(Separatabdruck aus M. Schultze’s Archiv Bd. III. 1867). Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. Von y .Vax SchuiJtKe. 1 n den Angaben über die embryonale En t wi ck e 1 u n g d e r Stäbchen- und Zapfenschicht der Retina besteht eine Diffe- renz, welche mich veranlasst hat, diesen Vorgang einer wiederholten Beobachtung zu unterwerfen. Die Verschiedenheit ist eine nicht unwesentliche, eine Ausgleichung derselben mir aber um so wün- schenswerther, als meinen Angaben die eines so ausgezeichneten Beobachters wie Hensen gegenüberstehen. Wir differiren in fol- gender Hinsicht. Nach Hensen entstehen die Stäbchen und Zapfen mit dem Pigment zusammen aus dem äusseren Blatt der primären Augenblase, und verbinden sich nachträglich mit den aus dem inne- ren Blatt hervorgegangenen übrigen Retinaschichten. Meinen Beob- achtungen zufolge wachsen die fraglichen Gebilde aus dem inneren Blatt hervor dem Pigment entgegen und sonach in das äussere Blatt hinein. 1lensen’s Ansicht schliesst sich an diejenige von Huschke, Schüler und A. Müller1) an. welche das äussere Blatt der primitiven Augenblase zur Schicht der Stäbchen und Zapfen werden lassen, während die meinige mehr mit Rem ak’s Angabe übereinstimmt, welche jedoch darin abweicht, dass nach ihr die ganze Chorioides aus dem äusseren Blatt ihren Ursprung nimmt. Kolli- k e r und B a b u c h i n rectificirten dann später R e m a k’s Angabe dahin, dass von der Chorioides nur das sogenannte Pigmentepithel der primitiven Augenblase entstamme, was durch Hensen und mich bestätigt wurde, lieber die Entwicklung der Stäbchen und Zapfen stellte Kölliker keine Beobachtungen an, während Babuchin diese 1) Vergl. dieses Archiv Bd. II, p. 237 und Kölliker Entwickelungs- gesch. p. 284. 372 Max Schultze, Gebilde aus der äusseren Körnerschicht hervor und in das Pigment hineinwachsen lässt'), wie meine Beobachtungen bestätigen. Ich würde nach Publikation der Babuchin’schen Abbildung der Retina einer jungen Froschlarve (Würzburger naturwiss. Zeit- schrift Bd. IV, Taf. I, Fig. VII) und meiner zusammenhängenden Beobachtungsreihe betreffend die Entwickelung der Stäbchen und Zapfen beim bebrüteten Hühnchen (dieses Archiv Bd. II, p. 236 Taf. VIII und IX) die Angelegenheit für vorläufig erledigt halten2), wenn nicht Heusen ganz neuerlich in seinem Aufsätze «lieber den Bau des Schneckenauges etc.« (dieses Archiv Bd. II, p. 421 und 422) sich mit nicht zu unterschätzenden Gründen ausführlicher für die schon früher von ihm für wahrscheinlich erklärte Bildungsweise der Stäbchen- schicht ausgesprochen hätte, nach welcher die Stäbchen und Zapfen aus der gleichen embryonalen Grundlage wie das Pigment, welches sie später einscheidet, entstehen, also aus dem äusseren Blatt der primären Augenblase. Heu sen geht an diesem Orte auf Babu- chin’s Beobachtungen am Frosch nicht ein, die meinigen über das Hühnchen aber konnten ihm noch nicht bekannt sein, da sein Ma- nuskript vor der Ausgabe meiner Abhandlung abgesandt wurde. Dass ihn die letztere aber nicht überzeugt hat geht aus einer nach Kennt- nissnahme meines Aufsatzes von ihm der Correctur des seinigen hin- zugefügten Anmerkung (1. c. p. 422) hervor, welche lautet: »Auch den abweichenden Angaben von M. Schnitze gegenüber muss ich daran festhalten, dass die äusseren Glieder der Stäbchen sich aus den Pigmentzellen entwickeln.