Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe und der Muskeln. Von E. du Bois-Reymond. Die ausgezeichnete Schrift von Hrn. Max Schultze über den Bau der elektrischen Organe enthält folgende An- gaben : „Die electrischen Organe lebender Zitterrochen reagiren deutlich sauer. Trocknes blaues Lackmuspapier auf eine frische Schnittfläche der Organe gedrückt, färbt sich ausnahmslos roth. Die Farbenverän- derung tritt auch beim Auflegen ausgeschnittener Stückchen ein und zeigt sich ebenfalls bei Organen bereits abgestorbener Fische, denen durch Reizung des electrischen Lappens des Hirns kein electrischer Schlag mehr entlockt werden kann. Drückt man Stücke des sehr saf- tigen Organes zwischen den Fingern oder in einem Leinwandsäckehen aus, so giebt die abtropfende Flüssigkeit dieselbe Reaction. Diese Flüssigkeit in einem Lhrglase gesammelt, gerinnt wenigstens innerhalb der ersten Stunde nicht. Auch zeigten die electrischen Organe un- verletzter Fische zu einer Zeit, wo die Muskeln in Todtenstarre lagen, so viel ich beobachten konnte, keine Veränderung im Vergleich mit den Organen lebender Tbiere. Wäscht man kleingeschnittene frische electrische Organe mit destillirtem Wasser aus, so erhält man eine fast farblose, von wenig beigemischtem Blute kaum röthlich gefärbte, trübe, stark schäumende, dickliche, doch nicht fadenziehende Flüssig- keit von deutlich saurer Reaction.“ *) Ich selbst habe einige Beobachtungen über die Reaction des Organes vom Malapterurus gemacht. Schon bei Gelegenheit des Todes des grössten der drei Fische der ersten Sendung, deren Geschichte ich in der öffentlichen Sitzung der Akademie am 28. Januar 1858 erzählte,2) unterliess ich nicht, die Reaction des Organes zu prüfen. Doch geschah dies erst, als seit dem 1. 1) Zur Kenntniss der electrischen Organe der Fische. Besonders abgedruckt aus dem 4. und 5. Bande der Abhandlungen der Naturfor- schenden Gesellschaft in Halle. Zweite Abteilung. Torpedo. Halle 1859. 4o. S. 27. 2) Monatsberichte der K. Preuss. Akademie der Wissenschaften. 1858. S. 89. E. d u Bois • Key mond: Tode des Fisches mindestens 30 Stunden verflossen waren. Der Fisch hatte zwar diese Zeit in einer Temperatur von nur wenigen Graden über Null zugebracht, und das Organ zeigte noch lange nachher secundär-elektromotorische Er- scheinungen, die auf die Erhaltung des Lebenszustandes in gewissem Grade deuten.1) Ich zog es jedoch damals vor, das Ergebniss, zu dem ich gelangte, neutrale Reaction des Organes nämlich nach Art der Muskeln, mit Stillschweigen zu übergehen. Am 3. Mai d. J. ward abermals ein Malapterurus Beni- nensis, von einer zweiten, im Juli und August 1858 durch die Güte der Hrn. Bence Jones und Goodsir an mich gelangten Sendung stammend, in meinem Aquarium todt ge- funden. Das Organ schlug weder mehr bei Berührung der Haut durch Reflex, noch bei elektrischer Reizung seines Ner- ven; doch war es noch vollkommen frisch. Jede Schnitt- fläche des Organes reagirte neutral in der Art, wie frischer Muskelquerschnitt. So war auch das Verhalten noch nach 24 Stunden. Am dritten Tage dagegen war das Organ deut- lich saueü geworden. Die rothen Flecke verschwanden nicht beim Trocknen. Am vierten Tage war das Organ in offener Fäulniss, und reagirte alkalisch. Die Temperatur