Ueber die Bildung von Gallenpigment aus Blutfarbstoff im Thierkörper. 53 Ueber die Bildung von Gallenpigment aus Blutfarbstoff im Thierkörper. Von Johannes Fürst Tarchanoit; Dr. med., aus St. Petersburg. (Aus dem physiolog.-chem. Laboratorium des Herrn Prof. Hoppe-Seyler.) Seitdem Yirchow1) die Beziehungen der Härnatoidinkrystalle zum Blutfarbstoff kennen gelehrt hat, sind auf verschiedenen Wegen mannigfaltige Versuche gemacht, künstlich diese Umwandlung inner- halb oder ausserhalb des Organismus auszuführen. Weder verschie- dene ältere Versuche noch die späteren von Hopp e-Sey ler, durch einfache chemische Umwandlung des Blr bstoffs ausserhalb des Thierkörpers Bilirubin zu bilden, haben ein günstiges Resultat erge- ben, und hinsichtlich dieser Umwandlung im Thierkörper sind die Angaben nicht in Uebereinstimmung. Fr er ich s und Staedeler hatten in einer Reihe von Versuchen gefunden, dass bei Injection von entfärbter schleimfreier Ochsengalle Gallenfarbstoff im Harn reichlich aufritt; sie suchten diese Erschei- nung, die von Vielen bestätigt ist, durch die Annahme zu erklären, dass Gallensäure im Blute in Gallenfar' :toff umgewandelt würden. Dieser Erklärung trat W. Kühne2), gestützt auf eine Reihe von Versuchen an Hunden, entgegen. Er fand im icterischen Harn, ebenso bei Injection von gallensauren Salzen in die Venen von Hun- den, stets Gallensäure unzersetzt im Harne und erklärte die Gallen- farbstoffbildung aus einer Zersetzung des Blutfarbstoffs, welcher durch Einwirkung von gallensauren Salzen auf die Blutkörperchen unter Lösung der letzteren frei werde. Ein Jahr später wurde von Max Herrmann3) in einer Reihe von Versuchen, die an Hunden ausgeführt waren, Gallenfarbstoff im 1) Arch. v. Reinhardt u. Yirchow Bd. I. 2) V i r h o w, Arch. f. patholog. Anat. Bd. 14, 1858. 3) Max Herr mann, »de effectu sanguinis diluti in secretionem urinae Berolini, Dissert. inaug. 1859.« 54 Johannes Fürst Tarchanoff: Harne nach Injection von Wasser in das Blut aufgefunden. Kühne hatte angenommen, dass die gallensauren Salze zur Bildung des Gallenfarbstoffs nicht allein durch Lösung des Blutfarbstoffs, sondern ausserdem noch durch eine nicht näher bekannte specifische Einwir- kung führten. Die Injection von einer wässerigen Lösung der Blut- körperchen hatte ihm nur unsichere Spuren von Gallenfarbstoff im Harne ergeben, M. Herrmann dagegen wies nach reichlicher In- jection von Wasser in die Jugularvenen im Harne Gallenfarbstoff nicht allein mittelst der Gmelin’schen Probe mit Salpetersäure nach, sondern vermochte in einem Versuche den Gallenfarbstoff aus dem Harn der in angegebener Weise behandelten Thiere in Chloro- form aufzunehmen und selbst in festem Zustande zu gewinnen. Diese Resultate Herrmann’s waren so bestimmte, positive, dass für mehrere Jahre die Möglichkeit eines hämatogenen Icterus ziemlich allgemein zugegeben wurde. Die Angaben von Frerichs1), dass man Gallensäuren durch Schwefelsäure in Farbstoffe verwandeln könne, welche grosse Aehn- lichkeit mit Gallenfarbstoffen besässen, erwies sich als ungenau, insofern diese Farbstoffe durchaus . andere Reaction zeigten2); es wurde ferner Gallenfarbstoff in abgekapselter Cystenflüssigkeit ge- funden3), in welche Galle nicht wohl eingedrungen sein konnte, aber Blutungen nachweislich geschehen waren. Es wurde endlich auch die grosse Uebereinstimmung des Hä- matins und Bilirubins hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung erkannt. Erst im Jahre 1868 wurde eine Arbeit von B. Naunyn4) publicirt, welche die Frerichs’sche Anschauung wieder herzustellen sucht. Naunyn injicirte durch Gefrierenlassen des Blutes bereitete Blutkörperchenlösung Hunden und Kaninchen in das Unterhautbinde- gewebe oder in die Jugularvenen, oder liess die Blutkörperchen im Blute der Thiere sich durch Arsenwasserstoffinhalation auflösen und prüfte nun den Harn auf Gallenfarbstoffe. Es gelang ihm nicht Gallenfarbstoffe im Urin aufzufinden. Es tritt hier zuerst die Angabe 1) Frerichs u. Staedeler, Arch. f. Anat. u, Physiol. 