« Auf die Trennung von Innen- und Aussenglied bei der Ent- wickelung der Stäbchen ist bis jetzt Niemand eingegangen. Auch meine Darlegung des Entwickelungsganges der genannten Gebilde nimmt keine genügende Rücksicht auf die beim Erwachsenen so deutliche Grenzlinie zwischen beiden Theilen. Aus dem meines Er- achtens allerdings unwiderleglich von mir geführten Beweise, dass die erste Entstehung der Stäbchen vom inneren Blatte der primären Augenblase ausgehe, sowie aus Babuchin’s Angaben geht noch nicht mit Nothwendigkeit hervor, dass das ganze Stäbchen also 1) Vergl. dieses Archiv Bd. II, p. 244. 2) ,,Zur Entwickelungsgeschichte des Auges der Fische“ sind neuer- dings Beobachtungen von Schenk veröffentlicht worden (Sitzungsber. d. Academie zu Wien 1867), welche sich mit Rücksicht auf die Stäbchen und Zapfen an B abuchin und mich anschliessen, wie ich hier nachträglich hinzufüge. Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. 373 namentlich das Aussenglied desselben, dem gleichen Entwickelungs- modus folge. Wenn ich also die Frage nach der Entstehung des Innengliedes allerdings als erledigt betrachten muss, insofern es sich um die Bestimmung handelt, ob aus dem äusseren oder inneren Blatte der Augenblase, so muss ich die Berechtigung der Frage zugeben, ob nicht für das Aussenglied eine neue Complication hinzutrete, und ob nicht, wie Hensen will, das äussere Blatt die Aussenglie- der liefere. Viel Wahrscheinlichkeit möchte ich zwar dieser Com- plication nicht zusprechen, wenn auch die Verschiedenheiten in der Function zwischen Aussen- und Innenglied der Stäbchen möglichst gross wären. Denn Babuchin’s citirte Abbildung der Retina der Froschlarve zeigt die allmählige Zunahme der Länge der Stäbchen von der ora serrata bis zum Augenhintergrunde in continuirlicher Reihe, und an letzterem Orte sind die Stäbchen viel zu lang als dass nicht schon das Aussenglied einen erheblichen Theil derselben ausmachen müsste, wenn auch die Grenzlinie desselben gegen das Innenglied an der Zeichnung fehlt, welche sich an erhärteten Prä- paraten bekanntlich leicht verwischt. Und für das Huhn ist meine auf p. 242 und 243 Bd. II d. A. gegebene Darstellung der Ent- wickelung innerhalb der Zeit vom 18. bis 21. Tage der Art, dass auch kaum eine Aussicht bleibt die definitive Gestalt der Stäbchen und Zapfen anders als durch allmähliges Auswachsen zu erklären. Welche Schwierigkeiten endlich bietet, in Betracht des Entwicke- lungsmodus der Innenglieder aus der äusseren Körnerschicht und des späteren innigen Zusammenhanges von Innen- und Aussenglie- dern, die Annahme, dass die letzteren selbstständig in dem äusseren Blatt der primären Augenblase entständen und ein jedes sein Innen- glied fände, um mit demselben zusammenzuwachsen! Ich stellte also eine neue Reihe von Beobachtungen an und wählte zu denselben besonders Säugethiere, namentlich Katze und Kaninchen. Die Entwickelung der Stäbchen und Zapfen fällt in eine Zeit, in welcher die der übrigen Schichten der Retina schon weit vorgeschritten ist, speciell bei den genannten Thieren tritt sie erst nach der Geburt ein. Ich habe dies bisher unbekannte Verhal- ten, dass bei blindgebornen Säugethieren, wie Katze und Kaninchen die Retina bei der Geburt der Stäbchenschicht noch gänzlich erman- gelt, die Bildung derselben aber in den ersten Tagen nach der Ge- burt eintritt, bereits Bd. II dies. A. p. 246 beschrieben. Das Her- vorwachsen der Stäbchen geschieht, wie dort angegeben ist, ganz 374 Max Schultze, ähnlich wie beim Huhne auf der Oberfläche der m. limitans externa. Ich habe zunächst mit Rücksicht auf Hensen’s Angabe (dies. A. Bd. II, p. 422), dass man an erhärteten Augen neugeborener Kätz- chen eine radiär gestrichelte Masse als innerste Abtheilung der Pigmentzellen wahrnehmen könne, welche aus Stäbchen bestehe, die Augen einer Anzahl