. Dieser Durchschnitt steht in besonderem Contrast zu 7% für England, und noch mehr mit einem Durchschnitt, den ich aus den dreijährigen Resultaten der Aushebungs-Listen im französischen Heere berechnet habe, nämlich 1% für die ganze männliche Bevöl- kerung." Soweit Knox. Durch die besondere Liebenswürdigkeit der K. K. Statistischen Cen- tral-Commission in Wien, der ich hiermit öffentlich meinen verbindlich- sten Dank ausspreche, ist es mir aber ferner gelungen über die fraglichen Verhältnisse in Oesterreich, einem dem deutschen sehr verwandten Lande, Auskunft zu erhalten. Ich erlaube mir den Bericht auf Seite 157 und 158 wörtlich folgen zu lassen : Indem ich diese Daten genau so wie sie mir zugingen citirte, glaube ich darin den besten Beweis für meine Theorie erbracht zu haben. Es stellt sich demnach das Verhältniss der Brüche in Nord-Amerika, einem von Nasenerkrankungen sehr heimgesuchten Lande, zu Oesterreich, das viel weniger davon geplagt wird, wie 50:14. Mit anderen Worten: Die Hernien sind in den Vereinigten Staaten Mal so häufig, als in Oesterreich. Sollte ich mich bei dieser Berechnung eines Fehlers schuldig gemacht haben, so kann es nur der sein, dass ich die Anzahl der Hernien für Amerika noch zu gering veranschlagt habe. Denn nach den Angaben von Dr. DE Garmo, 7) eines in dieser Branche sehr erfahrenen Collegen, 6) Knox: Observations on the Statistics ofhernia etc., "Edinb. Med. and Surg. Journ.", Vol. XLVI. 1836. 7) DeGarmo: The Practical Treatment of Abnormal Hcrnia; N, Y. Med. Record, Aug. 11. 1883. 5 Tabelle i. Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung der Wehrpflichtigen in Oesterreich-Ungarn in den Jahren 1877-1886. (Nach dem militär- statistischen Jahrbuche.) Wehrpflichtige, welche wegen Erkrankung an Eingeweidevorlagerungen (Brüchen) zurückgestellt oder gelöscht wurden. Militär- T erritorialbezirk Von je icoo ärztlich Untersuchten waren wegen Erkrankung an Eingeweide- vorlagerungen (Brüchen) untauglich im Jahre 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 Wien 15-7 17-7 10.4 IO.I 14-4 9-0 14-5 14-7 6.8 16.0 16.1 7-8 15-2 13- 10.1 14- n-3 I3-2 15-2 15-7 8.8 12.7 13.6 10.6 12.9 9-7 10.2 13.6 !9.I 9.8 18.3 13-4 10.9 12.4 11.4 10.7 19.2 15-2 7-8 15.6 12.8 10.6 13-4 9.6 8.6 12.7 15-7 9-i 12.9 "•5 8.2 11.0 *3-1 7-5 23.6 23.8 14.2 10.0 17.8 18.7 19.8 14.2 14.4 19.0 17.6 18.3 12.2 I4.9 l8.1 22.8 13-4 i5-o 12.8 14-9 14.1 13-1 17-4 16.2 20.4 11.1 14.9 25-0 21.1 9 7 14.1 16.4 17.6 19.4 12.3 12.2 Graz Innsbruck Zara, Prag Josefstadt Brünn Lemberg Krakau Linz Triest Durchschnitt für die im Reichsrathe ver- tretenen Königreiche und Länder ..... ... 13-8 13-3 12.8 13-2 i3-i 11.5 18.1 17.0 15-2 16.8 Budapest 11.0 14-5 12.4 10.4 14-4 13-9 11.4 13.8 13.0 11.4 14.1 10.0 n-3 11.7 9-4 n-5 9-2 11.1 16.7 234 18.6 20.4 14.0 19.6 20.2 12.4 20.0 12.9 11.0 18.5 19.7 15-5 20.9 10.8 *4-3 18.5 15-8 >5-7 14.8 11.6 Pressburg Kaschau Temesvar Hermannstadt Agram Durchschnitt für die Länder der ungari- schen Krone 11.7 11.4 11.9 11.6 11.1 11.1 18.5 16.6 16.2 15-3 Durchschitt für die öster. -ungarische Mo- narchie 12.9 12.5 12.4 12.6 12.3 113 18.3 16.8 15-6 16.2 [Unter den Untersuchten