1856. 2) Staedeler, Vierteljahrsschr. d. Naturforscher-Gesellschaft zu Zü- rich. Bd. VIII. B) Hoppe.Seyler, Handb.d.Physiol. u. patholog.-chem.Analysen. S.178 4) A. Naunyn, Arch. f. Anat. u. Physiologie. 1868. lieber die Bildung von Gallenpigment aus Blutfarbstoff im Thierkörper. 55 auf, dass Blutkörperchenlösung nicht in das Blut injicirt werden könne, ohne dass Thrombose und der Tod erfolge; auch wird be- hauptet, dass im normalen Harne häufig Gallenfarbstoff gefunden werde und den früheren Beobachtern vorgeworfen, dass sie auf die Beschaffenheit des Harns der Thiere vor der Operation nicht genü- gend geachtet haben, obwohl Herrmann bei jedem seiner Versuche das Verhalten vor der Operation angiebt. Im vorigen Jahre endlich ist eine Arbeit von J. Steiner1) erschienen, welche die Angaben von Herr mann vollständig zu vernichten scheint. Steiner inji- cirte Kaninchen kleine oder grössere Portionen Wasser in die Jugu- larvene oder in eine Arterie und fand in 17 Versuchen keinen Gallen- farbstoff, in zwölf dieser Versuche nur Blutfarbstoff im Harne. Er kommt zu dem Resultate2): »Ich sehe mich deshalb in der Lage, den Versuchen M. Herrmann’s jede Beweiskraft für den vorlie- genden Gegenstand absprechen zu können und werde mich nicht mehr über meine entgegengesetzten negativen Resultate wundern, denen zu Folge der Blutfarbstoff durch reichliche Wasserinjection in die Jugularvenen von Kaninchen aus den Blutzellen frei gewor- den, innerhalb der Blutbahn mit Umgehung der Leber zu Gallen- farbstoff sich nicht umzuwandeln vermag.« Offenbar kann es bei oberflächlicher Beurtheilung scheinen, als sei mit diesen Arbeiten vonNaunyn und Steiner die Sache völlig entschieden, die Versuche von Herr mann unbrauchbar und eine Gallenfarbstoffbildung nur in der Leber zu suchen. M. Herr mann ist einige Jahre nach der Publication seiner Dissertation gestorben, seine Versuche sind in dem Laboratorium von Hoppe-Seyler unter des Letztem Augen ausgeführt und von ihm, wie er mir mittheilte, controlirt; Beide müssen sich in grober Weise getäuscht oder sehr flüchtig die Verhältnisse beurtheilt haben, wenn die Angaben von Naunyn und Steiner richtig sind. Eine nähere Vergleichung des Verfahrens der verschiedenen Experimenta- toren ergiebt jedoch schon auf den ersten Blick wesentliche Ver- schiedenheiten. Herrmann legte Canülen in die geöffneten Ureteren, fing den reinen frischen Harn quantitativ auf, prüfte ihn auf Gallenfarb- stoff, injicirte dann grössere Wasserquantitäten in die Jugularvene 1) Steiner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1878, p. 193. 2) Ebendaselbst p. 193. 56 Johannes Fürst Tarchanoff: und fuhr fort, die einzelnen Portionen des ausgeschiedenen Harns aufzusammeln, um ihn dann mit dem vor der Injection erhaltenen zu vergleichen. In den Versuchen von Naunyn und ebenso den von Steiner ist der vom Thier gelassene Harn im untergesetzten Glase aufgefangen, so dasä weder frischsecernirter Harn zur Beobachtung kam, noch eine Verunreinigung mit dem Excremente u. s. w. des Thieres ausgeschlossen war. Die Versuche von Steiner sind allein an Kaninchen angestellt; diese Thiere eignen sich offenbar wegen ihres trüben oft schleimigen Harns nicht gut für diese Versuche. Eine Unterredung mit Hoppe-Seyler über die bezeichneten Differenzen gab mir die Veranlassung, die Versuche Herrmann’s mit einigen Modificationen zu wiederholen. Allerdings ist durch Virchow’s Untersuchungen über die Bildung