Sonder-Abdruck aus dem LIII. Bde. der Sitzungsber. der kais. Akad. d. Wissenschaften. Über contractile Körper in der Milch der Wöchnerin. I)r. S. Stricker. (Vorgelegt in der Sitzung vom 1. Februar 1866.) Wenn man die Milch von Wöchnerinnen frisch und auf einem bis 40° C. erwärmten Objecttische untersucht, so findet man nicht selten Colostrumkörper, welche eine ziemlich unregelmäßige Begren- zung zeigen. Wenn man eines von diesen in Sich! nimmt und es län- gere Zeit betrachtet, so ergibt es sich bald, daß die Form desselben sich allmählich ändert. So sah ich, zum Beispiele, ein Körperchen aus der platt elliptischen Form in ein plattes Dreieck, und von diesem in die kugelige Form übergehen; dann sah ich ein kartenherzförmiges Körperchen erst seine Einschnürung verlieren, dann die Spitze all- mählich breiter und länger werden, so daß man glauben konnte, es hänge dem Körperchen ein Klumpen von Fettkügelchen ganz lose an, dann aber sah ich den Fortsatz wieder einziehen und das ganze Kör- perchen zu einem scharf eontourirten kugeligen Gebilde umgestal- ten. Der Übergang aus einer Form in die andere nimmt mehrere Minuten in Anspruch, so daß man die Bewegung, im Vergleiche mit der eines farblosen Blutkörperchens als sehr träge bezeichnen muß. Bekanntlich findet man in der Milch der Wöchnerinnen außer den scharf begrenzten Colostrumkörpern noch anscheinend ganz lose zusammenhängende und sehr unregelmäßig begrenzte Haufen von Fettkügelchen. Ich habe solche Haufen zu wiederholten Malen und immer längere Zeit beobachtet, ohne eine Veränderung derselben wahrzunehmen. Einmal indessen, als ich einem jüngeren Collegen demonstriren wollte, daß ein solcher Haufen unverändert bleibe, sam- melte sich derselbe in einer Zeit von 10 Minuten zu einem scharf begrenzten Colostrumkörper. Bei einer Anzahl von Beobachtungen sah ich ferner während der Formveränderungen von Colostrumkör- perchen Fettkügelchen aus der Mitte allmählich der Oberfläche näher rücken, dann über die Oberfläche heraustreten und endlich das Kör- perchen verlassen. 2 Stricker. Nach diesen Erfahrungen ist uns der Schluß gestattet, daß das Colostrumkörperchen einen Zellenleib hat, welcher an der Oberfläche nicht erhärtet ist. Die Kräfte, welche an diesem Zellenleibe als Be- wegung zur Erscheinung kommen, dürften nach dem, was wir über die Leistungen contractiler Gebilde wissen, als nicht geringe ange- nommen werden, wenn wir bedenken, welcher relativ große Wider- stand, wegen der Anwesenheit des Fettes bei jeder Formveränderung überwunden werden muß. Wir dürfen also aus den vorherrschend sichtbaren Fettkügel- chen und aus der Trägheit der Bewegungen nicht schließen, daß der Zellenleih des Colostrumkörpers seinen Lebenseigenschaften nach auf einer niedrigeren Stufe stehe als etwa der Zellenleib eines farblosen Blutkörperchens. Wir können also auch aus dem, was die directe Beobachtung eines lebenden Colostrumkörpers lehrt, keinen Anhalts- punkt für die Annahme finden, daß es einem Zerfalle entgegengehe. Wenn abgestorbene Körperchen auf dem Objectträger zerfallen, so sind wir deßwegen noch nicht berechtigt daraus einen Schluß zu ziehen auf Vorgänge im Lehen. Es ist schon an einem anderen Orte hervorgehoben worden, daß Embryonalzellen auf dem Objectträger sehr leicht zerfallen, und doch wissen wir daß ein solcher Vorgang im lebenden Embryo nicht stattfindet. Die Annahme, daß Zellen in der Brustdrüse zerfallen, konnte nur so lange geduldet werden, als man keinen anderen Erklärungsgrund hatte für das Freiwerden der Milchkügelchen. Da wir nun wissen, daß ein Colostrumkörper ein Milchkügelchen ausstoßen kann, fällt die Nothwendigkeit fort einen Zerfall anzunehmen, den man im Leben niemals beobachtet hat. Wenn die Milchkügelchen wirklich durch einen Zerfall von Zel- len frei würden, dann müßten wir daran zweifeln, daß die Brustdrüse eine Drüse sei. Denn die Drüsenzellen secerniren «auf Anregung von den Nerven aus, was unter der erwähnten Annahme wenigstens für einen großen Theil der Zellen der Brustdrüse nicht anwendbar wäre. Wenn die Milchkügelchen ferner nur durch einen Zerfall von Zellen frei würden, dann müßten wir uns mehr oder weniger voll- ständig denjenigen Pathologen anschließen, welche sagen, daß die Zelle in der Fettmetamorphose untergehe. Der Untergang einer Zelle *) Leidesdorf und Stricker, Sitzungsb. LU. Über contractile Körper in der Milch der Wöchnerin. 