sind nur solche zu verstehen, welche die als Minimalmaass vorge- schriebene Körperlänge von 1.554 Meter erreicht haben,] 6 Tabelle 2. Von je 1,000 ärztlich untersuchten Wehrpflichtigen mit der Körper- länge von 1.554 Meter aufwärts waren untauglich wegen Eingeweidevor- lagerungen (Brüchen): 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 Im Durch- schnitt Bei den Deutschen 16.5 15-5 14.1 20.3 12.7 17 3 15 5 11.0 23-4 20.4 16.7 " " Magyaren 8.0 10.4 8.4 10.2 11.1 23-1 22.2 15-2 16.7 13-8 13.9 '• " Cechen, Mähren und Slovaken 9-5 n-3 n-5 12 0 12.1 24.1 15 9 15.6 21.0 21.4 15-4 " " Polen IO. 1 8.4 9.8 7-i 8.1 11.4 >4-3 151 12.2 12.8 10.9 " " Ruthenen 13.8 11.8 »3-5 15.0 10.6 12.4 13-0 12.8 «3.3 8.0 12.4 " " 13-5 11.7 7-1 9-3 10.9 19-5 11.4 7-9 10.2 6.7 10.8 " " Rumänen 15.0 12.4 10.2 12.2 9.8 14.6 13-8 16.8 15.5 IO-5 I3-I Gesammt Durch schnitt für die letzen IO J ahre 14,0 sind in Nord-Amerika nicht weniger als 5 Millionen Menschen mit der einen oder andern Form von Unterleibsbrüchen behaftet-eine Summe, die wohl von keinem Lande der Welt erreicht werden dürfte. Ueber die Frequenz der Hernien in Frankreich und Italien konnte ich leider nichts erfahren. Ich glaube aber schon durch die angeführten Thatsachen den vom „Med. Record" postulirten Beweis erbracht zu haben, dass wirklich mit der Vermehrung der Nasenerkrankungen auch die Hernien zunehmen, und es bleibt jetzt noch übrig zu beweisen, dass es sich umgekehrt ganz analog verhalten muss, d.h., dass mit der Verminderung oder gänzlichen Abnahme der Nasenerkrankungen auch die Hernien in demselben Ver- hältnisse abnehmen müssen, so dass auch daraus hervorgeht, dass Her- nien wirklich von Nasenerkrankungen abhängig sind. Als eine der häufigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der Nasen- erkrankungen sind die Septumdeviationen zu betrachten. So fand Semeleder 8) unter 49 Schädeln nur 10 Mal das Septum gerade gestellt und Zuckerkandl 9) unter 370 Cranien nur 123 mit symmetrischer Scheidewand. Viel günstiger war jedoch das Verhältniss bei 103 Cranien s) Rhinoskopie, Leipzig, 1862. 9) Anatomie der Nasenhöhlen, Wien, 1882. 7 aussereuropäischer Völker, wo Zuckerkandl das Septum 68 Mal sym- metrisch und nur in 24 Fällen asymmetrisch gestellt vorfand. „Der Unterschied im Vergleiche mit dem Europäer," sagte er, „ist so eclatant, dass ich, trotzdem das Meteriale kein grosses genannt werden kann, zu dem Ausspruch berechtigt bin: Die symmetrische Stellung der Nasen- scheidewand komme bei den aussereuropäischen Völkern viel häufiger vor, als bei Europäern; und ganz ähnlich verhält sich die Nasenscheide- wand in Bezug auf eine andere Varietät (nämlich die Exostosen)." Unter 117 von Theile 10) untersuchten Schädeln war 88 Mal Ver- längerung des Septum vorhanden und nur 29 Mal fand sich ein vertical geradflächiges und zugleich symmetrisches Septum vor. Dennoch können seine Untersuchungen auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen, da dieselben nur präparirte Schädel betrafen, an denen fast ohne Ausnahme der Nasenscheidewandknorpel zu fehlen pflegt. MACKENZIE fand im Museum des Royal College of Surgeons unter 2152 Schädeln nicht weniger