der Hämatoidinkry- stalle und die Arbeiten von Hoppe-Seyler und Salkowsky1) erwiesen, dass Gallenfarbstoff sich im thierischen Körper bilden kann in Blutextravasaten, ohne dass Zutritt von Galle zu denselben irgend angenommen werden konnte, aber nach Naunyn’s und Steiner’s Angabe konnte es doch wenigstens eine grosse Seltenheit sein, dass Gallenfarbstoff auf Wasser- oder Blutfarbstoffinjection in den Harn überging, ausserdem blieb es in den Versuchen von Herr mann zweifelhaft, ob in den blutfarbstoffhaltigen Harnportionen seiner Ver- suchstiere Gallenfarbstoff enthalten war. Es war ferner zu unter- suchen, ob nicht durch den operativen Eingriff Gallenfarbstoff ge- bildet würde, wie Naunyn es behauptet hat. Endlich war nach einer zuverlässigeren Methode, als es durch Naunyn und Steiner geschehen ist, auf Gallenfarbstoff zu suchen. Da das Bilirubin und Biliverdin die Eigenschaft besitzen, die so vielen Farbstoffe gemeinsam und in der Färberei allgemein be- nutzt ist, sich den Niederschlägen theilweise oder ganz beizumengen, welche in ihren Lösungen durch irgendwelche Fällung hervorge- rufen werden, kann eine Methode der Ausfällung von Blutfarbstoff oder Eiweissstoffen, wie sie Steiner empfiehlt, nur als eine gefähr- liche von vornherein erscheinen. Es ist nun auch allgemein bekannt, dass alle aus gallehaltigen Flüssigkeiten ausgefällten Eiweisscoagula gelb oder grün aussehen und durch Waschen mit Wasser nicht ent- färbt werden können, und desshalb höchst auffallend, dass Steiner demnach für Kaninchenharn empfiehlt, erst das Eiweiss durch Ko- 1) H opp e-Seyl er, med.-chem. Untersuch. Tübingen. Ueber die Bildung von Gallenpigment aus Blut farbstoff im Thierkörper. 57 chen zu entfernen und dann mit dem vom Eiweiss befreiten Harn die Probe mittelst Salpetersäure anzustellen. Schon Prussack1) fand, dass nach dem Kochen gallenfarbstoffhaltigen Harns, auch nach- dem derselbe vollkommen abgekühlt ist, die Gm eli n’sche Probe mit demselben nicht mehr erhalten wird. Bei den sämmtlichen Ver- suchen von Naunyn und Steiner, ebenso vieler anderer Beobachter, ist es überhaupt nicht erwiesen, ob sie in den Fällen, wo sie Gallen- pigment gefunden zu haben vermeinten, nicht indigobildende Substanz vor sich gehabt haben, welche bei Gegenwart von Harn- stoff ein dem GallenfarbStoff' ähnliches Verhalten gegen Salpeter- säure zeigt. Die indigobildende Substanz besitzt nach Hoppe-Seyler’s mündlicher Angabe durchaus nicht die starke Neigung des Gallen- farbstoffs, sich Niederschlägen, die in der Lösung gebildet werden, anzuhängen, wenn sie auch in geringerem Grade hier und da mit niedergerissen wird z. B. in Bleiniederschlägen. Trennung des Gallenfarbstoffs von der indigobildenden Substanz gelingt einiger- massen durch Fällung der beide Substanzen enthaltenden Flüssig- keiten mit etwas Kalkmilch, Einleiten von Kohlensäure zur Sätti- gung des überschüssigen Kalkes, Stehenlassen für einige Stunden, Ab- filtriren und mässiges Auswaschen mit kaltem Wasser. Die indigo- bildende Substanz bleibt in Lösung, während der Gallenfarbstoff ge- fällt wird. Allerdings bleibt etwas von letzterem Farbstoff in Lösung, kann aber weiterhin gefällt werden durch Zusatz von etwas phos- phorsaurem Natron zum Filtrate, nochmalige Fällung mit Kalk- milch und Einleiten von Kohlensäure. Durch dieses Verfahren wird Albumin, Hämoglobin und Methämoglobin gleichfalls nicht gefällt und es eignet sich sonach die Kalkfällung besonders für diejenigen Fälle, wo im blutfarbstoffigen Harn auf Gallenfarbstoff zu unter- suchen ist. Ich habe mich durch Untersuchung eines an indigobilden- der Substanz reichen Pferdeharns entweder für sich allein oder nach Hinzufügung von Galle überzeugt, dass bei der Fällung mit Kalk- milch oder Kalkwasser, Einleiten von Kohlensäure u. s. w. indigo- bildende Substanz nicht gefällt wird, während der Gallenfarbstoff im Kalkniederschlage leicht nachzuweisen ist, wenn dem Harne Galle zugemischt war. Für meine weiteren Versuche war ich in erster 1) Ausbleiben der Gmelin’schcn Reaction im icterisehen Harn, Cen- tralblatt 1867. No. 7. 