Aus dein l.V. Bde. (1. Sitzb. d. k. Akad. d. Wissensch. II. Abth. Jänn.-IIeft. Jahrg. 1867. Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen des Menschen. Von Dr. S. Stricker. (Vorgelegt in der Sitzung vom 17. Jänner 1867.) Die Beweise, welche ich für das Leben der Capillargefäßwände aufzubringen vermochte •), und die wenig befriedigenden Erfolge, welche sich nichtsdestoweniger hei den Reizversuchen derselben er- gaben, haben mich zu dem Entschlüsse geführt, die Reizbarkeit des betreffenden Protoplasma eingehend zu prüfen. Insofern die genannten Versuche nicht ganz resultatlos waren und mit Rücksicht darauf, daß die Blutkörperchen und die Capillargefäßwände genetisch zusammen- gehören, wählte ich zu einigen Grundversuchen die farblosen Körper- chen meines Blutes einmal der Bequemlichkeit wegen, und dann weil ich der Meinung war, daß mir eine spätere Studie am Krankenbette eine schwerwiegende Variation meiner Versuche gestatten könnte, sobald mir erweiterte Kenntnisse über das Leben der farblosen Zellen des normalen Blutes zu Gebote stehen werden. Alle folgenden Angaben beziehen sich auf Beobachtungen durch eino Hartnack’sche Tauchlinse Nr. 10. Für kurze Zeit stund mir auch eine Linse von Po well und Lealand zu Gebote. Ich habe durch diese Linse die Blutkörperchen viel größer gesehen, aber ich habe meine Kenntnisse dabei nicht bereichert. Ich habe vorerst nicht tiefer in den Bau der Zelle blicken können, als mir das mit Hilfe der Hart 11ack'sehen Tauchlinsen möglich war. Ich habe meine Untersuchungen bei der Zimmertemperatur und auf dem einfachen Objectträger mit dünnen Deckgläschen ausgeführt; nicht weil ich die verschiedenen ausgezeichneten Hilfsmittel als da sind, an feuchten Kammern, Wärmetisch, verschmähte, sondern weil ich bis jetzt über die allerersten Grundversuche nicht hinaus- i) Studien über den Bau und das Leben etc. Sitzungsb. Stricker. gekommen hin, Grundversuche, hei welchen der einfache Objectträger und das Deckglas ausreichten. Ich habe mich nur eines künstlichen Hilfsmittels bedient, und das bestund im Auswaschen des Präparates, oder im Wechseln der Concentration der Lösung, hei unverrücktem Objecte. Die farblosen Blutzellen setzen sich bekanntlich häufiger als die farbigen entweder am Objectträger oder am Deckglase fest. Bei einiger Vorsicht gelingt es deshalb die rothen Blutkörperchen fort- zuschwemmen, und ein oder mehrere farblose Zellen im Gesichtsfelde fixirt zu erhalten. Ist dies geschehen, dann kann man wieder mit einiger Vorsicht Strömungen verschiedener Flüssigkeiten nach ver- schiedenen Richtungen einleiten, und die Wirkung derselben auf die Blutzellen beobachten. Ein an eine Randstelle des Deckgläschens angelegter Fließ- papierstreifen, der nach Wunsch auch mit Lackmustinktur gefärbt sein kann, zieht die überschüssige Flüssigkeit allmälig ab, und be- werkstelligt somit einerseits einen allmäligen Wechsel des Mediums, in welchem die Zellen leben und beobachtet werden. Den Zufluß neuer Lösungen oder destillirten Wassers bewerk- stellige ich durch Glasröhrchen, welche beiderseits zu sehr dünnen Fäden ausgezogen sind. Solche etiquettirte Glasröhrchen als Reagens- träger gestatten es, sehr kleine Tropfen an den Rand des Deckgläs- chens zu bringen, und gestatten somit das vorsichtige Einleiten sehr geringer Strömungen, und eines vollständigen Wechsels der Flüssig- keit unter dem Deckglase. Wenn ich ein kleines Tröpfchen frisch aus meinem Finger ent- nommenen Blutes ohne Zusatz eindecke, unter das Mikroskop bringe und dann ein Tröpfchen Reagens in vorgedachter Weise zufließen lasse, dann schwemme ich mit Leichtigkeit die größte Masse rotlier Blutkörperchen fort, und es bleiben mir in dem Gesichtsfelde ein oder das andere farblose Körperchen zurück, welche nun Gegen- stand meiner Beobachtung werden. War die zugesetzte Flüssigkeit destillirtes Wasser, dann nehmen die farblosen Blutkörperchen nach wenigen Secunden die Kugelform an, und war das .zugesetzte Wasser nicht zu viel, ist nämlich das Blutserum nicht zu stark verdünnt worden, dann behalten sie auch Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. 3 einige Zeit hindurch die Kugelform bei. Setzt man nachträglich während das destillirte Wasser allmälig durch den Fließpapierstreifen abgezogen wird, eine einpercentige Kochsalzlösung zu, dann gehen die kugeligen Zellen ihre Kugelgestalt auf, verändern allmälig ihre Form, strecken Fortsätze aus, und ziehen sie wieder ein, kurz sie verhalten sich so, wie farblose Blutkörperchen sich im Blutserum zu verhalten pflegen. So lebhaft auch diese Veränderungen an jene Beobachtung erin- nert, welche Kühne an Amocba dif. während und nach der Einwir- kung von Inductionsschlägen gemacht hat, und wiewohl schon Max Schultz e die Ähnlichkeit der Wirkung elektrischer und chemischer Beize auf den Rhizopodenleib betont, so lassen sich solche