als 1657 mit unsymmetrischer Stellung des Septum und P. HEYMANN in Berlin n) unter 250 der Reihe nach unter- suchten Nasenkranken sogar 241 mit Deviatio septi behaftet. Von ganz besonderem Interesse ist für uns ein Artikel von D. Bryson Delavan12): „Zur Aetiologie der Septumdeviationen" betitelt. In dieser sehr beachtenswerthen Arbeit kommt Dr. DELAVAN zu folgenden Resultaten: 1. Bei den europäischen Völkern sind Deviationen des Septum fast in 50% aller Fälle, die zur Untersuchung gelangten, vorhanden. 2. Die grösste Prozentzahl weisen in Europa die Slaven und die Juden auf. 3. Unter 18 im Peabody Museum zu Cambridge, Mass., aufbewahr- ten und wohl erhaltenen Schädeln von alten Römern fand sich kaum ein Fall, wo das Septum gerade war, während in 7 Fällen die Verbiegung ganz ausserordentlich gross war. Im Gegensatz hierzu war es ihm schwer bei den Indianern Nord- Amerika's unter Hunderten von untersuchten Fällen eine Deviation zu entdecken. In den sehr wenigen Fällen, wo ihm dies gelang, war dieselbe auch nur äusserst gering Er kommt demnach zu dem Schluss, dass bei primitiven Völkern Deformitäten selten sind, während sie bei hochzivilisirten und in Luxus lebenden Völkern eine so starke Frequenz aufweisen, dass sie fast zur Regel werden. Als Ursache hiervon sieht er chronisch-catarrhalische Zustände an, welche bei hochzivilisirten Völ- kern nur zu häufig als Folge von mangelnder Hygieine und körperlicher Bewegung, Mund-Athmung u. s. w. zu entstehen pflegen. Auch E. C. Morgan, F. Donaldson jr. und J. N. Mackenzie haben niemals einen Fall gesehen, wo es nöthig gewesen wäre bei ,0) Beiträge zur Angiologie und Osteologie des Menschen. Zeit sehr. f. ration. Med.; Neue Folge, Bd. VI., 1855. n) Berl. klin. Wochenschr., No. 20 und 21, 1886. 12) On the Aetiology of Deflections of the Nasal Septum. N. V. Med. Journ.; No. 12, 1887. 8 Negern wegen Septumdeviationen zu operiren, obwohl sie Alle eine Menge dieser Leute in ihren resp. Kliniken gesehen haben. Wir können es demnach als erwiesen betrachten, dass wilde Völker- schaften gewöhnlich keine Septumdeviationen haben (sie haben natür- lich auch keinen Nasencatarrh etc.) und es fragt sich nun, was wissen wir von eventuell bei ihnen vorkommenden Hernien ? In dieser Beziehung sagt der schon des Oefteren citirte englische Autor Knox 13) folgendes: „Ich selber habe nie einen Fall von Hernie beobachtet bei einer unvermischten, dunkelfarbigen, wilden Race, wiewohl ich viele Tausende solcher Individuen gesehen habe Auf der anderen Seite bin ich mir wohl bewusst, dass Hernien häufig bei Mulatten sind." In ganz ähnlicher Weise äussert sich JOHN A. KlNGDON14): „Man behauptet, dassHernien selten sind bei unvermischten, dunkelfar- bigen, wilden Racen, häufig bei Mulatten. Indische Matrosen sollen selten dieser Krankheit unterworfen sein. So weit die Erfahrung des Autor's geht leiden Irländer verhältnissmässig selten an Hernien 15). Sehr wenige kamen zu der Gesellschaft um Hülfe während der letzten 4 Jahre. Juden jedoch scheinen dieser Krankheit sehr unterworfen zu sein." Letzteres ist ganz im Einklänge mit der von Delavan constatirten Thatsache der Häufigkeit von