neugeborener und in den ersten Tagen nach der Geburt stehender Kätzchen und Kaninchen noch einmal genau durchmustert, indem ich die Retina und die meist an der Chorioides haften bleibende Pigmentschicht jede für sich von verschiedenen Ge- genden des Auges in Glaskörperflüssigkeit in situ und nach dem Zerzupfen mit sehr starken Vergrösserungen untersuchte. Ich muss hiernach meine erstgenannte Behauptung aufrecht erhalten, dass die neugeborenen genannten Thiere noch keine Stäbchen, weder auf der limitans externa noch in der Pigmentschicht besitzen. Die radiär streifige Masse, welche Hensen sah, kann also wohl nur auf einer streifigen Anordnung der Pigmentkörnchen im inneren Theile der Pigmentzellen hergerührt haben, wie eine solche in den späteren Pigmentscheiden vorkommt. Das erste Auftreten von Stäbchen beobachtete ich wie früher um den vierten Tag nach der Geburt, indem um diese Zeit sich deutlich kleine dichtstehende Höcker auf der bis dahin vollständig glatten limitans externa erheben. Meine grösste Aufmerksamkeit war nun auf das Erscheinen der Aussenglieder gerichtet. Am fünften bis sechsten Tage waren die Stäbchen als kurze blasse Stift- chen auf der limitans externa entwickelt. Bei mehreren derselben war eine glänzende äussere Partie von sehr geringer Länge zu be- merken, welche aus zwei oder drei Plättchen bestand, die ohne Zusatz von Iieagentien scharf begrenzt hervortraten. Unzweifelhaft hatte die Entwickelung der Aussenglieder eben begonnen, sie war aber noch nicht an allen Stäbchen sichtbar. Ich löste nun vorsich- tig grössere Lappen des an der Chorioides sitzenden, zum Theil farblosen Pigmenthäutchens ab und zerlegte dieselben durch Zer- zupfen mit Nadeln. Nirgends fand sich hier eine Spur stäbchen- artiger Gebilde. Um die Zeit des achten bis neunten Tages, kurz bevor und wenn die Augenlieder sich öffnen, stellen die Stäbchen immer noch sehr kurze, dünne Stiftchen dar von grosser Zartheit, denen die eigenthümliche Starrheit der pallisadenförmig nebeneinander stehenden Stäbe des erwachsenen Thieres gänzlich abgeht. Es sind wesent- Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. 375 lieh die Aussenglieder, welche in ihrer Entwickelung noch sehr zurückstehen. Dieselben boten um die gedachte Zeit an den Stellen, ♦ wo ich sie maass, die Länge von höchstens 4 Mik. und bestanden aus vier oder fünf Plättchen, deren Dicke ungefähr 0,8 Mik. betrug, also etwa mit derjenigen übereinstimmt, wie ich sie vom erwachsenen Meerschweinchen angegeben habe (dies. A. Bd. III, p. 228). Die Aussenglieder nehmen nach dieser Zeit an Länge und an Dicke bedeutend zu. Bei der noch nicht ganz erwachsenen Katze fand ich sie 17 Mik. lang. Die Dicke der Plättchen aber bleibt wesentlich dieselbe wie bei dem ersten Auftreten der Aussenglieder. Ganz analog verläuft die Entwickelung der Stäbchen beim Ka- ninchen. Am dritten Tage nach der Geburt sieht man die winzigen halbkugligen Hervorragungen auf der limitans externa, aus welchen die Stäbchen hervorgehen, am achten Tage sind dieselben zu feinen fadenförmigen Bildungen ausgewachsen, an denen immer, selbst in humor vitreus und sofort nach dem Tode Verbiegungen und unre- gelmässige Anschwellungen zu sehen sind, welche auf die äusserste Zartheit der jungen Stäbchen deuten. Die Aussenglieder sind durch ihren Glanz von den Innengliedern unterschieden und zeigen bei den ersten Graden eintretender Quellung sehr deutliche Plättchen - structur, durch welche sie sich von den Innengliedern scharf ab- setzen. Die Zahl der Plättchen beträgt in dieser Zeit vier bis sechs, während beim erwachsenen Thier auf