Erfahrun- gen und Schlüsse für unseren Fall zunächst doch nicht anwenden, da die elektrischen Reizversuche an Blutkörperchen vorerst nicht gelingen, und dann weil wir uns einer eingebürgerten Theorie gegenüber befinden, welche eine ganz andere Deutung fordert. In dem Sinne der Histologen von früher müßte man sagen, die Blutkörperchen quellen im Wasser auf und schrumpfen in Kochsalz- lösung ein. Indem ich an eine Erörterung dieser Auffassung gehe, darf ich wohl hervorheben, daß es sich dabei gar nicht um die Frage handelt ob Diffusion oder nicht. Wie immer wir uns auch den Zellkörper vorstellen, müssen wir die Möglichkeit eines Diffusionsstromes in die Substanz oder in Räume des Zellkörpers hinein oder aus denselben heraus zugehen, sobald sich die Concentration des umgebenden Mediums und mithin der supponirte Gleichgewichtszustand ändert. Wenn man eine zur Kugelform gebrachte Zelle längere Zeit beobachtet, dann ergibt sich, daß sie die Kugelform nicht lange bei- behält. Sie platzt entweder nach einiger Zeit (ich gebrauche diesen Ausdruck unter Hinweis auf die Begründung, welche ihm Brücke [Bd. XLV, pag. 3 dieser Berichte] zu Theil werden ließ, indem er diese Erscheinung bei den Speichelkörperchen kennen lernte), und dann stößt sie ihren Inhalt aus, collabirt vollständig, und läßt, mit aller Bestimmtheit erkennen, daß ihr Leben zu Ende sei; das gebor- stene Körperchen verändert seine Form nicht mehr; es lösen sich allmälig Stücke ah; es zerfällt. Andere farblose Zellen platzen nicht, behalten aber auch die Kugelform nicht bei, sondern werden allmälig etwas abgeplattet; sie fangen an Fortsätze auszustrecken, ziehen Stricker, diese wieder ein, kurz sie verhalten sieh annäherungsweise so, als wenn man ihnen das Wasser durch Kochsalzlösung entzogen hätte, oder so als wenn man ihnen gar kein Wasser zugesetzt hätte. Unter der Annahme, daß ein farbloses Blutkörperchen an seiner Oberfläche durch eine erhärtete Schichte von dem umgebenden Me- dium abgegrenzt ist, ließe sich der Übergang zur Kugelform unter der Einwirkung des destillirten Wassers allerdings erklären. Es ließe sich auch denken, daß die Zelle nach einiger Zeit so viel Wasser aufgenommen habe, daß sie bersten muß. Eine ganz bestimmte Beobachtung lehrt mich aber, daß die kugelige Zelle eine Zeit hin- durch, etwa fünfzehn Minuten und darüber, ruhig in dem Medium liegen kann, um dann plötzlich und oft ohne sich zu vergrößern, zu bersten. Ein Bläschen, welches einmal längere Zeit in einem Me- dium liegt, ohne sich weiter zu vergrößern, sollte füglich nicht mehr zum Platzen kommen, zum Mindesten nicht wegen der fortgesetzten Diffusion, und ferner nicht ohne vorher größer zu werden. Und wie sollen wir es uns weiter erklären, wenn von zwei nebeneinander- liegenden und demselben Blute angehörenden Zellen, welche beide eine Zeit lang nebeneinander gleichförmig unter denselben Einflüssen leben, daß die eine von ihnen wegen fortgesetzter Diffusion zum Bersten kommt und die Andere nicht nur nicht berstet, sondern die Kugelgestalt aufgibt, Fortsätze aussendet, sich also offenbar in einem Zustande befindet, in den sie nur, durch eine der ersten entgegen- gesetzte Strömung gelangen kann. Wir sehen also, daß wir unter der erstgenannten Annahme, die Zelle wäre in der Kugelgestalt von festeren Grenzschichten umgeben, und die Kugelform sei lediglich das Besultat des Diffusions-Stromes, nicht ausreichen. Gehen wir nun an den zweiten unseren heutigen Vorstellungen mehr entsprechenden Fall, das ist, das farblose Blutkörperchen wäre von keiner festen Schichte umgeben, sagen wir, der Leib der farb- losen Blutzelle bestehe aus einem allenthalben gleichmäßig angeord- neten Stroma und die eingeleitete Diffusion beträfe entweder die organisirte Materie direct und bringe diese zur Quellung oder sie erfolgt in das System von Räumen, welche nach den Vorstellungen Brück es den Zellkörper durchsetzen. Wenn ich der letzteren Annahme huldigend den Zellkörper nach Art des Badeschwammes gebaut ansehen und den Übergang zur Kugelform auf Ursachen zu- Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. rückfiihren will, die auch für einen leblosen Körper gelten können, dann darf ich wohl auch die Erscheinung in Betracht ziehen, die eintritt, wenn ein solcher Körper zerrissen wird. Wenn ein voll- gesaugter Schwamm zerreißt, muß wohl jedes Stück für sich den durch die Ansaugung erlangten Zustand wenigstens annäherungs- weise beibehalten. Das ist bei unserem Blutkörperchen nicht der Fall; denn wie ich schon angeführt habe, collabirt dasselbe voll- ständig unmittelbar nachdem es geborsten. Nach denselben physi- kalischen Gesetzen, wie sich ein Schwamm ansaugt, kann also das Blutkörperchen nicht zur Kugel werden. Sollte sich ferner jemand zu der Annahme hinneigen, die Kugelgestalt des Blutkörperchens sei nicht durch Aufnahme von Wasser in