schwankte um 15° C. An dem frischen Organ am ersten Tage prüfte ich die Wirkung höherer Temperaturgrade auf die Reaction. Es zeigte sich, dass ein Aufenthalt von 5' in Wasser von 40 bis 50 ° C., der beiläufig die Consistenz des Organes ganz unver- ändert zu lassen scheint, die Reaction aus der neutralen in die saure verwandelt. Es gehörte aber zum Hervortreten der letzteren eine viel längere Berührung mit dem blauen oder violetten Lackmuspapier, als bei Froschmuskeln, die auf 40° C. erwärmt worden sind. Ein anderer Unterschied von den Froschmuskeln bestand darin, dass die Organstücke, obschon sie dünne, rasch von der Hitze zu durchdringende Streifen dar stellten,*) auch durch 2' langen Aufenthalt in der Sied- hitze, welche gleichfalls nicht seiner Wärmestarre des Organes Aelmliches herbeiführt, sauer wurden. In dieser Hinsicht stimmt also das elektrische Organ mit der Nervensubstanz überein, welche gleichfalls, wie Hr. Funke gezeigt hat,3) durch die Siedhitze sauer wird. Während aber Hr. Funke die Nervensubstanz durch die Siedhitze noch saurer werden lässt, als durch die Temperatur von 40—50°, glaube ich er- kannt zu haben, dass in dem Fall des gesottenen Organes die saure Reaction eine minder ausgesprochene ist, als in dem 1) Monatsberichte der K. Preuss. Akademie der Wissenschaften. 1858. S. 106. 2) Monatsberichte a. a. O. S. 307. 3) S. oben S. 841. Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe u. s. w. 3 Fall des nur bis 40 oder 50° erhitzten: worin man eine An- deutung des von mir bei den Muskeln beobachteten Verhaltens sehen könnte. Da das Organ des Malapterurus in diesem Falle sowohl mit der Zeit von selbst als auch sofort durch die Hitze sauer wurde, so kann man, wie mir scheint, nicht sagen, dass dasselbe vielleicht zu schlecht genährt gewesen sei, um die nach Hrn. Schultze’s Angabe dem elektrischen Or- gan eigentlich zukommende saure Reaction zu zeigen. Eben so wenig ist daran zu denken, dass diese Reaction bereits durch ammoniakalische Fäulniss verdeckt gewesen sei, denn es war erstens viel zu früh nach dem Tode, es fehlte zwei- tens an allen Zeichen der Fäulniss, und es würde drittens dabei unverständlich bleiben, wie das Organ sich selbst über- lassen oder höheren Temperaturgraden ausgesetzt sauer wurde. Da es nun höchst unwahrscheinlich ist, dass das elektrische Organ von Malapterurus im frischen Zustande neutral, das von Torpedo aber sauer reagire, so ist wohl die beste Annahme die bereits von Hrn. Funke1) angedeutete, dass das elektrische Or- gan , ähnlich dem Muskel nach meiner, und dem Nerven nach Hrn. Funke’s Beobachtung, sich bei dauernder heftiger Lei- stung säuere. In der That kann man sich leicht denken, dass die Zitterrochen von dem Augenblick des Fanges an, bis sie in die Hände des Experimentators gelangen, einer Menge von Kränkungen ausgesetzt sind, welche sie nicht verfehlen jederzeit mit Schlägen zu beantworten, so dass sie sich gleichsam von selbst in den Fall meiner bis zur Erschöpfung tetanisirten Hunde, Kaninchen oder Frösche versetzen. 