lus dem LXXI. Bande der Sitzb. der k. Akad. der Wissenseil. III. Abth. Jänner-Heft. Jalirg. 1875. Über die Wirkungen des Muskelstromes auf einen secundären Stromkreis und über eine Eigentümlichkeit von Inductions- strömen, die durch einen sehr schwachen primären Strom inducirt worden sind. Von Ernst Brücke. (Mit drei Holzschnitten.) (Vorgelegt in der Sitzung vom 21. Jänner 1875.) Nach all den Aufschlüssen, welche die Magnetnadel über den Muskelstrom gegeben hat, kann es fast überflüssig er- scheinen, die Inductionswirkungen desselben auf einen Strom- kreis experimentell zu untersuchen, da sie sich ja in jedem ein- zelnen Falle nach theoretischen Grundsätzen vorausbestimmen lassen. Indessen wird der directe, augenfällige Nachweis der- selben eine Lücke in der Experimental-Physiologie ausfüllen, und zugleich knüpfen sich an ihn gewisse Hoffnungen, von denen ich weiter unten sprechen werde. Die einzige Nachricht Uber eine merkliche Inductionswirkung des Muskelstromes, die mir bekannt geworden ist, hat Em. du Bois-Reymond ge- geben i. Indem er sich bei Untersuchungen über die negative Stromschwankung des Differenzialrheotoms bediente, unter- suchte er zuerst, welchen Bruchtheil des Stromes das in Drehung begriffene Instrument im Bussolkreise bestehen liess. Es fiel ihm auf, dass auch für solche Drehungs-Geschwindigkeiten, bei denen die Ablenkung des Magnets beständig wird, die Grösse der letzteren nicht unabhängig war von der Umlaufszeit des Rheotoms. Wenn wir diese Ablenkung a nennen, und diejenige, welche unter gleichen Umständen der dauernd geschlossene Strom hervorgebracht haben würde A, so sank der Werth ~ bei noch weiter zunehmender Geschwindigkeit. Er leitete dies davon i Über die negative Schwankung des Muskelstromes bei der Zusam- menziehung. Reich ert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1873, p. 583 und 584. 2 Brücke her dass , wegen der in den Windungen der Bussole statt- findenden induction, bei der sehr kurzen Schliessungsdauer der Strom nicht vollständig zur Entwicklung komme. Er überzeugte sich auch von der Richtigkeit seiner Ansicht. Bei passend ver- stärktem Strome ersetzte er die windungsreichen Rollen der Bussole durch eine einzige Windung und beschränkte so die Induction auf das geringste Muss. Jetzt wurde in der That jener Werth — nicht mehr von der wachsenden Umlaufsgeschwindig- A keit des Rheotoms beeinflusst. Es schien mir demnächst wünschenswert!], die Inductions- wirkung zu untersuchen, welche der durch eine Drahtspirale kreisende Muskelstrom auf eine andere zum Kreise geschlossene Drahtspirale ausübt. Es konnte dies geschehen durch Beobach- tung der Inductionsströme, welche beim Schliessen und Offnen des Muskelstromkreises auftreten, und durch Beobachtung der In- ductionsströme, welche durch die negative Stromschwenkung, die die Contraction des Muskels einleitet, entstehen. Bei dem grossen Widerstande in der Kette, dem Muskel, und bei der theilweise dadurch bedingten Schwäche des primären Stromes, dessen Inductionswirkungen untersucht werden sollten, musste die Inductionsvorrichtung nach wesentlich anderen Grundsätzen aufgebaut werden, als die sind, nach denen man da zu verfahren pflegt, wo man zur Erzeugung des primären Stromes eine Kette von geringem Widerstande anwendet. Ich liess mir von den Herren Mechanikern Meyer und Wolff während der Sommerferien des Jahres 1874 eine Spirale von 4900 Doppelwindungen von besponnenem Neusilberdraht und besponnenem Kupferdraht wickeln und die vier Drahtenden einzeln herausleiten und mit Klemmen verbinden. Der