Auszug aus dem Monatsbericht der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 21.Febr. 1861. G^esammtSitzung der Akademie. Hr. du B d legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. A. v. Bezold über den Einflufs constanter gal- vanischer Ströme auf den zeitlichen Verlauf und die Leitung der Nervenerregung, d. d. Jena, 20. Januar 1861, vor. Die Thatsachen, welche ich vor einiger Zeit (November 1860) der Akademie mittheilte, waren nebst den eigenthümli- chen Veränderungen, welche die Erregbarkeit des Nerven durch den Einflufs constanter Ströme nach Pflüger erleidet, die Ver- anlassung für mich, in einer ausgedehnteren Versuchsreihe zu prüfen, ob und in welcher Weise die Geschwindigkeit, mit wel- cher Muskel und Nerv aus dem Zustande der Ruhe in den Zu- stand der Thatigkeit übergehen, und jene Geschwindigkeit, mit welcher der Nerv die Erregung von Querschnitt zu Querschnitt fortpflanzt, — ob und in welcher Weise diese Geschwindigkeiten durch die Einwirkung eines constanten galvanischen Stromes auf Nerv oder Muskel verändert werden. Ich habe zu diesem Behufe eine grofse Anzahl von mög- lichst genauen Zeitmessungen an einem von du Bois-Rey- mond modificirten Myographion angestellt. Ich bestimmte den zeitlichen Verlauf von Muskelzuckungen, welche erhalten wur- den durch directe Muskelerregung, während in einem Falle der Muskel von einem galvanischen Strome durchströmt wurde, im anderen Falle nicht, und verglich die Ergebnisse dieser beiden 269 Gesarnmtsitzuiig Versuche. Ich bestimmte ferner den zeitlichen Verlauf von Muskelzuckungen, welche durch directe Erregung des Muskels hervorgebracht wurden, während im ersten Falle der Nerv die- ses Muskels unter der Einwirkung eines constanten galvanischen Stromes stand, in dem zweiten Falle alle übrigen Bedingungen gleich waren, und der Nerv im normalen Zustande sich befand. Ich untersuchte ferner den zeitlichen Verlauf von partiellen Muskelzuckungen, welche durch partielle directe Erregung des Muskels erzeugt waren, während andere Stellen desselben Mus- kels entweder unter dem Einflüsse eines constanten galvanischen Stromes sich befanden oder nicht, und verglich die in beiden Fällen erhaltenen Resultate. Ich prüfte endlich mit der gröfsten bei diesen Versuchen erreichbaren Genauigkeit und Sorgfalt direkt die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Erregung in möglichst vielen Nervenstrecken eines normalen Nerven, und verglich hiermit die Fortpflanzungs- geschwindigkeit in denselben Nervenstrecken desselben Nerven, nachdem dieser Nerv ganz oder theilweise durch die Schliefsung eines in ihm strömenden möglichst constant erhaltenen elektri- schen Stromes polarisirt worden war. Bei allen diesen Versuchen dienten Ö ffnungsi nd uc - tionsschläge als Erregungsmittel. Indem ich die directe Auf- zählung der auf diese Weise am Myographion erhaltenen Erfolge übergehe, erlaube ich mir die Hauptresultate dieser Arbeit hier in einigen Sätzen niederzulegen. 1. Der zeitliche Verlauf der directen Erregung des Muskels wird dadurch, dafs ein constanter elektrischer Strom ent- weder durch die ganze Länge des Muskels, oder in einer der erregten Muskelstrecke benachbarten Strecke des Mus- kels fliefst, nicht verändert; ebensowenig tritt eine Verän- derung in diesem zeitlichen Verlaufe dadurch ein, dafs der Nerv des erregten Muskels in den polarisirten Zustand ver- setzt wird. 2. Es wird höchst wahrscheinlich der zeitliche Verlauf der Nervenerregung, soweit die unmittelbar gereizte Ner- venstrecke in Betracht kömmt, durch die Einwirkung eines constanten Stromes auf den Nerven, nicht geändert. vorn 21. Februar 1861 270 Bei 1. und 2. wird die Erregung durch Öffnungsinductions- schläge vorausgesetzt. 