eine Länge des Aussengliedes von 24 Mik. etwa 30 Plättchen kommen. Auch liier fand ich wie bei der Katze, dass die Dicke der Plättchen im Jugendzustande nicht merkbar differirt von derjenigen der Plättchen des ausgewachsenen Thieres. In dem Pigmentstratum, welches aus dem äusseren Blatte der Augenblase hervorgeht, habe ich auch beim Kaninchen nie eine Spur sich entwickelnder Stäbchen artiger Gebilde gesehen. Auch fiel mir auf, dass die jungen Aussenglieder so fest an den Innengliedern haften,, dass ein Abbrechen derselben, wie dies im erwachsenen Zu- stande so gewöhnlich die Folge mechanischer Insulten ist, nicht vorkommt, wenigstens von mir nie beobachtet wurde, wesshalb ich nie beim Zerzupfen der Retina so junger Kaninchen, wie ich sie oben beschrieb, in der umgebenden Flüssigkeit frei schwimmende Aussenglieder bemerkte. Dieser Umstand ist jedenfalls von hervor- ragender Wichtigkeit bei Beurtheilung der Frage nach dem Her- 376 Max Schultze, kommen der Aussenglieder. Wenn sie aus dem Pigmentstratum stammten und erst später eine Verbindung mit den Innengliedern eingingen, müsste man erwarten, dass anfänglich die Verbindung beider eine lockerere sei, während gerade das Umgekehrte stattfin- det, indem die leichte Trennbarkeit von Aussen- und Innengliedern, welche an jeder frischen Retina erwachsener Thiere sich vorfindet, erst während der späteren Entwickelung eintritt. Hiernach betrachte ich die Frage nach dem Herkommen der Aussenglieder für entschieden, Alles spricht dafür, dass sie durch eine allmählige Verlängerung der Innenglieder, somit durch Hervorsprossen aus dem inneren Blatt der primären Augen- blase ihren Ursprung nehmen. Mit Rücksicht auf die Entwickelung der Zapfen erweisen sich Katze und Kaninchen wenig günstig, da diese Elemente an Zahl und Grösse hier sehr zurücktreten. Ich habe daher die Beobach- tungen am Hühnchen aus der Zeit des 16. his 20. Tages der Bebrü- tung noch einmal wiederholt und dabei besondere Rücksicht auf das erste Auftreten der Aussenglieder genommen. Wie ich früher an- gegeben habe, bilden sich in den Zapfen, wenn sie bis auf eine ge- wisse Länge über die limitans externa hervorgewachsen sind, an ihrer Spitze kleine glänzende Kügelchen. Diese färben sich später roth und gelb und sind die bekannten farbigen Kugeln in der Spitze des Innengliedes. Zur Zeit ihrer ersten Entwickelung findet man viele Zapfen, über deren glänzende Kügelchen ein ausserordentlich kurzes konisches Spitzchen hinausragt. Ein bis zwei Tage später haben sich diese Spitzchen verdickt und verlängert und stellen die unverkennbaren Aussenglieder der Zapfen dar. Ihre Grösse ist immer noch sehr gering, wird aber einige Tage nach dem Auskrie- chen aus dem Ei schon bedeutend ansehnlicher angetroffen. Je- denfalls kann kein Zweifel darüber herrschen, dass die winzig kleinen Anfänge der Zapfenaussenglieder in Verbindung mit den Innenglie- dern entstehen, und dass sie sich in dieser Verbindung allmählig vergrössern. Es ist hiernach sicherlich kein Grund vorhanden, die Bildung derselben auf eine andere Weise zu erklären als die der Stäbchen-Aussenglieder, nämlich in unmittelbarer Abhängigkeit vom Innengliede. Die innigere Verbindung, in welcher oft schon am Tage des Auskriechens bei Hühnern die Pigmentschicht mit der Stäbchen- und Zapfenschicht steht, ist erst die Folge des Ineinanderwachsens beider Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. 