2. In Bezug auf die Säuerung der Muskeln durch die Zu- sammenziehung schreibt mir Ilr. Professor Schwann aus Löwen vom 21. August d. J.: „Ich danke Ihnen sehr für die freundliche Uebersendung Ihrer neuesten Abhandlung über die Reaction der Muskeln, und beeile mich, Ihnen ein darauf bezügliches Factum mitzutheilen, welches Sie gewiss interessiren wird. Die Entwickelung der Säure ist offenbar die Ur- sache, weshalb frisch geschlachtetes Fleisch weniger mürbe ist, als solches, das ein paar Tage gelegen hat. Hören Sie was mir vorge- kommen ist. Ich war bei einem Freunde auf einem benachbarten Landgute. Es wurden viele Gäste zu der Eröffnung der Jagd und dem dabei stattfindenden Essen eingeladen. Da aber der Tag der Jagderöflfnung zu spät war bekannt gemacht worden, so konnten die Antworten der Eingeladenen nicht zeitig genug einlaufen, um darnach das Essen einzurichten. Es hiess also: Nötigenfalls ist der Hühner- hof reichlich genug versehen, um auszuhelfen. Ich machte die Bemer- kung, dass frisch geschlachtete Thiere nicht sofort gebraten werden könnten, weil sie nicht mürbe sind; worauf mein Freund Folgendes 1) S. oben S. 843. 4 E. du Bois-Reymond: antwortete: „Es giebt allerdings ein Mittel, diesem Uebelstande abzu- „helfen und das Fleisch mürbe zu machen, aber es ist zu grausam, „als dass ich es anwenden möchte. Es besteht darin : Man giesst dem „lebenden Huhn mit Gewalt einen Löffel Essig in den Mund, bringt „es dann in ein verschlossenes Zimmer, worin nichts Zerbrechliches ist, „namentlich keine Glasscheiben, und jagt es darin herum bis zur gänz- lichen Ermüdung des Thiers. Wenn man alsdann das Thier sogleich „schlachtet, so ist das Fleisch sehr mürbe.“ Sie sehen also, dass die Köchinnen Ihrer Entdeckung zuvorgekommen sind und wissen, dass die Säure das Fleisch mürbe macht und dass diese Säure durch hef- tige Anstrengung der Muskeln am lebenden Thier hervorgerufen werde. Es ist jedenfalls interessant zu sehen, wie die wissenschaftliche For- schung Verfahrungsweisen erklärt, auf welche die blosse Erfahrung des gewöhnlichen Lebens schon geführt hatte. Ich glaube, dass die mit- getheilte Thatsache als Bestätigung Ihrer schönen Versuche über die Reaction der Muskeln Interesse für Sie haben wird.“ Wie ich vernehme, herrscht im Inneren von Chile auf den Haciendas ebenfalls die Sitte, die Hühner, auf die der Rei- sende gewöhnlich als einzige Fleischkost angewiesen ist, durch Ümherjagen und wiederholte Steinwürfe zu Tode zu hetzen. Sollte das Vorkommen derselben Sitte in Chile und in Belgien auf einen gemeinsamen spanischen Ursprung deuten? 3. Unter dem Titel: „Ueber die angeblich saure Reac- tion des Muskel fl eisches“ hat Hr. v. Liebig in den Annalen der Chemie und Pharmacie (1859. Bd. CXI. S. 357.) sich über meine denselben Titel führende Abhand- lung in den Monatsberichten der Akademie (März 1859. S. 288) in einem Tone geäussert, zu dem ich nicht das Bei- spiel gegeben habe, und den ich mir nicht zum Muster neh- men werde. Meine erste Regung war, Hrn. v. Li ebig’s An- griff ganz unbeantwortet zu lassen, und die Entscheidung zwischen ihm und mir ruhig der Zeit anheimzugeben. Persön- liche Rücksichten, die man aus dem Folgenden leicht begreifen wird, bestärkten mich in diesem Entschluss. Viele Freunde dringen indess in mich, ein Stillschweigen zu brechen, wel- ches als Anerkennung eines Unrechts auf meiner Seite ge- deutet werden könnte; und so nehme ich denn mit Wider- streben den Handschuh auf. Hrn. v. Liebig’s Streitschrift hat zwei Seiten, eine