Ueber die Wirkung einiger Gifte auf die Nerven der glandula submaxillaris. Von B. Heidenliain. Als ich im vergangenen Herbste Hunde zur Ermittlung ge- wisser Verhältnisse der Herzthätigkeit mit Atropin vergiftetex), bestimmten mich die unleugbaren Analogieen, welche zwischen der Innervation des Herzens und der der Unterkieferdriise beste- hen, die Einwirkung jenes Giftes auch auf das letztere Organ näher zu prüfen. Die Ergebnisse waren so belangreich, dass ich dadurch veranlasst wurde, noch einige andre Alcaloide in den Bereich dieser Untersuchung zu ziehen. Ein kurzer Bericht über meine bisherigen Erfahrungen wird eine Anregung zum Studium der Gifte in ihrem Verhalten zu den Secretionsorganen geben, — ein bisher methodisch noch kaum in Angriff genommenes, aber sicher fruchtbares Forschungsfeld. P. Keuchel2) theilt mit, er habe im Anschlüsse an die be- kannte Erfahrung, dass bei Atropinvergiftungen Trockenheit des Schlundes ein constantes Symptom bilde, einige Versuche über die Wirkung jenes Alcaloids auf die „hemmenden Speichelnerven“ angestellt und gefunden, dass dieselben, ganz wie der Hemmungs- nerv des Herzens, ihre Wirksamkeit vollständig einbüssen. Der Ausdruck „hemmende Speichelnerven“ ist an sich unver- 1) Ygl. den vorliegenden Band dieses Archivs S. 152. 2) Das Atropin und die Hemmungsnerven. Dorpat 1868, S. 32. 310 R. Hcidcnhain: ständlich. Was Keuchel sich darunter gedacht, kann man nach der Darstellung seiner Versuche vermuthen. Er hat gefunden, dass die in der Chorda verlaufenden Secretionsfasern durch Atropin gelähmt werden. Bekanntlich enthält dieser Nervenzweig aber noch andre für dieselbe Drüse bestimmte Fasern, deren Reizung eine Erweiterung der Drüsenarterien und dadurch die von CI. Bernard entdeckte Beschleunigung des Blutstromes durch die Drüse bedingt. Diese Fasern hat Keuchel bei seinen Versuchen gar nicht beachtet, denn es findet sich nirgends in seiner Ab- handlung eine Andeutung, aus welcher man auf eine Controlirung der Drüseneirculation schliessen könnte. Es ist deshalb schwer zu sagen, wie er zu der Angabe gekommen, dass die Hemmungs- fasern der Chorda durch das Atropin afficirt werden. Es muss ihm die ganz unhaltbare Vorstellung vorgeschwebt haben, dass in der Chorda nur eine Faserclasse verlaufe,, deren Thätigkeit durch Beeinflussung der Arterien den Blutdruck und die Blutgeschwindig- keit in den Drüsencapillaren erhöht, und dass die Secretion nur Folge der Veränderung des Blutdruckes sei, also nicht direct, sondern indirect von der Reizung der Chorda abhänge. Wie irrig diese Auffassung ist, werden die folgenden Beobachtungen ergeben, wenn überhaupt bei unsern schon bisher in den Besitz der Wissen- schaft übergegangenen Kenntnissen von dem Wesen des Secretions- vorganges noch ein neuer Beweis für nötliig erachtet werden sollte. — Bereits Gianuzzi hat in Ludwig’s Laboratorium gefunden, dass man durch Injection verdünnter Säuren oder Alcalien in den Ausführungsgang der Drüse die Reizung der Chorda für die Spei- chelsecretion unwirksam machen könne, während ihre Wirkung auf den Blutstrom fortbesteht. Er deutet diese Beobachtung durch Annahme einer Vergiftung der secernirenden Drüsenelemente (Zellen) durch jene Substanzen. Das Atropin giebt ein Mittel an die Hand, die Einwirkung der Chorda auf die Secretion aufzuheben, ohne dass die Einwir- kung auf den Blutstrom leidet und ohne dass die secernirenden Drüsenzellen functionsunfähig werden. Einem curarisirten Hunde, an welchem alle die bekannten Vorbereitungen für den Speichelversuch an der gld. submaxillaris getroffen