377 Schichten, durch welches die Stäbchen und Zapfen der Art einge- sclieidet werden, dass später nicht nur die ganzen Aussenglieder, sondern selbst noch ein Abschnitt der Inuenglieder von Pigment umhüllt ist. So betheiligt sich die Pigmentschicht allerdings in gewisser Weise an der Bildung der Stäbchen- und Zapfenschicht, insofern nämlich beide zu einer physiologisch untrennbaren Einheit zusammenwachsen. Aber in einer genetischen Abhängigkeit von einander stehen sie streng genommen nicht, Das Pigment ist ein Tlieil der Retina, insofern es aus der primären Augenblase hervor- geht und functioneil zu den Stäbchen und Zapfen gehört. Aber die Verschiedenheit ist nicht zu unterschätzen, dass letztere aus dem inneren, die nervösen Elemente der Retina liefernden Blatte ihren Ursprung nehmen, ersteres aus dem äusseren Blatte der pri- mären Augenblase entsteht. So zwingend daher auch die Gründe sind in der Nomenclatur der Augenhäute die Veränderung einzuführen, die Pigmentschicht von der Chorioides zu trennen, worauf ich, Babuchin und Hensen aufmerksam gemacht haben: so wenig ist damit die NothWendigkeit gegeben das Pigment als eine Schicht der Retina im engeren Sinne aufzuführen. Ist die primäre Augenblase auch ursprünglich ein untrennbares Ganzes, so sondert sie sich doch sehr früh in zwei in der weiteren Entwickelung durchaus verschiedene Blätter. Nur im inneren erhalten sich nervöse Elemente, dieses bildet die Retina in dem bisher gebräuchlichen Sinne. Das äussere Blatt geht seine be- sondere Metamorphose ein und wird zu einer Schicht von Pigment- zellen. In diese wachsen nachträglich die Stäbchen und Zapfen hinein. Die Entstehung der Chorioides ist durchaus unabhängig von dieser Pigmentschicht. Diese Sätze zu Grunde gelegt, gehört un- zweifelhaft die Pigmentschicht mehr zur Retina als zur Chorioides. Aber es ist auch nichts dagegen einzuwenden bei Herzählung der Schichten die Pigmentschicht coordinirt als besondere Schicht zwi- schen Chorioides und Retina aufzuführen, eine Nomenclatur, welche dem Hergebrachten gegenüber am wenigsten Anstoss erregen dürfte. Wollte man aber die Verhältnisse der Nervenhaut des Auges der wirbellosen Thiere mit in Vergleichung ziehen, wie dies Hensen in der anregenden tabellarischen Uebersicht über die Theile der Augen aller Thierclassen (Bd. II dies. Archiv p. 424) gethan hat, so werden wir allerdings unweigerlich gezwungen, das Pigment ganz der Retina einzuverleiben. M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 3. 378 Max Schultze, Es bringt mich dies auf andere die Nomenclatur der Retina- schichten betreffende Differenzen, zumal auf Heul e’s neuesten Jahres- bericht, in welchem der Verfasser seine Vorschläge zu Abänderungen der bestehenden Nomenclatur vertheidigt, zu deren Annahme ich mich nicht entschlossen konnte. Es ist immer ein eigen Ding mit der Einführung neuer Namen gegenüber alten Gewohnheiten. Con- servativ zu sein, ist ein zu häufiger Fehler des reiferen Alters, als dass er nicht auf Entschuldigung oder milde Beurtheilung Anspruch erheben dürfte, und ich muss gestehen, dass ich schon desshalb und weil unleugbar die Nomenclatur der Retinaschichten von dem ver- storbenen H. Müller mit viel Geschick festgestellt worden, auf eine weniger animose Entgegnung rechnete. Es mag sein, dass auch der «Geschmack« dabei in Betracht kommt (Henle p. 128), jeden- falls widersprach es dem meinigen und wäre geschmacklos gewesen, wenn ich, der ich den nervösen Character der Stäbchen und Zapfen sowie der mit ihnen zusammenhängenden Fasern und Zellen der äusseren Körnerschicht gegen Henle nachwies, eben diese nervösen Elemente einer inneren »nervösen Schicht Heule« als »musivische Henle« hätte gegenüberstellen wollen. Ich sehe in dieser von Henle vorgeschlagenen Eiutheilung der Retinaschichten in zwei Gruppen unter den angeführten Namen keinerlei Vortheil, dagegen viel Veranlassung zu Missverständnissen. Dies ist ohne viele Worte verständlich, denn es handelt sich nicht um die Rechtfertigung des Namens »musivische Schicht« wie Henle glauben machen möchte, indem er als Präcedenzfall zu seinen Gun- sten das ebenfalls Nervenelemente bergende »Corti’sche Organ« anführt, sondern um den factisch nicht existirenden Gegensatz der musivischen zu einer »eigentlich nervösen Schicht.