58 Johannes Fürst Tarchanofi: Linie bemüht, eine einigermassen reine Hämoglobinlösung zu erhal- ten. Zu dem Zwecke wurde nach der von H oppe - Seylerx) ange- gebenen Methode verfahren. Frisches aus der Arteria femoralis von einem Hunde entnommenes Blut wurde defibrimirt und mit dem zehnfachen Volumen einer 2,5procentigen Kochsalzlösung vermischt; diese Mischung mehrere Tage einer niedrigen Temperatur ausgesetzt, sodann die klare Flüssigkeit möglichst vollständig abgegossen; die an dem Boden des Gefässes zurückgebliebenen Blutkörperchen wur- den nun in einem Kolben mit etwas Aether geschüttelt, die so erhaltene Lösung schnell filtrirt, sodann mit y4 ihres Volumens Alkohol vermischt und nun während einiger Zeit auf 0 0 abgekühlt. Die so erhaltenen Krystalle zwischen Filtrirpapier abgepresst, bis sie ganz trocken erschienen, wurden für die Einspritzungen benutzt in einer bei 300 gesättigten wässrigen Lösung und nur solche Krystalle, die kurze Zeit vorher dargestellt waren, zu den Versuchen verwendet. Diese letzteren wurden von mir in kalter Jahreszeit ausge- führt und die Abwesenheit von Methämoglobin in der Blutfarbstoff- lösung durch Spectraluntersuchung constatirt. Ich habe ferner nur Hunde für die Injectionsversuche verwendet, da nur diese Thiere für sie geeignet erscheinen und habe dabei nach dem Verfahren, welches Herrmann befolgte, Canülen in die Ureteren eingelegt, diese durch Kautschukschläuche mit Röhrchen verbunden, welche in Fläschchen mündeten, in denen der Harn gesammelt wurde; von Zeit zu Zeit wurden die Fläschchen gewechselt, besonders, wenn der Harn eine Veränderung der Farbe zeigte. Die Bauchwunden zu beiden Seiten der Linea alba, durch welche die Ureteren aufgesucht waren, wur- den nach Einbringung der Caniile so weit geschlossen, dass nur für Canüle und Kautschukrohr noch Platz blieb. Zum Ueberfluss wurden auch die von der Harnblase ausgehen- den Enden der Ureteren unterbunden, um das Ausfliessen von dem in die Blase angesammelten Harn in die Bauchhöhle ganz sicher zu verhindern. Durch diese Art der Untersuchung war es möglich, ganz ge- trennte Portionen des Harns zu erhalten und die Veränderung des- selben nach bestimmten Zeiten zu untersuchen. Bei Kaninchen lässt sich diese Methode nicht leicht anwenden, da die Ureteren zu eng 1) Handbuch d. Physiolog. u. Pathol. Chemisch. Analyse von Hoppe- Seyler S. 215. Ueber die Bildung von Gallenpigment aus Blutfarbstoff im Thierkörper. 59 und die in wenigen Stunden enthaltenen Harnquantitäten zu unbe- deutend sind. Gegen die Ausführung des Versuches an Hunden lassen sich mehrere Einwände erheben: 1. kann der Harn scheinbar normaler Hunde Gallenfarbstoff enthalten; 2. ist das Auftreten desselben im Harne nach Hunger sehr häufig bei Hunden angegeben; 3. endlich ist nach gewissen Verletzungen Gallenfarbstoff im Hundeharne ge- funden worden, so dass schon durch die Operation selbst die Mög- lichkeit einer Erzeugung von Cholurie gegeben sein konnte. Diese angeführten Momente wurden bei der Ausführung der Versuche vollkommen ausgeschlossen: die Thiere wurden vor der Operation reichlich mit Fleisch gefüttert; nachdem die Operation gemacht war, wurden vor der Einspritzung der Hämoglobinlösung 1—2 Stunden lang Portionen des Harns aufgefangen und untersucht; desgleichen wurden Controlversuche angestellt, um die Einwirkung der Operation und der Chloroformnarcose auf die