3 ist aber wieder kein Vorgang welcher in das Schema der Functionen einer Drüsenzelle paßt, und mithin wäre die Erzeugung von Fett in der Brustdrüse durchaus nicht als eine Secretion aufzufassen. Es gehört aber keine reiche ärztliche Erfahrung dazu um zu wissen, daß die Milch in ganz eminenter Weise unter dem Einflüsse von Nerven erzeugt wird. Jede nachhaltige gemütbliche Aufregung ist bekanntlich für die Menge der abgeschiedenen Milch gar nicht gleich- gültig, und das Verhalten der Säuglinge läßt wohl daran denken, daß darunter auch die chemische Zusammensetzung leidet. Wenn uns also unsere gegenwärtigen Erfahrungen über die Colostrumkörper nicht zu Gebote stünden, müßten wir Anstand nehmen, uns die Fabel von dem Zerplatzen oder Zerfallen von Fettkörnchenzellen, und von dem Zerreißen von Hüllen, welche niemand gesehen hat, ruhig aufbürden zu lassen. Nachdem wir aber wissen, daß ein lebendes Colostrumkörper- chen ein Fettkügelchen ausstoßen kann, und nachdem nicht daran gezweifelt wird, daß die Colostrumkörper entweder abgestoßene Enchymzellen der Drüse, oder Theilproducte solcher Zellen sind, haben wir gewiß keine Ursache neben einem erwiesenen durchaus verständlichen physiologischen Proeesse, einen unerwiesenen und wie man wohl sagen darf unphysiologischen Vorgang anzunehmen. Ein verständlicher und unserem jetzigen Wissen über die Natur der Drüsen entsprechender Proceß ist es aber, wenn die Enchym- zellen der Milchdrüse die Producte, welche sie erzeugen, ausstoßen, ohne dabei ihr Leben einzubüßen. Es mag uns dabei leicht fallen anzunehmen, daß diese Enchymzellen neben dem Fette auch die übrigen Verbindungen der Milch secerniren, nur daß wir die gelös- ten Bestandtheile nicht sehen, während das ungelöste Fett vorherr- schend sichtbbar ist. Eine aufmerksame Untersuchung der Milch von Wöchnerinnen, welche sich am ersten bis dritten Tage nach der Entbindung befan- den, lehrte mich, daß außer den Colostrumkörpern und den Milch- kügelchen noch andere Elemente sichtbar sind. Es sind dies kleine, äußerst zart contourirte, farblose Körperchen, welche manchesmal eine Andeutung von einem Kerne zeigen, manchesmal fein granulirt sind, und manchesmal endlich vollständig homogen erscheinen. Die 4 Stricker. Über contractile Körper in der Milch der Wöchnerin. Masse eines solchen Körperchens dürfte durchschnittlich der eines rothen menschlichen Blutkörperchens gleichkommen. Bei einer Tem- peratur von 40° C. zeigen nun diese Körperchen eine relativ sehr lebhafte Form- und Ortsveränderung. Es ist den Fachleuten hinlänglich bekannt, daß man zur Beo- bachtung von Formveränderungen eines ruhigen Objectes bedarf. Ich wählte daher am liebsten die Milch von einer Drüse, an welcher der Säugling längere Zeit getrunken hatte, weil ich dann weniger fett- reiche Tropfen bekam, dessen Elemente unter dem Deckglase leich- ter zur Buhe gelangten. Ich stellte ferner meine Untersuchungen im Gebärhause an, weil ich die letzterwähnten Körperchen nicht bei jeder Wöchnerin fand, und es daher wüsehenswerth war über ein größeres Materiale zu verfügen. Bei zweien von zehn Wöchnerinnen waren die Körperchen sehr zahlreich, bei zweien fand ich gar keine, und bei den übrigen sechs nur spärlich. Wenn wir einmal wissen, daß* die Colostrumkörper Fettkügel- chen ausstoßen können, dann kommt jedenfalls die Frage in Betracht, ob wir in den homogenen aber sicherlich organisirten Körperchen nicht den Zellenleib von Colostrumkörpern vor uns haben, welch ihre Secretionsproducte und vielleicht auch den Kern mit ausgestoßen haben. Möglich ist diese Frage durch weitere Beobachtungen direct zu beantworten, und es hißt sich erwarten, daß wir durch ihre Lösung einen interessanten Beitrag für die Erkenntniß der Sectionszellen erlangen. Aus der k. k. Hof- und Staatsdruekerei in Wien.