die Maschenräume, sondern durch eine Einlagerung zwischen die Molekel, durch eine Quellung der Substanz des Blutkörperchens selbst hervorgerufen, dann müßten wieder hei einer Zerreißung der Zelle die Theilproducte in dem ge- quollenen Zustande verharren oder ihn doch nicht so vollends auf- gehen, wie es thatsächlich der Fall ist; ein gequollener Körper wird endlich seinen Quellungszustand nicht aufgeben, so lange, als die Concentration der Losung und die Temperatur sich nicht merklich ändern. Das trifft aber bei dem farblosen Blutkörperchen nicht zu und es ist ohneweiters klar, daß wir der letzteren Annahme in keiner Weise beipflichten können. Wenn ich meine eigenen Blutkörperchen der oben hezeichneten Einwirkung des destillirten Wassers aussetze, dann tritt hei einer Anzahl von ihnen eine mehr oder weniger lebhafte Schwingung der Körnchen ein, welche in dem Zellenieibe eingebettet sind. Sobald ich das Wasser durch die einpercentige Kochsalzlösung ersetze, wird diese Schwingung wieder sistirt. Es ist bekanntlich schon von Brücke darauf hingewiesen worden, daß die sogenannte Molecular- Schwingung in den Speichelkörperchen eine Erscheinung sei, welche mit dem Lehen des Zellenleibes in Zusammenhang gebracht werden könne. In neuester Zeit hat Böttcher diese Ansicht wieder in Zweifel gezogen; er hat gegen die eben genannte Anschauung Briicke’s einen anscheinend schlagenden Einwand erhoben. Er sagt nämlich die aus einem geplatzten Speichelkörperchen aus- tretenden Körnchen hören nur dann zu schwingen auf, wenn das umgebende Medium zu zähe ist, um die Schwingung zu gestatten; sie schwingen aber fort, wenn der Zustand des Mediums eine Stricker. Molecular-Schwingung überhaupt zuläßt. Ich kann dagegen aufs Bestimmteste versichern, daß die Körnchen, welche aus geplatz- ten Blutkörperchen in destillirtes Wasser hinaustreten, gleichfalls an Schwingungsgeschwindigkeit einbüßen oder zu schwingen auf- hören. Genaue Beobachtungen der Molecular - Schwingung an Embryonalzellen und namentlich nach Zusatz von sehr verdünnten Lösungen oder gar destillirten Wassers, ließen mich nicht einen Augenblick in Zweifel, daß die Schwingungen innerhalb derselben von dem Leben des Zellenleibes nicht unabhängig seien. Ich habe an einer Anzahl von Pigmentzellen junger Krötenembryonen nicht nur ein so lebhaftes Schwingen der Körnchen hervorgerufen, wie man sie frei in der Flüssigkeit kaum jemals wieder findet, sondern ich habe eine doppelte Bewegung, und zwar in ganz ausgesprochener Weise beobachtet; einmal kreisten die Körnchen in den Zellen herum, und daun hielten sie während ihres Umlaufes ihre schwingende Bewegung bei. Einen weitern Beweis dafür, daß die Körnchen - Schwin- gung mit dem Leben des Zellenleibes im Zusammenhänge stehe, suche ich darin, daß sie, unmittelbar vor dem Bersten der Zelle eine außerordentlich lebhafte wird. Wenn ich eine zur Kugel- gestalt umgewandelte Blutzelle beobachte, und plötzlich eine grö- ßere Geschwindigkeit der Molecular - Schwingung eintreten sehe, dann kann ich mit Sicherheit die zu erwartende Berstung prognosti- ciren. Es macht fast den Eindruck, als handle es sich um einen Todeskampf des Zellenleibes. Denn daß die Zelle während der Berstung vom Leben zum Tode übergeht, kann nicht dem geringsten Zweifel unterzogen werden. So lange als sie die Kugelgestalt inne hat, kann sie zu Formveränderungen bewogen werden, nachdem sie einmal geborsten ist, nicht mehr. So lange sie die Kugelgestalt inne hat, können an ihr noch Versuche angestellt werden, welche ihr Leben unzweifelhaft beweisen; nachdem sie geborsten ist, ist weiter kein Lebenszeichen an den collabirten Resten aufzufinden. Mit Rücksicht nun auf den Umstand, daß es nicht gelingt die Erscheinungen, welche während des Kugelzustandes und nach dem Aufhören desselben eintreten, auf Gesetze zurückzuführen , welche auch dem leblosen Zellkörper eigen sein können. Mit Rücksicht darauf, daß die Körperchen im Kugelzustande zweifellos leben; und mit Rücksicht endlich darauf, daß der Kugelzustand an Amoeba Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. 7 difßuens durch den Induetionsschlag hervorgerufen wurde, und auch die Amoeba ihre Kugelgestalt verließ um wieder Form zu verändern, ist wohl die Annahme gerechtfertigt, daß auch der Kugelzustand des farblosen Blutkörperchens ein Act des Lehens sei. Dieser Zustand ist unter solcher Annahme die Folge eines Reizes den das destillirte Wasser ausübt, indem es die Oberfläche der Zelle bespült oder selbst in die oberflächlichen Lagen per diffusionem eindringt. Insofern bei der gedachten Veränderung das Volumen der Zelle größer wird, muß diese wohl Flüssigkeit angesaugt haben. Die bereits früher geltend gemachten Erfahrungen und Betrachtungen, lassen aber nicht daran denken, daß sich die angesaugten Flüssigkeitsmolekel zwischen die Molekel des Zellkörpers