3. Die Fortpflanzung der Erregung im Nerven erleidet durch den Einflufs eines im Nerven fliefsenden galvanischen Stro- mes sehr bemerkenswerthe Veränderungen. Die Geschwin- digkeit der Erregungsleitung ist nämlich im elektrotonischen Nerven herabgesetzt, und zwar nach folgenden Ge- setzen. A. Untersucht man die Verzögerung, welche die Leitung der Erregung erfährt, in den extra polaren Strecken, so findet man, dafs von den beiden Polen des polarisirenden Stromes aus sich nach beiden Seiten des extrapolaren Nerven sofort nach Schliefsung des Stromes ein Zustand herabgesetzter Fortpflanzungsgeschwindigkeit ausbreitet. Diese Herabsetzung der Leitungsschnelligkeit wächst mit der Dauer und mit der Dichtigkeit des Stromes continuir- lich, und nimmt mit der Entfernung von beiden Polen nach aufsen continuirlich ab, so dafs die unmittelbar in der Gegend der Pole gelegenen Nervenstrecken die gröfste Verzögerung der Leitung zeigen, und von hier aus an- fangs sehr rasch, dann langsamer die Zuwachse, welche die normale Fortpflanzungszeit in den einzelnen kleinsten Nervenstrecken erfährt, abnehmen. Es zeigt sich hier- bei insbesondere bei der Anwendung schwacher Ströme sehr deutlich ein Uberwiegen des die Fortpflanzung ver- zögernden Einflusses in der Nachbarschaft des positiven Poles gegenüber dem negativen Pole, so zwar, dafs die absolute Gröfse der Verzögerung den die Leitung in einer von einem der Pole um eine bestimmte Länge ent- fernten Nervenstrecke erleidet, unter übrigens gleichen Umständen gröfser ausfällt, wenn dieser Pol der positive ist; und dafs bei gleicher Stromstärke und gleicher Zeit der Einwirkung des Stromes die Verzögerung der Erre- gungsleitung an einer von dem positiven Pole weit ent- fernten Nervenstrecke früher nachweisbar auftritt, als von einer gleich weit vom negativen Pole entfernten Ner- venstrecke. Je gröfser die Dichtigkeit des polarisirenden Stromes wird, desto mehr schwinden diese Unterschiede. 271 Gesarnrntsitzung vom 21. Februar 1861. B. Von den beiden Polen aus nimmt mit fortschreitender Entfernung von diesen Polen in der intrapolaren Strecke die Gröfse der durch einen bestimmten Strom erzeugten Verlangsamung der Erregungsleitung continuir- lich ab, und es ist (obschon ich dies nicht mit Bestimmt- heit sagen kann), als ob der durch Verlangsamung der Erregungsleitung charakterisirte Zustand in der Gegend des positiven Poles durch eine sehr kleine Strecke un- veränderten Nervs übergehe in jenen gleichfalls durch Verlangsamung der Erregungsfortpflanzung sich kund ge- benden Zustand in der Gegend und Nachbarschaft des negativen Poles. Wegen der Schwierigkeit der Untersuchung war mir nur möglich ein entschiedenes Sinken der Curve der Verzögerungen zwischen beiden Polen zu constatiren. 4. Bei fort und fort zunehmender Dichtigkeit des polarisiren- den Stromes wird die Verzögerung der Erregungsleitung allmählig zur Hemmung der Fortpflanzung, welche zuerst am positiven Pole auftritt, und erst später an dem Punkte des negativen Poles. 5. Innerhalb gewisser Grenzen erleiden schwache Erregungen während ihrer Leitung durch den Nerven, der sich im Zu- stand des Elektronus befindet, gröfsere Verzögerungen, als stärkere Erregungen. Hat die Erregung das Maximum der Muskelzuckung zur Folge, dann ist auch das Minimum der auf dem Wege durch den elektrotonisirten Nerven erlitte- nen Verzögerung erreicht. Für schwache Reize wird die Verzögerung demgemäfs leichter zur absoluten Hemmung, als für stärkere Erregungen. 6. Kalte Nerven (4°—5° C.) erleiden durch Einwirkung glei- cher Ströme gröfsere absolute Leitungsverzögerungen der Reizung, als wärmere (12°—15° C.). Bei den kalten Ner- ven geht jedoch die Verzögerung der Erregungsleitung schwieriger und später in die absolute Hemmung der Fort- pflanzung der Erregung über als bei wärmeren.