Septumdeviationen bei dieser Race. Aus der neuesten Zeit liegt aber noch ein autentischer Beweis vor, dass Indianer nicht an Hernien laboriren. Im letzten Bürgerkriege wurden hier 121 Indianer ausgehoben. Von diesen hatte kein Einziger eine Hernie, und keiner eine Erkrankung 16) der Nase! So geht also in Wirklichkeit hieraus hervor, dass auch da. wo die Nasenerkrankungen an Zahl abnehmen resp. verschwinden, auch die Hernien dementsprechend sich verhalten d. h. sehr selten oder gar nicht vorhanden sind. Zum Schluss der heutigen Betrachtung erübrigt es mir noch nachzu- weisen, dass es nicht die körperlich schwer arbeitenden Volksklassen sind, die speciell zu Unterleibsbrüchen disponiren -wie das noch viel- fach angenommen wird - sondern dass es gerade diejenigen Leute sind, deren Beschäftigung zugleich eine Disposition zu chronisch-catarrhali- schen Erkrankungen der oberen Luftwege schafft, also Leute, deren Beruf sie den grössten Theil ihres Lebens an geschlossene, schlecht ven- tilirte, oder mit den verschiedensten, reizenden Staubpartikelchen im- prägnirte Räume fesselt, oder aber auch solche, die von früher Kindheit an mit Catarrhen behaftet waren. 13) Loc. cit. pag. 78. 14) On the Causes of Hemia. Med.-Chir. Transactions. London, 1864. 18) Wenn die Irländer aber eine Zeit lang in den Vereinigten Staaten leben, dann acquiriren sie ebenso schnell, wie andere Menschenkinder auch ihre Nasenkatarrhe und-Hernien, was ich zur Genüge bei meinen Untersuchungen im Hospital for the Ruptured and Crippled erfahren habe. 16) Unter Erkrankungen der Nase versteht der Bericht des Provost-Marshal-General immer nur: Deformitäten der Nase, Verlust der Nase und Ozaena. 9 Zum Beweise dessen citire ich wieder KNOX, derselbe sagt17): „Die Einwohner des Cap's arbeiten niemals. So wenigstens schien es mir in Bezug auf die Farmer der nördlichen und östlichen Grenze, und Mr. B. hat die Trägheit der Colonisten als unglaublich und extrem geschildert. In dieser Beziehung handeln sie wie andere Menschen: Wenn keine Nothwendigkeit zur Arbeit vorliegt, vermeiden sie sie natür- lich und doch sollen sie viel an Hernien leiden." Der Autor erzählt sodann weiter, wie er bei einem Corps von etwa 900 Mann berittener Landmiliz, die sich aus allen Altersklassen zusammensetzte, als Arzt fungirt hätte. Zufällig entdeckte er bei einem dieser trägen und unthätigen Sol- daten eine Hernie. Als er denselben vom Dienst befreien wollte, bat ihn der betr. Commandeur dies ja nicht zu thun, da er dann mindestens aller Leute verlieren würde. So sehen wir, fährt Knox fort, ,,a fre- quency of hernia in araceof men, enjoying the greatest ease and comfort, almost without a parallel; but they are very much on horseback." Dass die Leute viel zu Pferde waren, kann ich nicht als eine Ursache ihrer Hernien ansehen. Denn einmal sind Hernien bei der Kavallerie überhaupt selten und ferner wiesen die oben erwähnten Indianer auch keine Hernien auf, und doch hatten sie sicherlich genug Bewegung auf ihren Pferden. Aber diese Soldaten befanden sich körperlich in demselben Zustande, wie die Krieger Hannibals, die in Capua überwintert hatten. Sie waren durch ihr Nichtsthun