einlagern, daß der Zellkörper quelle. Es bleibt also nur die Annahme übrig, daß das Blutkörperchen netzförmig gebaut und daß es sich nach Zusatz von Wasser nach Art eines Schwammes, wenn auch nicht nach denselben Gesetzen, vollsaugt. Wir könnten uns dabei vorstellen, das Maschenwerk des Zell- leibes oder ein Theil desselben errigire sich derart, daß der ganze Leib eine Kugelgestalt annimmt, und daß in Folge dessen die Maschenräume sich erweitern und die Flüssigkeit angesaugt wird. Wir sprächen dann von der Thätigkeit eines lebenden Stroma in Folge einer Einwirkung von destillirtem Wasser; eine Thätigkeit, welche dieses Stroma nicht lange ertragen kann, aus welcher es entweder zum Bersten, zu einem plötzlichen Tode oder zum Er- schlaffen kommt. Unter einer solchen Voraussetzung würde es ohne Weiteres klar, warum von zwei nebeneinander liegenden Blutkörperchen eines platzt und das andere erschlafft. Das eine überlebt eben die außerordentliche Anstrengung zu der es durch den Reiz getrieben wird und das andere nicht. Das Innehalten der Kugelgestalt des Blutkörperchens kann dann nach dem Vorgänge Kühne s mit einem Tetanus verglichen werden. So lange es in diesem Zustande ist, schickt es keinen Fortsatz aus, verändert es seine Form nicht; es ist starr errigirt, und erhält da- durch eine gewisse Menge Flüssigkeit in den freien Maschenräumen. Ich werde noch später darauf zu sprechen kommen, daß es plausible ist, zwei verschieden und vielleicht antagonistisch arbei- 8 Stricker. tende Theile des Stroma anzunehmen, von denen einer durch das Wasser zur Thätigkeit gebracht wird, während der andere unbehin- dert oder wenig behindert fortlebt, eventuell auch Flüssigkeitsströ- mungen in dem Stroma vermitteln könne. Die Untersuchung des Blutes Cholerakranker ist in nicht gerin- gem Grade geeignet, die bisher angestellten Betrachtungen zu unter- stützen. Die farblosen Blutkörperchen hei Cholerakranken sind be- kanntlich vermehrt. In dem Blutstropfen, den man unter das Mikroskop bringt, gerinnt das Fibrin sehr rasch, so daß man sehr bald ein dichtes Fadenwerk zur Ansicht bekommt, in welchem massenhaft farblose Blutkörperchen stecken. Wenn man in der früher angegebenen Weise manipulirt und die rothen Blutkörperchen fortschwemmt, dann bleibt im Gesichts- felde eine Summe farbloser Blutkörperchen zwischen dem Filzwerk von Fibrin zurück, und man hat die beste Gelegenheit, seine Beob- achtungen mit aller Buhe anzustellen. Die Blutkörperchen unter- scheiden sich in ihrem Ansehen wesentlich von den meinigen. Ich kann ihren Zustand nicht gut mit Worten schildern, aber ich glaube ihn am besten dadurch zu eharakterisiren, wenn ich sage, daß sie mir den Eindruck von Embryonalzellen machen; ihr Gefüge scheint so locker zu sein, daß sie von Beobachtern älteren Schlages vielleicht ohneweiters als im Zerfall begriffene Zellen betrachtet werden dürften. Dabei ist aber ihre Agilität eine ganz außerordent- liche. Nicht wenige Secunden hindurch wird die Form beibehalten. Das ganze Bild wird durch die häufige Formveränderung ein sehr bewegtes. Die Blutkörperchen winden sich ordentlich durch das Filzwerk von geronnenem Fibrin durch. Setze ich nun einen Tropfen destillirten Wassers zu, dann tritt wie mit einem Schlage in allen farblosen Blutkörperchen eine überaus lebhafte Schwingung der Körnchen ein, so lebhaft wie ich sie an meinem Blute niemals und bis jetzt nur an Embryonalzellcn und an den farblosen Blutzellen vom Triton gefunden habe. Dabei ist die Resistenz des kugeligen Blutkörperchens bedeutend erhöht; ich sah Blutkörperchen von Kranken, wie ich sie später schildern werde, nicht platzen, wenn ich auch zwei- und dreimal das Präparat reichlich auswusch. Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. 9 Bringt mau die aufgezählten Erscheinungen in Zusammenhang, so muß sich gewiß mit aller Intensität die Vermuthung aufdrängen, daß die lebhafteren Schwingungen in den Blutkörperchen des Cholera- kranken so wie die größere Resistenz mit einem veränderten Lebens- zustande des Zellenleibes in innigem Zusammenhänge stehe. Ich will in diesem Orte nicht darauf eingehen, welche Bedeutung diese Erfahrung für die Auflassung des Choleraprocesses habe. Mit Rücksicht auf die Erscheinungen an den Blutkörperchen selbst muß ich indessen von der Epidemie noch folgendes anführen. Die angedeuteten Erscheinungen habe ich nur so lange gefunden, als die Epidemie die Höhe nicht überschritten hatte. Bis zu diesem Tage, welchen ich nach den Krankheitsbildern zu schließen als den Cul- minationspunkt für Wien betrachten durfte, bis zu dem Tage fand ich die angedeuteten Erscheinungen fast an allen Kranken einer nicht unbeträchtlich großen Choleradivision und namentlich ausgeprägt an jenen ausgezeichnet charakteristischen Kranken, die wir als in dem Stadium algidum oder asphycticum befindlich bezeichnen. Nachdem jene