sind (Canäle im Gange, Präparation der Chorda und des Sympathicus, Freilegung und Eröffnung der Vene), wird in einen Zweig der v. jugularis externa so viel Atropin injicirt, dass der Ucbcr die Wirkung einiger Gifte auf die Nerven etc. 311 Herzvagus vollständig gelähmt wird. Das benutzte Alcaloid war in einigen Versuchen das gewöhnliche Präparat, in andern das aus Datura Strammonium dargestellte Daturin, welches nach allen neuern Angaben mit Atropin identisch ist. Reizung der Chorda hat jetzt keine Spur von Secretion zur Folge, wie schon Keuchel richtig bemerkt, dagegen eine Beschleunigung des Venenblutstromes, welche sich nicht wesentlich von der vor der Atropinisirung beobachteten unterscheidet. Das Blut pulsirt synchronisch mit dem Herzstosse, oft in hohem Strahle, roth aus der Vene hervor. Wer mit Keuchel annimmt, dass die Circulationsänderung in der Drüse ausreicht, um Absonderung herbeizuführen, wird ge- genüber diesem Versuche, der ein absolut constantes Resultat lie- fert, in grosse Verlegenheit gerathen. Es bleibt nur ein Ausweg denkbar, die Annahme nämlich, dass das Atropin die Drüsenzellen selbst vergifte. Aber ich bin in der Lage, diesen Einwand zwei- fellos zu widerlegen. Denn während die Chordareizung nicht die mindeste Absonderung herbeiführt, gestaltet sich die letztere bei Reizung des Sympathicus in ganz normaler Weise. Die Drüsenzellen müssen also functions- fähig sein. Die Gesammtheit der obigen Thatsachen, dass das Atropin 1. die Einwirkung der Chorda auf die Secretion vernichtet, dagegen 2. den Einfluss derselben auf die Circulation unverändert bestehen lässt und 3. ebensowenig die Secretion bei Sympathicus-Reizung be- einträchtigt, gestattet sehr interessante Folgerungen. Zunächst liefert für diejenigen, welche allen sonstigen That- sachen zum Trotze noch immer der Ansicht zuneigen, dass die bei Reizung der Chorda auftretende Secretion nur durch den ge- steigerten Capillardruck im Innern der Drüse vermittelt werde, der obige Versuch den bündigsten Gegenbeweis. Denn die Chorda- Reizung führt dieselbe Drucksteigerung wie im Normalzustände herbei, die Drüsenzellen sind functionsfähig, also die von jener Auffassungsweise für ausreichend gehaltenen Secretionsbedingungen vollständig gegeben. Wenn trotzdem die Absonderung ausbleibt, ist der Schluss unvermeidlich, dass jene Momente nicht genügen, 312 R. Heidenhain: dass vielmehr die Reizung der Chorda noch einen andersartigen Einfluss auf die Drüsen ausüben muss, der durch das Atropin vernichtet ist und als dessen Träger nur eine andre Klasse von Chorda-Fasern, als die bei dem Gefässsysteme der Drüse bethei- ligten, gelten kann. Ferner führen die mitgetheilten Beobachtungen zu dem Schlüsse, dass die Verknüpfung der secretorischen Chorda-Fasern mit den secernirenden Drüsenzellen andrer Natur sein müsse, als die Ver- bindung dieser letzteren mit den Sympathicus - Fasern. Denn da der Einfluss jener auf die Secretion aufgehoben wird, während der Einfluss dieser fortbesteht, und da man sich kaum zu der Annahme entschliessen wird, dass die Nervenfasern an sich spe- cifisch verschieden seien, bleibt Nichts übrig als die Folgerung, dass das Gift im Gebiete der Chorda-Fasern einen besondern An- griffspunct eigentümlicher Art findet, der im Gebiete der Sym- pathicus-Fasern fehlt, und dieser wird nirgend anderswo als in der peripherischen Ausbreitung jener Fasern, bevor sie selbst oder ihre aus den eingeschalteten Ganglien hervorgehenden virtuellen Fortsetzungen zu den Drüsenzellen gelangen, möglicher Weise in jenen Ganglien selbst, zu suchen