per- sönliche und eine sachliche. Hr. v. Liebig giebt zu, durch seinen Sohn Kenntniss von meinen Versuchen über die Reaction der Muskeln erhal- ten zu haben. Er behauptet aber, dies sei nicht Veranlas- sung zu den Versuchen gewesen, die er über denselben Ge- genstand angestellt habe, sondern er sei bereits von „den ver- schiedensten Seiten“ her auf seinen Irrthum aufmerksam ge- macht worden. Von der Art der Hrn. v. Liebig gemachten Mittheilungen Bemerkungen über die Reactiun der elektrischen Organe u. s. w, 5 hängt es alsdann ab, ob er das Reeht hatte, die Thatsache in seinen „Chemischen Briefen“ so anzuführen, wie er gethan hat, nämlich als ob er dieselbe selbständig gefunden. Dies geht mich nicht weiter an, und ich enthalte mich dar- über jedes Urtheils. Ich werde aber zeigen, dass ich im Rechte war, als ich den Vorgang so darstellte, als habe Hr. v. Liebig die erste Nachricht seines Irrthums aus seines Sohnes Mittheilungen über meine Versuche geschöpft. Hr. v. Liebig beruft sich, um seine Aussage zu erhär- ten, auf das Zeugniss seines Sohnes, der in einem aus Rei- chenhall am 19. Juli 1859 zu diesem Zweck geschriebenen Briefe am Schluss sagt: „Da ich wusste, dass das Resultat“ (der von den Hrn. v. Liebig, Vater und Sohn, mit Hrn. Th. L. Bischoff angestellten Versuche) „meinen Freund Dubois interessiren würde, so theilte ich ihm dasselbe mit, und ich erinnere mich, dass er später in einem Brief an mich meine Aufmerksamkeit darauf richtete, dass in Bezug auf dieses Re- sultat seine Priorität in den chemischen Briefen nicht gewahrt sei. Da ich mir indessen bewusst war, dass meine Mittheilung die Versuche in Giessen nicht veranlasst hatte, so schien mir damals der Anspruch meines Freundes Dubois, an dem er- wähnten Orte besonders als der Eigenthiimer der Beobach- tung angeführt zu werden, kaum hinlänglich begründet.“ Ich bin noch im Besitze meines damaligen Briefwechsels mit Hrn. Georg v. Liebig, und es ergiebt sich daraus, dass ihn jetzt, beim Niederschreiben des Briefes an seinen Vater, sein Gedächtniss in mehrfacher Beziehung getäuscht hat, was leicht zu entschuldigen ist, wenn man bedenkt, ein wie bewegtes Leben er während der neun Jahre geführt hat, die seit jenem für ihn vergleichweise unbedeutenden Ereig- nisse verflossen sind. „Diesen Winter,“ schrieb mir Hr. G. v. Liebig aus Darm- stadt am 1. Mai 1851, „machte ich den Versuch auf die Reaction der frischen Muskeln“, von dem viel zwischen uns die Rede ge- wesen war, da meine der Lehre seines Vaters zuwiderlau- fende Angabe ihn sehr überrascht hatte. Es folgt die Be- schreibung seines Versuches. „Einige Zeit darauf“, fährt Hr. G. V. Liebig fort, „machte mein Vater mit Hülfe Bischoff’s in meiner Gegenwart Versuche zu demselben Zweck, auf folgende Art“ u. s. vv. Ich machte hierauf Hrn. G. v. Liebig Vorwürfe, dass er mit seinem Vater und Hrn. Bischoff Versuche über einen Gegenstand unternehme, mit dessen Verfolgung ich, wie er wisse, beschäftigt sei. Darauf antwortete mir Hr. G. v. Lie- big aus Giessen am 27. Mai 1851: „Ich sollte Dir eigentlich ernstlich böse sein über die Zu m u t h u ng, die Du mir machst, als ob ich mir fremdes, und zwar Dein geistiges Gut aneignen wollte. Die Ver- suche, die ich Dir mittheilte, geschahen blos zu meiner und meines Vaters Aufklärung und es fälltNiemand ein, etwas davon zu publiciren, da es auch für uns zu nichts 6 E. du Bois - Rey m on d: führen würde. Ich dachte, die Sache würde Dich interessiren und theilte Dir daher die Resultate mit... Die chemischen Briefe“ (d. h. die dritte Auflage derselben) „sind fertig und ich werde bald Dir und Müller ein Exemplar zuscbicken, im Namen meines Vaters.