Höhe der Epidemie überschritten war, fand ich die Erscheinung an den Blutkörperchen nicht mehr so prägnant, aber es kam mir auch kein neuer Fall in jenem ausgezeichnet charakteristischen Stadium zur Beobachtung. Im Laufe des darauf folgenden Monates kamen mir nur zwei Kranke zu Gesichte, welche von Auswärts, und zwar von Orten, wo die Epidemie in voller Bliithe war, hereingebracht wurden, und an diesen fand ich die angeführten Erscheinungen an den Blut- körperchen in ihrem vollen Umfange wieder. In einem von diesen beiden Fällen sammelte ich eine kleine Quantität Blut aus dem Herzen der Leiche, welche vierundzwanzig Stunden nach dem Verscheiden zur Section kam. Ich stellte das Blut an einen kühlen Ort, ohne es weiter znzudecken und untersuchte, da ich schon früher die Erfahrung gemacht hatte, daß die farblosen Körperchen von Cholerakranken, das Leben des Gesammtindividuums lange überdauern, dieses aufbewahrte Blut täglich auf die Lebens- erscheinung der Blutzellen. Vier Tage hindurch konnte ich die Formveränderung und die nach Wasserzusatz eintretende lebhafte Molecular-Schwingung ziem- lich unverändert beobachten. Dann verlor ich das Blut eine Zeit lang aus den Augen, und etwa am dreizehnten Tage begann ich wieder mit der Untersuchung desselben. Es hatte sich inzwischen eine ziem- 10 Stricker. lieh Kruste an der Oberfläche gebildet. Diese hob ich auf und nahm einen kleinen Tropfen des zähflüssigen Blutes zur mikroskopi- schen Betrachtung. Ich wunderte mich nicht wenig, daß die farbigen Blutkörperchen vollkommen unversehrt, daß die Blutflüssigkeit von Vibrionen völlig frei war, kurz daß sich das Blut so verhielt, wie man es an ganz frischem Blute nicht besser wünschen kann. Die farb- losen Blutkörperchen veränderten aber ihre Form nicht mehr. Als ich jedoch die letzteren eine Zeit lang in Sicht hielt, beob- achtete ich, daß sie sich ganz ungewöhnlich abplatten. Es erinnerte mich dieses sehr lebhaft an die abgeplattete Form der Amöben. Ich setzte deßwegen einen Tropfen lpercentiger Kochsalzlösung hinzu, und zu meiner größten Überraschung zogen sich die platten Blutkör- perchen zu einem ganz strammen kleinen Körperchen zusammen. Das Auffallende der Erscheinung veranlaßte mich die Beob- achtung längere Zeit fortzusetzen. Das zur Kugelform gebrachte Blutkörperchen plattete sich wieder ab und ein Zusatz von Koch- salzlösung brachte es wieder zur Zusammenziehung. — Ich wieder- holte den Versuch mehrere Male und verließ dann dieses Cholerablut um mich an meinem eigenen Blute über die Bedeutung der Erschei- nung zu instruiren. Es war mir bekannt, daß auch die farblosen Zellen meines Blutes zuweilen ganz platt auf dem Objectträger dahin liegen, nur wußte ich nicht, wie ich diesen Zustand hervorzurufen habe. Ich überließ mich daher vorerst dem Zufälle, und dieser ließ mich auch nicht lange warten. Ich fand eines meiner Blutkörperchen in dem gewünschten Zustande und nach dem Zusatze von etwas Kochsalzlösung zog es sich schnell genug zu einem kleinen strammen Körperchen zusammen. Ich konnte nun auch an meinem Blute die Beobachtung mehrere Male wiederholen. Das Nächste woran ich nun denken sollte, war wohl, daß ich durch das Zusetzen der Lösung das abgeplattete Blutkörperchen zu einer Schrumpfung veranlasse. In welcher Weise sollte aber diese Lösung wirken? Als ein chemisches Agens sicherlich nicht, denn mein Blutkörper- chen befand sich von vorne herein in einer lpercentigen Kochsalz- lösung, und indem ich den Versuch mehrere Male wiederholte, wusch ich ja das Präparat förmlich mit der Kochsalzlösung aus. Wie sollte da an eine chemische Einwirkung zu denken sein? Eine plötzlich Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. 11 eintretende Diffusion konnte es aus den angeführten Gründen auch nicht sein. Ich ließ übrigens zu allem Überflüsse anstatt der Kochsalzlösung destillirtes Wasser zufließen. Der Erfolg war derselbe. Das abgeplat- tete Blutkörperchen zog sich rasch zu einem kleinen strammen Kör- perchen zusammen und kehrte erst dann nach einigen Secunden zur Kugelform mit Molecular-Schwingung zurück. Wenn es nun weder ein chemischer Einfluß war noch eine Folge des Diffusionsstromes, welcher das abgeplattete Blutkörperchen zur Zusammenziehung brachte, so mußte ich zunächst an die mecha- nische Wirkung der Strömung denken. Aber auch diese Möglichkeit mußte ich bald aufgeben, da ich das Blutkörperchen nicht zur Schrumpfung brachte, wenn ich die Strömung unter dem Deckglase durch rasches Abziehen der Flüssigkeit durch eine Anzahl von Papier- streifen einleitete. Wenn ich nun auch keinen Grund auffinden konnte, dem ich die Einwirkung aufs Blutkörperchen zuschreiben durfte, so hielt ich mich dennoch aus später anzuführenden Gründen aufs Tiefste über- zeugt, daß die Verkleinerung des Blutkörperchens auf eine Äußerung des Lebens desselben zurückzuführen sei. Ich