Beschaffenheit des Harns während der ganzen Versuchsdauer verfolgen zu können. Was die Prüfung des Harns auf Gallenfarbstoff anbetrifft, so wurde hierbei in folgender Weise verfahren. Die frischen Harn- portionen wurden, wie oben bereits besprochen ist, mit Kalkwasser versetzt, und, um eine möglichst vollständige Fällung des Gallen- farbstoffs zu erzielen, ein Strom von Kohlensäure durch die Flüssig- keit geleitet; nachdem dieselbe einen Tag ruhig gestanden, wurde der Niederschlag abfiltrirt, noch feucht in Essigssäure gelöst und mit der so erhaltenen Lösung die Gmelin’sche Gallenfarbstoffreac- tion gemacht. Auf diese Weise gelingt der Nachweis von Gallen- farbstoff in allen Fällen sehr gut. Gehen wir nun zu den Versuchen selbst über. 1. Versuch. Ein mittelgrosser Hund wurde in der obenbeschrie- benen Weise operirt (während der Operation wurde derselbe in Chloroform- narcose gehalten), der Harn wurde zunächst während l1/2 Stunden aufgefangen : sodann wurden demselben 100 Ccm. der Hämoglobinlösung nach und nach während einer halben Stunde in die Jugularvene eingespritzt; s/4 Stunden nach dem Anfänge der Einspritzung begann der ausfliessende Harn sich blutig zu färben, diese Farbe wurde allmählich intensiver und nahm schliesslich wieder ab und die letzten Portionen zeigten fast gar keine blutige, sondern eine deutliche gelbgrüne Färbung; 5 Stunden nach dem Beginne der Einspritzung wurde die Ansammlung des Harns beendigt. Der Harn war in 3 getrennten Portionen gesammelt. Der zuerst aufgefangene normale Harn nach der oben angegebenen 60 Johannes Fürst Tarchanoff: Methode untersucht (Behandlung mit Kalkwasser), gab keine Spur von Gallenfarbstoff. Die zweite Portion, welche während zwei Stunden nach der Einspritzung gesammelt war, war stark blutig gefärbt; die mikroskopische Untersuchung ergab die Gegenwart von Blutkörperchen, deren Menge aber jedenfalls so gering war, dass die Färbung des Harns nicht durch sie bedingt sein konnte. Bei der Spectraluntersuchung zeigten sich sehr deutlich der Methämoglobin- streifen im Roth und schwache Oxyhämoglobinbänder. Die dritte Portion zeigte unter dem Mikroskop keine Blutkörperchen und bei der Spectraluntersuchung keine deutlichen Absorptionstreifen; dieselbe gab eine sehr prägnante Gmelin’sche Reaction. 2. Versuch. Ein ziemlich grosser Hund wurde in der früher beschrie- benen Weise operirt; zunächst wurde 1 Stunde lang normaler Harn aufge- fangen; sodann 100 Ccm. Hämogiobinlösung eingespritzt und eine halbe Stunde später weitere 50 Ccm. Die zuerst aufgefangene Harnmenge enthielt keine Spur von Gallenstoff. Die zweite Portion, welche während 2 Stunden nach dem Beginn der Hämoglobineinspritzung gesammelt wurde, enthielt geringe Mengen von Blutfarbstoff, Methämoglobin und Blutkörperchen, aber keine Spur von Gallenfarbstoff. Eine dritte Portion, welche während der folgenden Stunde gesammelt wurde, war nur wenig blutig gefärbt; sie enthielt sehr wenig Blutkörperchen und Methämoglobin, gab aber eine sehr deutliche Gmelin’sche Gallenfarb- stoffreaction. Die Gegenwart von Gallenfarbstoff in dem Harne war schon daran deutlich zu erkennen, dass die essigsaure Lösung des Kalkniederschlags aus dem Harne nach einiger Zeit ganz grün wurde. Eine vierte Portion, welche während der dritten und vierten Stunde nach der Einspritzung erhalten wurde, enthielt keine Spur von Blutfarbstoff und war intensiv gelbgrün gefärbt, dieselbe gab eine sehr ausgeprägte Gallen- farbstoffreaction. In diesem Falle gelang es auch den Gallenfarbstoff mittelst Chloroform zu extrahiren, welcher sich beim Verdunsten in Biliverdin um- wandelte, das in unerheblicher Menge zurückblieb. Die beiden beschriebenen Versuche erwiesen unzweifelhaft den Uebergang von Gallenfarbstorff