« Henle will auch, wie er sagt, »die Stäbchen und deren Adnexa nicht aus der Reihe der zum Nervensystem gehörigen Gebilde ausgeschieden« sehen, dennoch vermisst er scherzhaft grollend an meiner Schilderung der- selben »das Einzige was für deren nervöse Natur Sicherheit gewäh- ren könnte, den Zusammenhang mit dunkelrandigen Nervenfasern« (p. 128). In der Tliat eine hübsche Aufgabe und würdig den zwölf herkulischen an die Seite gestellt zu werden, eine Stäbchenfaser auf ihrem langen Wege durch Faserschichten und Ganglienzellen bis in den Stamm des Nervus opticus zu verfolgen, wo bekanntlich erst markhaltige Fasern zu finden sind! Dass ich den Namen Zwischenkörnerschicht, wie sie H. Müller Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. 379 ausserordentlich klar für Fische, Amphibien, Vögel und Säugethiere bezeichnet hat, nicht durch den Henle’schen der äusseren granu- lirten Schicht ersetzte, bedarf um so weniger einer Rechtfertigung, als ich nachwies, dass die Unregelmässigkeiten, welche nach H. Müller diese Schicht beim Menschen zeigen sollte, nicht existi- ren. Das einzige Missverständnis, welches bei Benutzung dieses Namens stören könnte, ist durch meine Auseinandersetzungen über das Verhalten der äusseren Körnerschichte in der Gegend der Ma- cula lutea beim Menschen gelöst. Danach ist jetzt Zwischenkörner- schicht und äussere granulirte Schicht Henle synonym. Warum aber Henle aus meinen Abbildungen Taf. XIII, Fig. 1, 2 und 3 auf eine gewisse Unsicherheit meiner Kenntniss der Zwischenkörner- schichte in der Gegend der Macula lutea schliesst (Jahresber. p. 130), ist mir unverständlich geblieben. Henle behauptet die Zwischen- körnerschicht fehle in jener Fig. 1. Ich sehe sie in allen durch meine Hände gegangenen Abdrücken der betreffenden Tafel mit voller Deutlichkeit und ganz übereinstimmend mit dem, was ich überall von dieser Schicht ausgesagt habe, und mit demselben Buchstaben d bezeichnet, der ihr auf allen meinen sieben Tafeln zuertheilt worden, so dass also kein Missverständniss denkbar blieb. Und an Fig. 2 und 3 der betreffenden Tafel sei sie «nur durch einen schmalen Streifen angedeutet, auf welchen in der Figuren-Erklärung nicht Bezug ge- nommen ist.« Der schmale Streifen ist in der Ordnung, denn die Schicht ist «schmal,« mit dem Buchstaben d, welcher überall nur der Zwischenkörnerschicht reservirt wurde, ist sie in beiden Figuren be- zeichnet, und in der Erklärung zu Taf. XIII Fig. 2 steht «Buchstaben wie vorhin,« bei Fig. 3 aber ausdrücklich «d Zwischenkörnerschicht.« Wie reimt sich das zusammen V! Henle fährt fort (p. 130): «So- dann, und dies ist eine wesentliche Differenz, zeigt meine Abbildung (Eingeweidelehre Fig. 575) die kegelförmigen Körperchen an der äusseren Fläche der äusseren Faserschichte, während sie nach Schultze’s Darstellung an der inneren Fläche derselben liegen müssten. Schnitze nennt meine Darstellung «unvollständig und irrthümlich.