stellte mir vor, daß das Blutkörperchen aus mir unbekannten Gründen sich abgeplattet auf dem Objectträger hinstrecke und dann durch den hinzutretenden Tropfen zur Contraction veranlaßt werde. Dr. Hol m aus Petersburg, welcher derzeit in meinem Labora- torium beschäftigt war, machte mich darauf aufmerksam, wie ich dem Einwande entgehen könne, daß die platte Form des Blutkörperchens durch den Druck des Deckgläschens hervorgerufen werde. Ich habe auf Grundlage dieses Einwandes und in Erinnerung, daß schon Br üc ke (Über die sogenannte Molecularbewegung in thierisehen Zellen. Band XLV., J. Bericht) eine ähnliche Erscheinung an den Speichelkörper- chen beschrieb, ohne sie mit dem Leben der Zellen in Zusammenhang zu bringen, die Verhältnisse eingehend geprüft und mich mit aller Sicherheit davon überzeugt, daß die Plätte des Blutkörperchens wirklich durch Druck des Deckgläschens hervorgerufen werde. Wenn ich nämlich an die Seite des Deckgläschens einen Fließ- papierstreifen anlege und die Flüssigkeit abziehen lasse, ohne neue Flüssigkeit nachzusetzen, so gehen die farblosen Blutkörperchen so wie auch die farbigen allmälich in die abgeplattete Form über. Sie 12 Stricker. vergrößern die dem Beschauer zugewendete Fläche um das drei- bis vierfache. Ich will damit nicht sagen, daß ein farbloses Körperchen sich nicht auch ohne Einwirkung des Druckes nach Amöben-Art hin- strecken könnte, aber es ist sicher, daß ich die Erscheinung in der angedeuteten Weise jedesmal hervorrufe. Lasse ich nun neue Flüssigkeit von der andern Seite des Deck- gläschens Zuströmen, so liehe ich dadurch das Deckgläschen, und das Blutkörperchen zieht sich in der früher bezeichneten Weise zusammen. So sicher es aber einerseits ist, daß es mechanische Einflüsse, Druckverhältnisse sind, welche das Blutkörperchen zur Abplattung bewegen, ich will nicht sagen direct zusammen drücken, so sicher ist es, daß die Zellen durch den Druck, den ich in der angedeuteten Weise ausübe, nicht getödtet werden, wie dies nach der Angabe von Brücke über die Speichelkörperchen der Fall ist, wenn sie stark plattgedrückt werden; und so sicher scheint es mir andererseits zu sein, daß die Zusammenziehung nach der Aufhebung des Druckes als ein Akt des Lebens betrachtet werden müsse. Es könnte behauptet werden, daß das abgeplattete Blutkörper- chen, nachdem der Druck aufgehört hat, durch Elasticität in seine frühere Form zurückkehrt. Wenn ich den Contractionsversuch einige Male wiederhole, so ergibt sich, daß die Zusammenziehung beim ersten Versuche nicht so rasch und nicht so vollständig erfolgt als beim zweiten, oder gar beim dritten Versuche. Die Elasticität der Körper wächst aber bekanntlich nicht mit der wiederholten Ausdehnung derselben, während es unseren Begriffen vom Leben ganz conform ist, uns vorzustellen, daß die Reiz- barkeit der Zelle bis zu einer gewissen Grenze, mit dem fortgesetzten Versuche erhöht werde, und daher die Zusammenziehung rascher und vollkommener erfolgen kann. An den Blutkörperchen der früher er- wähnten an Cholera verstorbenen Person, erfolgte die Zusammenziehung außerordentlich träge und um so träger, je öfter ich den Versuch wiederholte. Bis zum siebzehnten Tage nach dem Tode gelang es mir die Contraction merklich sichtbar werden zu lassen. Am acht- zehnten Tage aber war ich nicht mehr im Stande die Erscheinung hervorzurufen. Dieses Verhältniß spricht offenbar eher dafür, daß die Zusammenziehung ein Akt des Lebens und daß die Blutkörpereben der erwähnten Leiche in ihren Lebenseigenschaften allmälig her- Untersuchungen über das Lehen der farblosen Blutkörperchen etc. 13 unterkamen, daher die Reize träger beantworteten, bis endlich ein vollständiges Absterben derselben erfolgte. Die abgeplatteten Blutkörperchen kehren, wenn der Druck auf- hört nicht immer zu ein und derselben Form zurück. Sie werden bald zu kleinen strammen Kügelchen, bald zu kantigen, bald zu zackigen Körpern umgestaltet, bald richten sie sich derart in die Höhe, daß man Mühe hat, dem ganzen Durchmesser des Körperchens mit der Schraube zu folgen, bald bleibt ein Theil des Körperchens platt am Objectträger haften, während sich über dem glatten Theile eine förmliche Säule erhebt. Ich kann mir vorstellen, daß Körper in Folge der Elasticität zu einer bestimmten Form zurückkehren, wenn sie aus derselben verschoben wurden, ich kann mir aber nicht vorstellen, daß ein plattgedrückter Körper vermöge seiner Elasticität eine Form an- nehme, die er früher vielleicht niemals inne hatte, und nach dem jedesmaligen Plattdrücken zu einer ganz anderen Form zurückkehre. Wenn ich den Versuch zwei oder dreimal ausgeführt habe, dann beantwortete das Blutkörperchen den Reiz am allerbesten. Es zieht sich mit einer gewissen Geschwindigkeit aufs allerkleinste Volumen zurück, welches es meiner Erfahrung nach, einzunehmen vermag. In diesem Zustande