in den Harn nach Injection von Blutfarbstofflösung in die Vene, aber es blieb über den causalen Zu- sammenhang noch Mancherlei zu entscheiden übrig. Zunächst ist die Angabe von N a u n y n, V o i t, Steiner, dass der normale Hunde- und Kaninchenharn oft Gallenfarbstoff enthalte, und dass dieses bei Kaninchen (nach Steiner) nach 20stündigem Hunger stets der Fall sei, zu prüfen. Ich habe 6 Kaninchen, erst ohne ihnen Wasser zu geben, 2 Tage, und dann bei Verabreichung von Wasser, wieder 2 Tage hungern lassen und dann den durch Druck auf die Blase ent- leerten reichen Harn untersucht; es fand sich aber weder direct Ueber die Bildung von Gallenpigment aus Blutfarbstoff im Thierkörper. 61 durch Prüfung mit der Gmelin’schen Reaction noch nach der Kalkfällung die geringste Spur von Gallenfarbstoff. Prof. Hoppe- Seyler konnte ebenso, wie er mir mündlich mittheilte, in mehreren früher bei hungernden Hunden angestellten Versuchen Gallenpigment nie auffinden. Thiere bei denen sich Gallenfarbstoff im Harne findet, sind als krank anzusehen. Zu den entgegengesetzten Angaben hat wohl immer eine Verwechslung mit Indigo geführt. Schon aus Herrmann’s Versuchen war ferner bekannt, dass nach Einspritzung von reinem Wasser Cholurie erzeugt werden konnte; es war daher nothwendig, dass ich mich überzeugte, ob die in den beschriebenen Versuchen mit dem Hämoglobin eingespritzten Wassermengen (100—150 Ccm.) eine so heftige Cholurie, wie beob- achtet war, hervorrufen konnten. Zu diesem Zwecke wurde folgender Versuch angestellt: 3. Versuch. Einem massig grossen Hunde, der wie in den beiden ersten Versuchen operirt war, wurden 150 Ccm. destillirtes Wasser von Zim- mertemperatur während J/2 Stunde nach und nach eingespritzt. Während einer Stunde vor der Operation wurde der normale Harn des Hundes aufge- fangen; derselbe enthielt keine Spur von Gallenfarbstofif. Der während der ersten Stunde nach der Einspritzung gesammelte Harn war blutig gefärbt, diese Färbung nahm während der folgenden Stunden ab, verschwand aber nie ganz (der Versuch dauerte 6 Stunden). Die während der ersten 4 Stunden gesammelten Harnmengen enthielten keinen Gallenfarbstoff; nur der während der letzten zwei Stunden gesammelte Harn gab die Gmelin’sche Reaction, das Farbenspiel derselben war aber viel schwächer und die Grünfärbung war nicht so intensiv wie in den früheren Versuchen. Wenn Herrmann bei seinen Versuchen sehr deutliche Gallenfarbstoffreaetion erhielt, so ist der Unterschied zwischen den von ihm und den von mir erhaltenen Resultaten sehr leicht erklärlich durch die viel grössere Wassermengen (600 Ccm.), welche Herrmann einspritzte. Hier ist es nur von Bedeutung hervorzuheben, dass mit der grössten Wahrscheinlichkeit die in den ersten beiden Versuchen er- haltenen Mengen von Gallenfarbstoff nicht allein durch die Ein- wirkung des Wassers auf das Blut des Thieres entstanden waren, sondern zum grössten Theile ein Product der Umwandlung des ein- gespritzten Hämoglobins waren. Da es jedoch aus den Versuchen von Nothnagel1), Bern- stein2) und Leyden3) schon bekannt ist, dass in Folge der Ein- 1) Berlin, klinische Wochenschrift 1868. 2) Moleschott’s Untersuch. Jahrg. 1867. 3) Beiträge zur Pathologie des Icterus, Berlin 1866. 