sein. Endlich beschränken meine Erfahrungen die Analogie, welche zwischen der Innervation der Speicheldrüsengefässe und der des Herzens besteht, in erheblicher Weise. Dort wie hier sind im Innern des Organes motorische Centra vorhanden, welche auf den Herzmuskel rhytmisch, auf die Driisengefässe tonisch erregend wirken. Zu beiden Organen treten von aussen einerseits Nerven, deren Thätigkeit die jener Centra herabsetzt (Vagus, Chorda), an- drerseits Fasern, deren Action im entgegengesetzten Sinne wirkt (Beschleunigungsfasern des Herzens, Ilalssympathicus). So weit vollkommen stichhaltig, hat diese Aehnliclikeit ihre Grenze in dem Verhalten der beiden Hemmungsfaser-Systeme zum Atropin, wel- ches die Wirksamkeit der hemmenden Vagusfasern aufhebt, die der hemmenden Chorda-Fasern unberührt lässt. Die Natur der beiden Hemmungsmechanismen muss also eine verschiedene sein. Nach der Entdeckung von Arnstein und Sustschinsky (Untersuchungen aus dem physiologischen Laboratorium in Würz- burg, II. Theil, hrsg. von R. Gscheidlen, S. 104) kann die durch Atropin vernichtete Erregbarkeit des Herzvagus durch Calabar- extract wieder hergestellt werden. Der nahe liegende Versuch, Ueber die Wirkung einiger Gifte auf die Nerven etc. 313 Gleiches an den durch Atropin gelähmten secretorischen Fasern der Chorda herbeizuführen, ist mir vollständig geglückt. Ich be- nutzte theils das gewöhnliche, in den Apotheken käufliche, syru- pöse Extr. Calabar, theils ein trocknes, leicht pulverisirbares und in Wasser lösliches Extract, welches ich aus der Fabrik von H. Trommsdorff in Erfurt bezogen. Wenn man von dem letz- teren Extract eine zweiprocentige Lösung cubikcentimeterweise dem atropinisirten Thiere einsprützt, erreicht mau bei einer Dosis, deren Grösse nicht allgemein angebbar ist, sondern von der Menge des vorher injicirten Atropins abhängt, volle Wiederherstellung der Wirksamkeit der secretorischen Chorda-Fasern, die durch neue Einverleibung von Atropin von Neuem aufgehoben werden kann. Diese Beobachtung veranlasste mich, die Wirkung des Calabar- Extractes für sich auf die Speichelnerven genauer ins Auge zu fassen; sie ist nicht ganz gleich bei einem vorher atropinisirten und einem nicht atropinisirten Thiere. Bei den folgenden Versuchen legte ich in die Gänge sowohl der rechten als der linken Submaxillaris Canülen ein. Rechter- seits blieben die Drüsennerven intact, linkerseits wurde die für die electrische Reizung präparirte Chorda durchschnitten und die Drüsenvene der Beobachtung zugänglich gemacht. Die Erschei- nungen, welche man nach der Calabar-Injection beobachtet, sind nicht ganz identisch bei Anwendung grosser (0,06 — 0,1 Grm. des Trommsdorff sehen Extractes) und massiger Dosen. In beiden Fällen tritt rechterseits (Chorda erhalten) starke, aber allmälig vorübergehende Speichelabsonderung ein. Da sie linkerseits (Chorda durchschnitten) fehlt, muss die Anregung zur Driisenthätigkeit von dem centralen Ursprünge der Chorda ausgehen. Die Wirkung auf den Blutstrom in der Drüse ist je nach der Dosis etwas verschieden. Die anzuführenden Beobachtungen be- ziehen sich auf die linke Drüse. Hat man eine massige Gabe angewandt, so tritt eine starke Verlangsamung des Blutausflusses aus der Vene ein. Nach Durch- schneidung des Halssympathicus wird der Blutstrom lebhafter, zum Beweise , dass die Verlangsamung zum Theil auf centraler Erregung der sympathischen Gefässfasern beruht. Aber auch nur zum Theil, wie sich bei Anwendung sehr starker Dosen ergiebt. Denn hier stockt der Blutausfluss aus der Drüsenvene ganz und tritt auch