aber verbleibt es nur sehr kurze Zeit, nach kaum einer Minute erschlafft es wieder. Es wird dann noch nicht platt; um einen solchen Zustand hervorzurufen, muß die Flüssigkeit neuer- dings angesaugt werden; aber es bekommt das Ansehen eines Blut- körperchens, das im Blutserum schwimmt; es streckt wieder Fortsätze aus, es verändert seine Form. Es ist wieder nicht gut denkbar, daß ein Körper vermöge seiner Elasticität und nachdem ein auf ihm lastender Druck aufgehört hat, zu einer Form getrieben werde, die er nicht einhalten kann, und aus welcher er langsamer in eine zweite Form übergeht, als er in die erste hineingerathen ist. Die Veränderungen, welche ich hier schildere, beziehen sich zweifellos auf ein lebendes Zellenstroma. Denn wenn man die Blut- körperchen während des abgeplatteten Zustandes längere Zeit beob- achtet, dann fangen sie ruhig an ihre Form zu verändern. Und wenn man den Druck aufhebt, so wird dasselbe Blutkörperchen unter geeigneten Bedingungen alle jene Eigenschaften erkennen las- sen, die an einem lebenden Blutkörperchen zu studieren sind. Wenn wir also sehen, daß wir an einem lebenden Gewebe Veränderungen Stricker. wabrnehmen, welche sich auf Causalvorgänge, die auch an nicht or- ganisirten Stoffen möglich sind, nicht zurückführen lassen, dann bleibt uns füglich nichts übrig, als anzunehmen, daß diese Veränderungen Akte des Lebens seien, Akte des Lebens, hervorgerufen, durch äußere Einflüsse; und dieser äußere Einfluß ist in unserem Falle die Befrei- ung des Zellkörpers von einem auf ihm lastenden Drucke. Wenn dieser Zustand der Zusammenziehung als ein Akt des Lehens betrachtet werden soll, dann muß man wohl sagen, daß wir es mit einer ziemlich energischen Contraction zu thun haben, und es fragt sich: Wie ist dieser Zustand mit dem in Zusammenhang zu bringen, was ich früher als die Folge des Reizes durch destillirtes Wasser hinstellte? Destillirtes Wasser soll zu einer Contraction gewisser Abschnitte des Zellkörpers führen, und da soll das Blut- körperchen zur Kugel werden, und der aufgehobene Druck soll dasselbe Körperchen abermals zur Contraction bringen und hier soll es nicht zur Kugel, sondern zu einem viel kleineren festen contra- liirten Gebilde werden. Es mag mit unseren Begriffen über die Gleichartigkeit im Stroma eines Zellenleibes wenig vereinbar sein, anzunehmen, daß sich zwei verschieden wirkende Abschnitte vorfänden, von denen der eine das Blutkörperchen zur Kugel, und der andere, die Verkleinerung des Stroma bedingen sollte. Wir können uns aber anknüpfend an die Schlußfolgerungen Brücke’s (siehe Elementarorganismen), daß wir aus dem Grunde, weil wir die Organisation der Zelle nicht sehen, noch nicht schließen dürfen, daß auch keine Organisation vorhanden sei, dem analogen Schlüsse nicht entziehen, daß eine Verschiedenheit einzelner Theilo der Zelle möglich sei, trotzdem wir sie nicht wahrnehmen. Wir sehen es zwei neben einander liegenden Muskeln, die an- tagonistisch wirken, auch nicht an, daß sie Antagonisten sind. Zu einem solchen Begriffe kommen wir erst dadurch, daß wir ihre Func- tionen prüfen; und die Function der Blutkörperchen ist eben geprüft, es steht eben fest, daß sie das eine Mal kugelig und vergrößert, und das zweite Mal contrahirt sein können. Es steht fest, daß sie diese beiden Zustände während des Lebens einnehmen; es steht schließlich fest, daß diese Erscheinungen an organisirten abgestorbenen Körpern niclit hervortreten können, und es ist höchst wahrscheinlich, daß man solche Eigenschaften nichtorganisirten Stoffen nicht zuschreiben darf. Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. 15 Was soll uns nun von dem Ausspruche zurüekhalten, daß an dem lebenden Zellenleibe zwei antagonistisch sich äußernde Func- tionen wahrnehmbar sind, von denen eine durch destillirtes Wasser und die andere durch aufgehobenen Druck zur Erscheinung gebracht wird. Bei einem solchen Ausspruche wird es aber vorläufig plausibler die verschiedenen Functionen auf verschiedene Zellabschnitte zurückzu- führen, von welchen ein Theil nach der Einwirkung von destillirtem Wasser in überwiegende Aktion tritt, entweder weil er der wirklich mächtigere ist, oder es nur durch besondere Umstände wird; dieser errigirt das Stroma, bringt dasselbe zur Kugelform und veranlaßt es dadurch Flüssigkeit aus der Umgebung einzusaugen oder zu trinken. Die Flüssigkeit sammelt sich dann in den Maschenräumen des Stroma an, und in diesen können nun die Körnchen des Zellenleibes zur Schwingung kommen. Es bleibt dabei nicht ausgeschlossen, daß diese Schwingung mit den Lebenszuständen der Zelle im Zusammenhänge stehe, weil eben nicht der ganze Zellenleib zur Erhaltung der Kugel- form verwendet wird. Wie es komme, daß die Körnchen während der Einhaltung der Kugelgestalt gerade in den Maschenräumen desselben schwingen, darauf will ich für jetzt keine