“ In der That erhielt ich dasselbe bald darauf, und fand darin, ohne meinen Namen, die Versuche angeführt, von de- nen mir Hr. G. v. Liebig erst eben noch geschrieben hatte, „sie geschähen blos zu seiner und seines Vaters Aufklä- rung, es falle Niemand ein, etwas davon zu publiciren und sich mein geistiges Eigenthum anzueignen.“ Hierüber zur Rede gestellt, gab Hr. G. v. Liebig aus Giessen am 26. September 1851 die ausweichende Antwrort: „Ueber die Geschichte mit dem „Plagiat“ lass Dir nur vorher bemerken, dass ich überzeugt bin, dass Du mir oder meinem Vater keine mala fides gegen Dich unterlegst; das üebrige wird sich bei mündlicher Besprechung leicht ausgleichen — Papier mit Erklärungen hin- und herzusenden, halte ich nur zur Hervorrufung neuer Missver- ständnisse dienlich und das Vertrauen störend.“ Aus diesem Briefwechsel folgt unabweisbar, dass bis zum 26. September 1851, d. h. bis lange nach dem Er- scheinen der „Chemischen Briefe“ Hr. G. v. Liebig meine Ansprüche an die streitige Thatsache unbedingt aner- kannte, was er jetzt läugnet, und dass er von anderen dar- über an seinen Vater gelangten Mittheilungen nichts wusste, was er jetzt behauptet. Wäre letzteres der Fall gewesen, so hätte er, statt lahmer Entschuldigungen, mir einfach geschrie- ben, ich täusche mich, (wenn ich glaube, jene Versuche ge- hörten mir; was ich für neu halte, sei in Giessen durch Hrn. Bence Jones und Hrn. Bi sch off längst bekannt: womit ja Alles zu Ende gewesen wäre. Dies der Thatbestand. Die Schlüsse daraus möge jeder selber ziehen. Den Meisten, glaube ich, wird es schwer fal- len sich nicht zu wundern, dass Hr. G. v. Liebig monate- lang mit seinem Vater und Hrn. Bi sch off wissenschaft- lich verkehren und mit ihnen Versuche über die Reaction der Muskeln anstellen konnte, ohne einen Wink zu erhalten, dass diese Versuche, die er als Wiederholung der meinigen betrachtete, von jenen nicht so angesehen wurden; und dop- pelt unbegreiflich wird es alsdann erscheinen, dass, als ich Hrn. G. v. Liebig wegen der Stelle in den „Chemischen Brie- fen“ in die Enge trieb, er nicht schon damals von seinem Vater die Auskunft erbat und erhielt, die jetzt Beide geben, und die nach Beider Aussage damals so nah lag wie jetzt. Was den sachlichen Theil von Hrn. v. Liebig’s Streit- schrift anlangt, so kann ich mich kurz fassen. Hr. v. Lie- big hat sich in der ersten Aufwallung offenbar nicht dazu erheben können, die persönliche und die wissenschaftliche Seite der Frage auseinander zu halten. Wer nichts als Hrn. v. Liebig’s Aufsatz gegen mich gelesen, müsste wahrlich glauben, meine Abhandlung enthalte „auf 38 enggedruck- Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe u. s. w. 7 ten Seiten“ nichts als die verspätete Reclamation wegen der Reaction der frischen Muskeln, eine hämische und vom Zaun gebrochene Anspielung auf Hrn. v. Liebig’s Streit mit Berzelius über