« Indessen das Präparat, nach welchem die erwähnte Figur gezeichnet ist, existirt und liegt zu Jedermanns Ansicht bereit. Man mag dem Alcohol nachsagen, was man will, so wird man nicht behaupten dürfen, dass er die Reihenfolge der Schichten umkehre; vielmehr besteht vielleicht darin ein Vorzug der Durchschnitte von Alcoholpräparaten, dass sie, weil sie ein Zerfallen und Zerzupfen 380 Max Schnitze, nur schwer gestatten, die relative Lage der Theile sichern.« Die wesentliche Differenz besteht in Folgendem. Meiner Darstellung zu- folge, welche besonders durch die Figuren 1—4 auf Taf. X erläu- tert wird, enden allgemein die Zapfenfasern an der der Chorioides zugewaudten, also mit Rücksicht auf den Bulbus äusseren Grenze der Zwischenkörnerschicht mit den schon von H. Müller gesehenen, von Henle genauer beschriebenen kegelförmigen Körperchen, aus deren Basis Fäserchen hervorgehen, die sich der flächenhaften Fa- serung der Zwischenkörnerschicht beimischen. Dies gilt für die peripherischen wie centralen Theile der Retina, und wird nicht ge- stört durch die an der Macula lutea auftretende, von der rein radia- len Richtung abweichende Lagerung der Zapfen- und Stäbchenfasern. Ob diese letzteren länger werden, und aus der radialen Richtung in eine schiefe übergehen (Fig. 3 und 4 Taf. X), oder gar, wie bei schwächerer Vergrösserung Fig. 1 auf Taf. XIII zeigt, eine kurze Strecke der Fläche der Retina parallel laufen, bedingt keine Aus- nahme von dem geschilderten Verhalten. Ich habe dies durch eine ausführliche Schilderung einer Reihe von Uebergangsstadien und Präparaten überzeugend nachgewiesen. Es haftet auch nicht die geringste Unwahrscheinlichkeit, physiologische oder anatomische Schwierigkeit an diesen Verhalten, durch welche die Glaubwürdigkeit von theoretischer Seite her beeinträchtigt würde. Auch Henle’s Abbildungen Fig. 512, 513 und namentlich 514, an welchen die be- treffende Faserschicht mit f bezeichnet ist (die äussere Faserschicht Henle’s), schliessen sich derselben eng an. Im Widerspruch mit meinen Beobachtungen und unvereinbar mit llenle’s eben citirten Figuren steht dagegen seine Fig. 515 (nicht 575, welche zum Ge- hörorgan gehört). An dieser sind die besprochenen kegelförmigen Zapfenfaserenden an die äussere Grenze der an der Macula lutea horizontal verlaufenden Zapfenfaserschicht (äussere Faserschicht Hen- le’s), also plötzlich eine Etage höher verlegt. Es ist nicht meine Sache zu untersuchen, wie Henle zu dieser mit allen meinen Beob- achtungen und zum Theil auch mit seinen übrigen Figuren nicht übereinstimmenden Abbildung gekommen ist. Ich bin über dieselbe mit wenig Aufheben hinweggegangen, und linde darin Schonung und Rücksicht, wie ich sie einem altverdienten Forscher wie Henle, auch wenn er irrte, bisher stets gezollt zu haben glaube. Was thut Heul e. Er stellt den Sachverhalt nicht richtig dar, wenn er sagt, ich verlege die kegelförmigen Zapfenfaserenden, die sich an der Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. 381 äusseren Fläche seiner äusseren Faserschicht befänden, an die innere Fläche dieser Schichte, und beschriebe so gewissermaassen das Spie- gelbild der Henle’schen Fig. 515, als wenn »der Alcoliol,« dessen He nie sich zur Erhärtung seiuer Präparate bediente, wenn meine Darstellung zu Grunde gelegt wird, die ganz unmögliche Neben- wirkung habe, die Reihenfolge der Schichten umzukehren. Ob Henle daun ein Recht oder nur einen Schein von Veranlassung hatte in die Worte auszubrechen (p. 130): »Ich werde Schultze’s Beispiel nicht folgen und habe mir nie gestattet eigene, geschweige denn fremde Beobachtungen, auf die von ihm beliebte Weise aus dem Wege zu schaffen« — das zu beurtheilen muss ich meinen Lesern überlassen, die mit mir mindestens darüber