ausführliche Antwort geben; ich will aber nur andeuten, und dazu bestimmt mich eine große Reihe von Erfahrungen, die ich an Embryonen gemacht habe, daß die Körnchen nicht zum lebenden Zellkörper gehören. Die Körnchen sind eine im Zellkörper angehäufte Materie, welche unter Umständen gelöst werden können, um für den Zellkörper verwendet zu werden, unter Umständen aus dem Zellköi-per ausgestoßen werden können, ohne dem Leben des- selben zu schaden. Diese Körnchen schwingen eben nicht wenn das Stroma contrahirt oder collabirt ist, vielleicht weil sich sodann in den Maschenräumen nicht genug Flüssigkeit vorfindet, um die Schwingung zu ermöglichen. Hat das Körperchen die Kugelgestalt erreicht, oder sich wenigstens theilweise mit Wasser vollgetrunken, dann können die Körnchen schwingen. Sie thun dies aber nicht immer und nicht immer gleich lebhaft, und es ist höchst wahrscheinlich, daß diese Verschiedenheiten in einer uns unbekannten Weise vom Leben abhängen. 16 Stricker. Ein zweiter Abschnitt des Stroma müßte dann die Verkleinerung des Zellkörpers bewirken, und dieser ist es, der nach dem Aufhören des Druckes in überwiegende Thätigkeit geräth. Ganz bestimmte Beobachtungen führen mich schließlich mit einer gewissen Nothwendigkeit dazu, die beiden verschiedenen Func- tionen auf verschiedene Abschnitte des Zellenleibes zurückzuführen. Die zur Kugelform aufgeblähten Blutkörperchen pflegen sich nämlich mit einem Rucke zu verkleinern, und einen Tlieil der in ihnen enthaltenen Körnchen auszustoßen; dabei haben aber die Zellen ihr Leben noch nicht eingebüßt, und die Kugelgestalt nicht aufgegeben, sie bleiben noch den früher erwähnten Versuchen zugängig. Ich habe diese Beobachtung zu selten gemacht um sie ausführ- lich besprechen zu dürfen; sie hat mir aber eine so tiefe Über- zeugung von den angedeuteten Vorgängen eingeflößt, daß ich sie nicht unerwähnt lassen wollte. Unter der Annahme von antagonistisch wirkenden Kräften oder Organen der Zelle, läge es auch nahe an ein Schwankendes Gleich- gewichts derselben zu denken, wenn die Zelle ihre Form verändert, einen Fortsatz ausschickt und ihn wieder einzieht, für den Fall, als man überhaupt anfängt, über diese Dinge nachzudenken. Und wir werden füglich dazu gedrängt werden, dieses Thema in Angriff zu nehmen, wenn die mikro-physiologischen Studien erst anfangen wer- den, uns zu so tiefen Betrachtungen zu führen, als sie heute schon in Aussicht stellen. Ich habe früher einmal erwähnt, daß auch die rothen Blutkör- perchen durch den Druck des Deckglases abgeplattet werden, und nach dem Aufheben des Deckglases sich wieder zusammenziehen. Ich kann mich jedoch aus dem Umstande nicht im Entferntesten in meiner Schlußfolgerung beirren lassen. Ich stimme zwar vorläufig mit den Autoren überein, welche angeben, die rothen Blutkörperchen können freiwillig keine Form verändern. Aber ich frage, was versteht wohl heutzutage ein Physio- loge darunter, wenn er sagt: daß sich eine Zelle freiwillig bewege? Doch nicht etwa, daß die Seele der Zelle, selbst zugegeben, daß eine solche im Sinne Fechner’s existirt, über die Form verfugt. Untersuchungen über das Leben der farblosen Blutkörperchen etc. 17 Zur Formveränderung so wie zur Bewegung überhaupt, gehört nothwendig eine Kraft, und die kann ausgelöst werden einmal durch Processe, welche mit zum Leben gehören, ohne daß die äußeren Einflüsse in für uns wahrnehmbarerWeise von der Norm abweichen, und dann erscheint uns die Bewegung freiwillig; und ein anderes Mal wird sie ausgelöst durch Processe, welche durch einen wahr- nehmbaren äußeren Einfluß eingeleitet oder unterhalten werden. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß beide Modalitäten der Bewegung dem Leben zugeschrieben werden müssen. Wenn sich irgend ein organisirtes Gebilde auf einer so niedri- gen Stufe des Lehens befände, daß der regelmäßig in ihm ablaufende Proceß nicht mehr die Masse zu bewegen vermag, so darf ich daraus noch nicht schließen, daß das Gebilde todt sei; und wenn dann ein sehr kräftiger äußerer Einfluß eine solche Bewegung dennoch vermittelte, darf ich um so weniger schließen, daß alles was dieser Bewegung ähnlich, an anderen gewiß lebenden Zellen in Erscheinung tritt, nicht zum Leben gehöre. Es liegt für dieses Mal nicht in meiner Absicht die rothen Blut- körperchen eingehender zu behandeln. Ich habe ihnen trotz zahl- reicher Beobachtungen dennoch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt um zu einer triftigen Beweisführung über die Auffassung der Zustände, in welchen wir sie antreffen, zu gelangen. Ich habe ihrer nur erwähnt, um durchblicken zu lassen, daß sich aus den Veränderungen der rothen Blutkörperchen keine Waffe schmieden läßt gegen die Schluß- folgerungen, welche sich mir im Laufe meiner Beobachtungen aufge- drängt haben. Aus der k. k. Hof- und Staaisdruckerei in Wien. (Stricker.)