die Milchsäure, und einen Strom son- stiger „Invectiven“ gegen Hrn. v. Liebig: so nämlich scheint dieser Chemiker eine jede Erwähnung seiner Arbeiten oder Meinungen zu bezeichnen, die nicht von unterwürfiger Zustimmung überfliesst. Hr. v. Liebig, der mir Schicklichkeit predigt, vergisst sich so weit, dass er seine eigenen älteren Versuche einen „Kehrichthaufen“ nennt, den ich besser vor der Akademie der Wissenschaften nicht „umgewühlt“ hätte. Hr. v. Lie- big spottet über die Entdeckungen, die ich mit Lackmus- papier mache (als ob es den Werth einer Thatsache schmä- lere, dass man zu ihrer Beobachtung nur einfacher Mittel be- darf); er versichert seinen chemischen Lesern auf guten Glauben, ich habe keinen Begriff vom Wesen einer chemi- schen Untersuchung, und jede Zeile, in der ich von chemi- schen Dingen rede, enthalte ein Verbrechen (als ob es als- dann nicht um so schlimmer für ihn sei, wenn ich ihn dennoch eines so gewichtigen Irrthums überführt habe); er begreift nicht, weshalb er die Reaction der lebenden Muskeln hätte berücksichtigen sollen (als ob er seine „Chemische Untersu- chung über das Fleisch“ nicht in dem vollen Wahne geführt hätte, er ermittele die Zusammensetzung der lebenden Mus kein); er behauptet, dass nicht er an seinem Irrthum Schuld sei, sondern der Zustand der Physiologie im Jahre 1847, in dem „man sich selbst über eine so einfache Sache nicht un- terrichten konnte,“ (als ob dies nicht, seitdem es Lackmuspa- pier giebt, jeder Student der Medicin gekonnt hätte, und als ob nicht bereits im Jahre 1844, als der thierische Körper in Giessen noch keine Milchsäure enthalten durfte, Hr. En- derlin in Hrn. v. Liebig’s Laboratoiium richtig gefunden und in den Annalen der Chemie und Pharmacie gedruckt hätte, dass frisches Fleisch nie sauer reagirt, wie Hr. v. Lie- big, wenn er es vergessen, in meiner Abhandlung hätte lesen können); er wirft mir vor, ich betrachte die Milchsäure im absterbenden Muskel als „ein Product der Fäulniss“, während ich mit gutem Bedacht geschrieben habe, die Säure werde im Muskel erst zur Zeit der beginnenden Fäulniss frei u. s. w. Den Chemikern, denen die Monatsberichte der Akade- mie weniger zugänglich sein sollten, hat die Redaction des Journals für praktische Chemie durch Abdruck des gröss- ten Theiles meiner Abhandlung1) Gelegenheit gegeben, sich zu überzeugen, dass ausser den von Hrn. v. Liebig bemerkten Punkten noch einige neue und vielleicht nicht ganz unbedeu- tende Beobachtungen, die Frucht dauernder Anstrengung, 1) Bd. LXXVII. S. 206. 8 E. du Bois-Reymond. darin enthalten sind. Ich muss Hrn. v. Liebig, als Ge- schwornen über den Werth meiner Arbeit, wegen Befangen- heit ablehnen. Das Urtheil der Hrn. Funke, Kühne, Leh- mann1), Schwann, und noch mancher Anderen, dürfte eher das der Zukunft abspiegeln, welches vielleicht von der gründlichen Beseitigung des Irrthums, dass die freie Milch- säure schon im lebenden Muskel zugegen sei, den Anfang einer physiologischen Muskelchemie herschreiben wird. 1) Handbuch der physiologischen Chemie, mit besonderer Berück- sichtigung der zoochemischen Dokimastik. 2. Aufl Leipzig 1859 S. 317. (Aus Reichert’ s und du Bois- Reymond’ s Archiv, Jahrgang 1859, 6. Heft, S. 846.) Berlin, Druck der Gebr. Uuger’sclien Hofbuchdruckerei.