weniger resistenzfähig geworden; sie waren den Witterungseinflüssen nicht mehr gewachsen, und zogen sich jedenfalls häufig Catarrhe der oberen Luftwege zu, die in besonders hart- näckigen und langwierigen Fällen wiederum die Hernien herbeiführten. Dass aber sonst bei Soldaten, selbst bei den sehr angestrengten Armeen Hernien höchst selten sich entwickeln, beweisen unsere deut- schen Soldaten, die ja bekanntlich schwer genug ihr Kommisbrod ver- dienen müssen. Es wurden nämlich, wie mein Freund Dr. Max Einhorn so freund- lich war für mich in Berlin zusammenzustellen, wegen ausgebildeter Unterleibsbrüche für dienstunbrauchbar erklärt18): Jahr Garde- I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. Sa. 1874 42 16 14 18 25 10 i5 28 24 21 25 40 11 24 17 33° 1875 20 20 17 11 34 18 16 27 23 21 22 36 20 40 26 351 1876 83 29 21 43 36 46 49 37 4i 27 54 77 54 40 78 728 1877 59 44 27 43 33 38 48 39 36 37 35 64 57 32 46 632 1881-82 38 22 24 34 47 35 3° 39 33 29 ! 35 39 16 34 44 499 ARMEE-CORPS: n) Loc. cit. pag. 79. i&) Vergl. Stat. Sanitätsbericht über die kgl. preussische Armee; Berlin, 1880-84. 10 Es standen mir nur diese Jahrgänge zur Verfügung. Wir ersehen aber schon daraus, dass die Zahlen an und für sich sehr geringe sind, nämlich: Im Jahre 1874 von 15 Armee-Corps = etwa 330,000 Mann 330 Hernien = etwa I, °/ / 00 " " 1875 " " " = " 330,000 "351 " = " i,ooo6°/00 " " 1876 " " " = " 330,000 " 728 " = " 2,2 °/ / 00 " " 1877 " " " = " 330>°°o " 632 " == " 1,9 °/ / 00 " " 1881-82 " " " = " 330,000 " 499 " = " 0/ / 00 Durchschnittlich .. 1,05 pro IOOO. Dieses Verhältniss wird aber noch geringer, wenn man bedenkt, dass - falls ich richtig unterrichtet bin-die meisten dieser Hernien in der allerersten Dienstzeit entstanden sind, also Leute betrafen die höchst- wahrscheinlich mit einer Disposition zu Hernien eingestellt waren, bei denen demnach die körperlichen Anstrengungen nur eine Gelegenheits- ursache zur Entstehung der bereits vorgebildeten Hernien abgaben. Ausführliche Angaben über das Verhältniss von Hernien zur Beschäf- tigung enthält wiederum der Bericht des Provost-Marshal-General. Es heisst dort : Unter je 1,000 Untersuchungen wurden wegen Hernien abgewiesen : Agenten .... 73,3 Architecten . . . 47,6 Bäcker .... 90,1 Barbiere .... 79,4 Schankwärter . . . 85,2 Schmiede .... 63,0 Schiffer, (Boatmen) . . 35,3 Buchbinder . . . 72,0 Ziegelmacher, (Brick-makers) 30,0 Makler .... 69,6 Fleischer .... 76,3 Schreiner . . . . 71,8 Zimmerleute . . . 63,7 Fischer .... 47,4 Material-Waaren-Händler, (Grocers) .... 87,6 Schlosser .... 68,0 Sattler ..... 49,3 Hutmacher . . . 40,6 Gastwirthe . . . .101,5 Eisen-Arbeiter . . . 32,0 Goldarbeiter .... 62,9 Taglöhner, (Laborers) . 47,5 Advokaten . . . -50,5 Schnapswirthe und Händler, (Liquor Dealers) . . 42,8 Holzfäller, (Lumbermen) . 41,8 Maschinisten . . . 56,9 Fabrikanten .... 49,8 Maurer . . . . 65,6 Handwerker, (Mechanics) . 63,9 Kaufleute .... 82,0 Aerzte '66,3 Fuhrleute, (Carters & drivers) 49,7 Geistliche .... 47,7 Commis, (Clerks) . . . 48,3 Wagenmacher . . . 75,1 Köche ..... 73,5 Kupferschmiede . . . 32,7 Zahnärzte .... 79,0 Destillateure . . . 