62 Johannes Fürst Tarchanoff: spritzung von Chloroform oder Aether in das Blut, Cholurie erzeugt wird, so war es nothwendig, auch in dieser Richtung den Versuch anzu- stellen, in welcher Weise die bei der Operation erzeugte Chloroform- narcose, ohne Einspritzung von Hämoglobin, auf den Harn verän- dernd einwirkt. Zu dem Zweck wurde folgender Versuch gemacht: 4. Versuch. Ein Hund wurde in derselben Weise wie in den frü- heren Versuchen operirt und nicht nur während der Operation wie bei den ersten Versuchen, sondern noch während der ganzen Dauer des Versuchs (6 Stunden) in der Chloroforranarcose, die durch Inhalation des Chloroform er- zeugt war, erhalten. Der während dieser Zeit in verschiedenen Portionen gesammelte Harn enthielt keine Spur von Gallenfarbstoff. Ohne Zweifel ist demnach die in den beiden ersten Versuchen erhaltene Cholurie nicht durch die Narcose und die Operation, son- dern nur durch die Einspritzung der Hämoglobinlösung bedingt. Wie können nun aber die negativen Resultate, welche Steiner nach Einspritzung von Wasser an Kaninchen erhalten hat, erklärt werden? Kaum anders als durch die Annahme, dass Steiner den Gal- lenfarbstoff im Harne seiner Versuchsthiere übersehen hat, oder der Gallenfarbstoff von der Blase in das Blut zurückkehrte, oder dass die Kaninchen sich bei Einspritzung von Wasser in das Blut anders verhalten als Hunde. Diese letztere Annahme hat nicht viel Wahr- scheinlichkeit, weil Steiner blutig gefärbten Harn von seinen Thie- ren erhalten hat, also eine Lösung des Blutfarbstoffs vorhanden war, und es nun doch sehr auffallend sein würde, wenn der gelöste Farb- stoff bei Kaninchen sich anders verhielte, als beim Hunde. Da, wie oben hervorgehoben ist, die Methode, welche Steiner zur Unter- suchung des Harnes benutzt hat, erhebliche Einwände zulässt, wird in ihr die Hauptursache seiner Misserfolge zu suchen sein. Diejenigen, welche durchaus der Leber allein die Fähigkeit der Gallenfarbstoffbildung zuertheilen wollen, werden nun aber viel- leicht erklären, dass der gelöste Blutfarbstoff wohl zur Gallenfarb- stoffbildung Veranlassung gebe, aber dieselbe geschehe eben in der Leber. Wäre dies wirklich der Fall, warum scheidet dann die Leber diesen Farbstoff nicht in der Galle ab, sondern lässt ihn in das Blut zurücktreten? Welcher Grund existirt überhaupt für die Annahme, dass die Leber diese Umwandlung mache? Da sich in Strumacysten- flüssigkeiten neben gelöstem Methämoglobin gar nicht selten Bili- Ueber die Bildung von Gallenpigm ent aus Blutfarbstoff im Thierkörper. 63 rubin findet bei Individuen, die durchaus nicht icterisch sind und ganz gallenfarbstofffreien Harn ausscheiden, würde man ebenso an- nehmen müssen, der gelöste Blutfarbstoff gelange aus der Cyste der Thyreoidea in die Leber und der daraus gewonnene Gallenfarbstoff dann wieder in die Cyste. Yirchow hat gegen die hämatogene Gallenfarbstoffbildung nur insofern Einwendung gemacht, als er sagt, dass durch Wasser- hämoglobin-Injection u. s. w. wohl Gallenfarbstoff gebildet werden möge, aber hierbei noch kein Icterus entstehe. Zur Ausbildung der Tingirung der Gewebe ist aber Zeit und viel Farbstoff erforderlich, in Versuchen, wie die oben geschilderten, kann desshalb auch Icterus gar nicht erwartet werden, und wenn die Leber ebenso für Gallen- farbstoff, wie für Gallensäuren (nach Schiffs Beobachtung) die Fähigkeit der besonderen Aufnahme aus dem Blute und der Aus- scheidung durch die Galle besitzt, so ergiebt sich allerdings für das Zustandekommen eines hämatogenen Icterus bei völlig ungehindertem Austritt der Galle in den Darm eine nicht unbedeutende Schwierig- keit, da bei weitem der grösste Theil des gebildeten Gallenfarbstoffs durch die Leber in den Darm übergehen und dort in bekannter Weise modificirt und theilweise wenigstens in den Excrementen aus- geschieden wird. Da über das Verhalten der Leber und der Galle keine Untersuchungen in dieser Richtung vorliegen und durch solche jedenfalls ermittelt werden könnte, ob eine vermehrte Gallenfarb- stoffbildung vorhanden war nach Wasser oder Blutfarbstoffinjection, habe ich der Aufforderung von Prof. Hoppe-Seyler entsprechend, zunächst einen Versuch ausgeführt von verdünnter Blutfarbstoff- injection bei einem Hunde