einig sein werden, dass zu solchen Beschuldigungen andere Grundlagen gehören als die hier von Henle gegen mich vorgebrachten. Auch Krause in Göttingen, vielleicht ermuntert durch den liebenswürdigen Ton des Henle’schen Jahresberichtes, hackt an mir herum *). Es scheint, dass ich ihn nicht oft genug citirt habe, und in der That, eine seiner Mittheilungen ist mir erst jetzt be- kannt geworden. Dieselbe bezieht sich auf die Netzhaut der Ei- dechse, und steht versteckt in einer Anmerkung seines im 20. Bande von Henle’s Zeitschrift für rationelle Medicin abgedruckten Auf- satzes »über die Endigung der Muskelnerven« (p. 7). Er erwähnt daselbst drei Arten von gefärbten Fetttropfen, welche die Zapfen der Eidechse besitzen sollen, orangerothe, gelbgrünliche und blass- blaue, und meint jetzt, dass dieser Nachweis mit Rücksicht auf die Farbenempfindung nach der Theorie von Young und Helm holt z nicht ohne Interesse sei. Meinen Beobachtungen zufolge kommen in der Netzhaut von Lacerta agilis und viridis nur verschiedene Modificationen von gelben Fetttropfen vor, von orange bis blass- gelb, aber weder von grün noch von blau habe ich je, weder bei den Eidechsen noch bei andern Thieren etwas gesehen, und von einer directen Beziehung der Farbe der Fetttropfen zu der Y o ung- Helmholtz’schen Theorie kann demnach nicht die Rede sein. Dass Krause behauptet, neben den Zapfen bei Eidechsen auch Stäb- chen gesehen zu haben »die etwas schwer zu sehen sind, woraus sich vielleicht erklärt, dass sie Max Schultze neuerdings nicht 1) Reichert und du Bois Reymond’s Archiv für Anatomie etc. 1867, p. 244. 382 Max Schultze, Bemerkungen über Bau und Entwickelung der Retina. hat finden können« ist mir auffallend, da mir der Unterschied von Stäbchen und Zapfen im Allgemeinen, wenn er auch manchmal »etwas schwer« zu sehen, ziemlich klar und mindestens ebenso klar geworden wie Krause. Uebrigens verspreche ich Krause, die nächste Eidechse noch einmal auf Stäbchen zu untersuchen und ihm von dem Resultat Nachricht zu geben. Dass aber selbst Krause Verwechselungen passiren können, zeigt der Schluss seiner Note. In diesem wundert er sich darüber, dass ich die Verbin- dung der Axenfaser des Innengliedes der Stäbchen beim Huhn mit dem linsenförmiger Körper am Ende des Innengliedes dieser Stäbchen nicht für eine »abgethane Sache« halte, und will mir »unnöthige Mühe« ersparen, indem er mich auf eine Abbildung in seinen Anatomischen Untersuchungen 1861, Taf. II, Fig. 6 auf- merksam macht, von welcher er fürchtet, sie möchte mir unbe- kannt geblieben sein, in welcher er in einem Zapfen vom Huhn eine Axenfaser in Zusammenhang mit einer Anschwellung abbildet, in der er meinen linsenförmigen Körper wieder zu erkennen glaubt. Der Hinweis auf seine Zapfen gegenüber meinen Ausführungen über Stäbchen ist um so auffallender, als ich bei derselben Behandlung, bei welcher ich in dem Stäbchen eine Faser sah, in den Zapfen ein ganzes Bündel von solchen erkannte, wie in Fig. 6 e, Taf. XIII dieses Bandes des Archivs abgebildet ist. Vielleicht wird jetzt Krause zugeben, dass weitere Untersuchungen doch möglicher Weise der Wissenschaft noch einigen Vortheil bringen könnten. Jedenfalls, so fürchte ich, wird er es erleben müssen, dass ich mich durch seine Warnung nicht abschrecken lasse, dem feineren Bau der Stäbchen und Zapfen noch weiter nachzuspüren. Vorläufig möge er sich mit llensens eben erschienenen neuesten, diesen Gegenstand betref- fenden Mittheilungen begnügen und aus denselben entnehmen, dass Forschen besser ist als Raisonniren. 1) Yirchow’s Archiv Bd. XXXIX,‘ Heft 3, p. 475.