nach Trennung des Sympathicus nicht ein. Es 314 R. Heidenhain: muss also das intraglanduläre vasomotorische Centrum stark er- regt werden. Die Reizung der Chorda vermag in dem letzteren Falle (d. h. bei Anwendung sehr grosser Dosen) den Blutstrom gar nicht, in dem ersteren nur sehr wenig zu beschleunigen. Ebensowenig ruft diese Reizung Secretion hervor. Dieses letztere Ergebniss scheint im flagrantesten Widerspruche zu stehen mit der oben gemeldeten Thatsache, dass auf der rech- ten Seite (Chorda nicht getrennt) das Calabargift wenigstens in der ersten Zeit nach der Injection lebhafte Secretion hervorruft, die nachweislich durch die Chorda vermittelt wird. Soll das Physostigmin auf die unzerschnittene Chorda erregend, auf die zerschnittene lähmend wirken? Dieser Widerspruch wird noch erhöht durch die zweite Thatsache, dass die durch Atropin wir- kungslos gewordene Chorda ihre Erregbarkeit durch Calabar wie- der erlangt, — als ob das Gift auf die atropinisirten Nervenele- mente im entgegengesetzten Sinne wirkte, wie auf die nicht atro- pinisirten! Die Paradoxie dieser Thatsachen klärt sich in folgender Weise auf. Der scheinbare Verlust der Erregbarkeit der durchschnittenen Chorda nach Einverleibung des Calabar - Extractes ist nicht Folge einer directen, sondern einer indirecten Wirkung des Giftes, her- beigeführt durch die vollständige Unterbrechung des Drliseublut- stromes, — eine Bedingung, welche bekanntlich die Drüse sehr bald lähmt. Der Beweis hierfür liegt darin, dass in den Fällen, wo nach Anwendung mässiger Dosen bei Trennung des Hals- Sympathicus die Durchblutung der Drüse wieder lebhafter wird, die Chorda ihre secretorische Wirksamkeit nach einiger Zeit (3—4 Min.) wieder erlangt. Auf derjenigen Seite, wo die Chorda nicht getrennt ist, kommt es zu keiner so hochgradigen Störung der Versorgung der Drüse mit Blut, weil die centrale Erregung der Hemmungsfasern jenes Nerven der Reizung der vasomotorischen Drüsennerven entgegenwirkt. Dass aber bei einem atropinisirten Thiere noch nach Injection von Calabar - Extract keine Drüsenlähmung eintritt, hat darin sei- nen Grund, dass nach Einverleibung von Atropin die Reizung der vasomotorischen Elemente nie den hohen Grad erreicht, wie ohne vorgängige Atropinisirung, ein Punct, der im Verlaufe der Unter- suchung noch weiter zu besprechen sein wird. Ueber die Wirkung einiger Gifte auf die Nerven etc. 315 Bei Zergliederung- der letzteren bin ich bis jetzt bei dem ersten Stadium stehen geblieben: Rechts (Chorda nicht getrennt) ist allmälig vorübergehende Salivation zur Beobachtung gekom- men, links Lähmung der Drüse in Folge starken Gefässkrampfes, welcher sich nach Trennung des Halssympathicus ermässigt, wenn die Giftdosis keine zu grosse war. In dem letzteren Falle wird die Chorda nach einigen Minuten wieder wirksam. Wiederholt man die Calabar-Injection, so tritt nach jeder Dosis rechts von Neuem vorübergehende Salivation ein. Wird nun Atropin (2—4 Mgrm.) eingespritzt, so blisst links die Chorda ihre secretorische Wirksamkeit in kurzer Zeit vollstän- dig ein. Die beschleunigende Wirkung auf den Blutstrom dagegen tritt viel entschiedener als früher hervor. Darin liegt ein neuer Beweis dafür, dass das Physostigmin auch noch nach Trennung des Sympathicus auf die vasomotorischen Elemente der Drüse er- regend wirkt, — ohne Zweifel wohl auf das intraglanduläre vaso- motorische Centrum. Nachdem diese Reizwirkung durch das zweite Gift abgeschwächt worden, kommt die Hemmungswirkung der Chorda in höherem Maasse zur Geltung. Neue Calabarisirung kann die secretorische