mit permanenter Gallenblasenfistel bei offenem Ductus Choledocus. (Die Fistel dieses Hundes besteht be- reits 3/4 Jahre und der Hund ist wohl und sehr gut genährt, mit diesem Hunde hatte Prof. Hoppe-Seyler vorher mehrere Ver- suchsreihen über Gallenausscheidung vorgenommen). Es wurden von mir zunächst drei Portionen Galle, jede in V2 Stunde secernirt hin- ter einander aufgefangen, dann in die rechte Jugularvene langsam 150 Ccm. Blutfarbstofflösung injicirt und nun noch vier Portionen Galle nacheinander, jede in V2 Stunde secernirt, aufgefängen. Die Gallenquantitäten wurden gewogen, jede mit 30 Ccm. absoluten Al- kohol gemischt, filtrirt und 1. nach der Färbung der Gallenfarb- stoffgehalt annähernd (nach der Methode Hoppe-Seyler’s für den Gehalt des Blutes an Blutfarbstoff) durch Vergleichung elativ 64 Johannes Fürst Tarciianoff: ermittelt, 2. der Gehalt an in Alkohol löslichen Stoffen durch Ab- dampfen und Trocknen bestimmt. Nr. Zeit der Ansammlung. Quantität der Galle in Grammen. In Alkohol löslich. Stoffe in Summe in Grm. Procentgeh. d. Galle an in Alkohol lös- lich. Stoffen. Relativer Gallenfarb- stoffgehalt. I. 2 U. bis 2 U. 30 M. 6,89 1,12 16,25 1.35 II. 2 U. 30 M. bis 3 ü. 6,624 0,97 14,64 1.34 III. 3 U. bis 3 U. 30 M. 5,584 0.74 13,25 1,30 IY. 3 U. 30 M. bis 4 ü. 5,343 0,71 13,28 1,00 Blutfarbstofflö sungsinjection. V. 1 4 U. bis 4 U. 30 M. | 9,799 1,18 12,04 4.50 VI. 1 4 U. 30 M. bis 5 U. 9,808 0,69 7,03 22,52 VII. I 5 U. bis 5 U. 30 M. 1 10,549 0,32 3,03 67,69 Die erhaltenen Werthe lassen keinen Zweifel, dass durch die Injection der verdünnten Hämoglobinlösung herbeigeführt wurde 1. eine Verstärkung der Secretion der Galle, die aber nur auf Ver- mehrung der Ausscheidung von Wasser beruhte, bei nicht unbedeu- tender Abnahme der ausgeschiedenen Gallensäuren, 2. eine höchst bedeutende, beim Anblick der Galle sofort deutlich erkennbare Steigerung der Ausscheidung von Gallen- farbstoff. Man kann nicht einwenden, dass durch den offenen Gallengang zuerst mehr Galle als zuletzt in den Darmcanal ausgetreten sei, denn die qualitative Aenderung der Galle war zu bedeutend nach der Blutfarbstoffinjection, eine so schnelle Zunahme des Gallenfarb- stoffgehaltes, wie sie nach dieser Injection gefunden wurde, ist bis jetzt überhaupt noch nicht beobachtet worden. Der von dem Hunde rein aufgefangene Harn, der V2 Stunde nach Beendigung der Aufsammlung der Galle gelassen wurde, ent- hielt keinen Blutfarbstoff und keinen Gallenfarbstoff. Die Quantität der in die Vene inj icirten Lösung war für den ziemlich grossen Hund nicht bedeutend; ich bin überzeugt, dass der von den Nieren secer- nirte Harn Gallenfarbstoff enthielt, dass derselbe aber von (len Harn wegen wieder in das Blut resorbirt und durch die Galle aus- geschieden wurde. Diejenigen, welche trotz aller entgegenstehender Beobachtungen nur der Leber die Gallenfarbstoffbildung zuschreiben, werden nun auch die vermehrte Bilirubinausscheidung in der Galle nach Blut- farbstoffinjection nur als Folge einer vergrösserten chemischen Thä- Ueber die quantitative Bestimmung des Milchfettes. 65 tigkeit der Leber ansehen. In wie weit diese Ansicht unrichtig ist, werde ich durch eine zweite Reihe von Versuchen darlegen, die ich bald veröffentlichen werde. Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass nach den beschriebenen Verhältnissen bei offenem Ductus choledochus ein hämatogener Icterus begleitet sein wird von reichlicher Gallenfarb- stoffausscheidung in den Darmcanal und starker Färbung der Fäcal- stoffe — ein unzweifelhaft wichtiges diagnostisches Kennzeichen. Die vorstehende Arbeit wurde im Laboratorium des Herrn Prof. Hoppe-Seyler ausgeführt, dem ich für seine freundlichen Rath schlage herzlichsten Dank sage.