98,9 Apotheker .... 95,9 Redacteure . . . 95,8 Graveure, (Engravers) . 98,1 Ingenieure .... 60,8 Fabrik-Arbeiter . . 42,3 Farmer ..... 49,1 Heizer .... 40,8 Stuckatur-Arbeiter, (Plasterers) 43,6 Plumbers .... 53,5 Portiers .... 57,5 Drucker . . . . .41,4 Staatsbeamte, (Public Officers) 80,5 FLisenbahn-Angestellte, (Rail- road-men) . . . 47,9 Segelmacher . . . 63,3 Seeleute, Matrosen . . 39,5 Diener ..... 58,1 Schumacher . . . 43,5 Soldaten .... 28,8 Steinmetze, (Stone-Cutters) 44,2 Studenten .... 32,0 Schneider . . . .71,1 Lohgerber und Lederbereiter 29,4 11 Müller ..... 73,3 Bergleute, (Miners) . . 36,4 Musiker ..... 60,2 Pferdeknechte, (Hostlers) . 53,5 Maler ..... 50,9 Tapetenarbeiter, (Paper-makers, -hangers) . . . 75,7 Hausirer . . . .41,9 Lehrer ..... 56,6 Telegraphisten . . . 33,9 Klempner .... 66,6 Tabakshändler . . . 35,6 Tapezierer, (Upholsterers) . 98,3 Wächter .... 98,5 Photographen . . . 38,7 Andere Beschäftigungsarten 40,1 Wir sehen also, dass das kleinste Contingent hierzu gerade von Sol- daten gestellt wird, nämlich 28,8 per 1,000. Dann kommen die Gerber* Kupferschmiede, Studenten, Eisenarbeiter etc. Die letzteren weisen die sehr interessante Zahl 32 auf, während die Gastwirthe (Innkeepers), deren Beschäftigung im Verhältniss zu diesen doch eine äusserst leichte genannt werden kann, die höchste Zahl aufweisen, nämlich 101,5 per 1,000. Ebenso verhält es sich mit den Redacteuren, Graveuren u. s. w., die die Höhe von 95-98 per 1,000 erreichen, und körperlich doch lange nicht so angestrengt sind, als Soldaten, Kupferschmiede, Matrosen u. dergl. Lederbereiter zeigen die Zahl 29,4, während Lehrer fast die doppelte Höhe, nämlich 56,6 erreichen und Zahnärzte, die fast den ganzen Tag sich im Zimmer aufhalten, gar 79 zeigen. Ziegelmacher haben 30, Buch- binder 72 u. s. w. Kurz, es geht auch aus dieser Tabelle hervor, dass der alte Glaube, wonach anstrengende Arbeit, die viel Muskelthätigkeit erfordert, die hauptsächlichste Disposition zu Hernien abgibt, unrichtig ist, dass vielmehr noch andere Factoren hierbei im Spiele sein müssen. Diese Factoren glaube ich im Obigen des Näheren auseinandergesetzt zu haben. M. H. ! ich komme zum Schluss und möchte mich ausdrücklich dagegen verwahren, dass ich Nasenstenosen als einzige Ursache der stetig sich vermehrenden Hernien ansehe. Es gibt eine Menge anderer Ursachen, die ich als zu Recht bestehend anerkenne ; ich glaube aber auf Grundlage meiner Untersuchungen im Hospital for the Ruptur ed and Crippled von 500 mit Hernien behafteten Personen19), sowie den Unter- suchungen bei den etwa 70 Nasenkranken 20), und schliesslich auf Grund des heute Erörterten zu der Behauptung berechtigt zu sein, dass chro- nische Nasenverstopfungen ein wesentliches ätiologisches Moment in der Erzeugung von Hernien bedingen, dass also ein Connex zwischen diesen und den chronischen Verstopfungen der Nase besteht. 19) Es waren das nicht lauter Kinder, wie von anderer Seite behauptet wurde-alle Altersklassen waren vertreten. 20) Von den auf pag. 316 der „Monatsschx. f. Ohrenh. etc." 1887 genannten Kindern hat der mit No. 4 bezeichnete 7jährige Knabe vor 3 Monaten eine Hernie bekommen.