Wirkung der Chorda restituiren, während ihr Einfluss auf den Blutstrom mit der Menge des injicirten Extractes mehr und mehr sinkt. Wie weit man aber auch mit der Giftdosis geht, ein derartiger Krampf der Drtisen- gefässe, wie er vor der Atropinisirung durch das Extr. Calabar herbeigeführt wurde, in einer Stärke, dass der Drtisenblutstrom völlig unterbrochen und damit die Drüse gelähmt wird, tritt jetzt nicht mehr ein. Ebensowenig scheint eine Reizung des centralen Chorda-Ursprunges zu Stande zu kommen, denn die rechte Drüse (Chorda nicht zerschnitten) secernirt bei der Calabar-Injection kei- nen Speichel mehr. Wenn also auch jedes der beiden Gifte die manifeste Wir- kung des andern auf die Drüsennerven aufhebt, so kommt doch das Physostigmin nach Einverleibung des Atropin in mehrfacher Beziehung nicht mehr zu so ausgesprochener Geltung, wie es ohne dieselbe der Fall ist. Die interessanten Ergebnisse der eben mitgetheilten Versuche legten es nahe, die Wirkung noch einiger andrer Gifte, die zu den Herznerven in Beziehung stehen, auch auf die Speichelnerven zu untersuchen. Am dankbarsten erwies sich das Nicotin, von 316 R. Heidenhain: welchem ich eine Lösung von 8 Tropfen in 100 Ccm. Wasser be- nutzte. Nach Injection von 3 Ccm. derselben traten an den Spei- cheldrüsen, die ganz wie bei den Calabar-Versuchen vorbereitet waren, in schneller Folge sehr prägnante Erscheinungen auf, die sich übersichtlich in vier Perioden zusammenfassen lassen. In der ersten Periode tritt beiderseits starker Speichel- ausfluss ein, rechts (Chorda nicht getrennt) schneller und lebhafter als links (Chorda durchschnitten). Daraus folgt, dass das Nicotin erregend einerseits auf die peripherischen Bezirke der Chorda, andrerseits auf den centralen Ursprung wirkt. Links kommt die peripherische Beizung zur Erscheinung, rechts addirt sich zu der- selben die centrale, wodurch die Wirkung natürlich gesteigert wird. Diese Reizungsperiode fällt ungefähr mit dem Zeiträume zu- sammen, in welchem unter dem Einflüsse des Giftes die Herz- frequenz stark verlangsamt ist. Nach ungefähr zwei Minuten geht die Pulsfrequenz bedeutend in die Höhe, wobei die einzelnen Herzschläge sehr unregelmässig und so schwach werden, dass der Puls an der Carotis kaum fühlbar ist. Um diese Zeit tritt a i den Speicheldrüsen eine Zweite Periode ein, charakterisirt durch vollständige Läh- mung der secretorischen Fasern des Sympathicus wie der Chorda und gleichzeitig der Hemmungsfasern der letzteren. In der dritten Periode, welche nach 15—20 Minuten be- merkbar wird, beginnen die Speicheldrüsen wieder von selbst zu secerniren, die rechte, welche eine intacte Chorda besitzt, um einige Minuten früher als die andre. Wenn die letztere die ersten Speicheltropfen entleert, bewirkt Reizung der Chorda noch keine sichtliche Beschleunigung der Absonderung. Erst nach weiteren 5—10 Minuten wird in der vierten Periode die Chorda wieder erregbar und zwar zunächst ihre Secretionsfasern, welchen nach nicht langer Zeit die Beschleunigungsfasern folgen. Die Secretionsfasern des Sympathicus verhalten sich ähnlich denen der Chorda. Ob sie freilich in der ersten Periode gleich- zeitig mit der letzteren erregt werden, lässt sich nicht wohl ent- scheiden, da bei gleichzeitiger Reizung beider Faserarten die ab- gesonderte Flüssigkeit immer vorwiegend den Charakter des Chorda- speichels trägt, wie electrische Reizversuche lehren. Jedenfalls aber verliert in der zweiten Periode der Sympathicus ebenso seine se- cretorische Wirksamkeit wie die Chorda, um sie später wieder Ueber die Wirkung einiger Gifte auf die Nerven etc. 317 zu gewinnen. Bei Reizung des Sympatliicus fliesst dann der Speichel auffallend schneller und gleichzeitig weniger dickflüssig, als man es unter normalen Umständen zu sehen gewohnt ist, — eine Erscheinung, die sich wohl daraus erklärt, dass neben der beabsichtigten Reizung des Sympatliicus die durch die Nicotin- vergiftung bedingte schwache Chorda-Reizung einhergeht. Die geschilderten Folgen der Nicotinvergiftung treten an den Speicheldrüsen mit absoluter Regelmässigkeit ein und können an demselben Thiere mehrfach beobachtet werden, wenn man nach Restitution der Nerven die Injection wiederholt. Es geht aus diesen Beobachtungen hervor, dass das Nicotin in kleinen Mengen reizend, in grossem lähmend auf die Secretions- nerven ein wirkt. Wenn unmittelbar nach der Injection die ersten Nicotinspuren der Drüse durch den Blutstrom zugeführt werden, tritt die Reizwirkung auf, die sehr bald, wenn mehr Gift in das Organ gelangt, der lähmenden Wirkung Platz macht, um von Neuem hervorzutreten, wenn im weiteren Verlaufe durch allmälige Ausscheidung des Nicotin der Gehalt des Blutes an demselben verringert wird. Die Elimination der leicht flüchtigen Substanz muss verhältnissmässig schnell geschehen, denn die anfangs stür- mischen Vergiftungssymptome nehmen nicht bloss an den Speichel- drüsen, sondern auch am Herzen in nicht langer Zeit an Intensi- tät bedeutend ab. Wenn die bisher besprochenen Gifte eine so entschiedene Wirkung auf die Speichelnerven gezeigt haben, so gilt dies nicht mehr von dem Digitalin. Wenn man dasselbe allmälig in solchen Mengen injicirt, dass die Pulsfrequenz, welche bei kleinen Dosen bekanntlich sinkt, über die Norm zu steigen beginnt, beobachtet man an einer Drüse mit unversehrten Nerven starke Absonderung, welche bei Durchschneidung der Chorda fehlt. Es muss also eine centrale Reizung der secretorischen Chorda - Fasern stattfinden. Eine Lähmung erzielt man bei noch so grossen Dosen an den beiderlei Chorda-Fasern nicht. Zwar wird schliesslich die Be- schleunigung des Venenblutstromes bei Reizung der Chorda sehr gering, allein da gleichzeitig der arterielle Druck sehr gesunken ist, liegt hierin eine so ausreichende Erklärung für jene Thatsache, dass man nicht berechtigt ist, aus derselben auf eine Affection der Hemmungsfasern der Chorda durch das Digitalin zu schliessen. Die vorliegenden Beobachtungen über Giftwirkungen an den 318 J. Bernstein: Nerven der Speicheldrüsen ermuthigen in hohem Grade zur Prü- fung anderweitiger Secretionsorgane. Manche Secrete scheinen ohne directe Betheiligung von Nerven gebildet zu werden, während für andre die Anregung des Secretionsorganes vom Nervensysteme aus erforderlich ist, wenn der Absonderungsvorgang eingeleitet werden soll. Für viele Drüsen ist es bisher nicht gelungen, von aussen an dieselben herantretende, also anatomisch erreichbare Secretionsnerven nachzuweisen, weshalb ihre Stellung zum Ner_ vensysteme bisher noch durchaus unklar ist. Hier werden Gift- versuche einen ersten Anhalt geben können. Denn für Secretionen, die durch Gifte plötzlich hervorgerufen oder plötzlich sistirt wer- den können, wird eine Betheiligung des Nervensystems in hohem Grade wahrscheinlich sein, soweit jene Gifte nicht etwa indirect durch Aenderung der Circulationsverhältnisse in den Process der Absonderung eingreifen. An der Lösung der zahlreichen sich in der bezeichneten Richtung stellenden Fragen werden, hoffe ich, die Arbeiten in meinem Institute sich schon in nächster Zeit be- theiligen. Breslau, den 20. Februar 1872.