Kupfer- draht diente als Strombahn für den primären, der Neusilber- draht für den secundären Strom. Beide Strombahnen waren also einander so viel als möglich genähert, beide waren zwar gleich lang, unterschieden sich aber sehr wesentlich in ihrem Leitungs- widerstande. Der Leitungswiderstand von einem Meter des angewendeten Neusilberdrahtes betrug 7,35 Siemens-Einheiten der Leitungswiderstand von einem Meter des angewendeten Kupferdrahtes aber nur 0,51 Siemens-Einheiten. Über die Wirkungen des Muskelstromes etc. Die vollständige Isolirung beider Leitungen von einander wurde mittelst des Multiplicators erprobt. In der Rolle befand sich ein Kern aus weichen Eisenstäben, die durch Hartpech zu einem Cylinder vereinigt waren. Als Mittel, die Inductionsströme wahrzunehmen, benützte ich den stromprüfenden Froschschenkel, anfangs so, dass ich mit dem unenthäuteten, hart über dem Knie abgetrennten Beine den Nervus ischiadicus mehr oder weniger lang heraus- präparirte und den Letzteren dann über ein paar Platin- elektroden legte, die in Hartgummi eingelassen waren. Diese Elektroden waren G Mm. von einander entfernt, und der Nerv wurde stets so aufgelegt, dass er über die seinem abgeschnittenen Ende zunächstliegende Elektrode nur ganz wenig oder gar nicht hinausragte. Dass man, um möglichst grosse Emptindlich- keit zu erzielen, in dieser Weise auüegen muss, ist eine Folgerung aus Versuchen von Heidenhain, die ich mehrfach wiederholt und immer bestätigt gefunden habe. Heidenhain fand, dass, wenn man die Elektroden im Verlaufe des lang herauspräparirten Nerven anlegt, die Reizgrösse, welche eben genügt, Zuckung hervorzurufen, schrittweise abnimmt, nicht nur wenn man sich durch Verschieben der Elektroden schrittweise dem Ende des Nerven nähert, sondern auch dann, wenn man das überragende Nervenende mit der Scheere oder dem Messer schrittweise verkürzt. Diese Anordnung genügte auch meinen Zwecken, als ich im Laufe des Monates October 1874 die Versuche begann. Bald aber, nach Hereinbrechen des kalten Novemberwetters, erhielt ich nicht mehr dieselben positiven Resultate wie früher, und suchte, da ich dies mit Recht der geringeren Erregbarkeit der Frösche zuschrieb, nach einer vorteilhafteren Art den strom- prüfenden Froschschenkel zuzurichten und anzuwenden. Nach Figur 1. einigen Vorversuchen wählte ich folgende Einrichtung, die bei- stehend in Fig. 1 in der Hälfte ihrer natürlichen Grösse abgebildet 4 Brücke. ist. In die Hartgummiplatte ab cd sind die Platindrähte rrin und op oberflächlich eingelassen; sie bilden die Elektroden und sind bei p und n durch Klemmen und Zwischendrähte mit den Neu- silberenden der Inductionsspirale verbunden. Der Draht mn liegt ganz in der Ebene, der Draht po ist aber nahe seinem Ende o, wie die Figur zeigt, senkrecht aufgebogen, verläuft dann eine kurze Strecke horizontal, um schliesslich in dem Häckchen o zu endigen. Der stromprüfende Schenkel wird bis zur Fusswurzel ent- häutet und dicht über dem Knie abgeschnitten, während man ihm ein nur 4 bis 5 Mm. lang hervorragendes Nervenende lässt, das von den begleitenden Gefässen sorgfältig befreit sein muss. Meistens conservirte ich nur den hinteren tiefen, den Gastro- knemius versorgenden Ast und durchschnitt den zur vorderen, äusseren Partie des Unterschenkels gehenden, manchmal aber conservirte ich Beide. Der Schenkel würde nun so aufgelegt, dass der nackte Gastroknemius, beziehungsweise sein sehniger Überzug, auf dem Drahte mit, das Nervenende auf dem Häckchen bei o oder auf dem freistehenden horizontalen Stücke des Drahtes op lag. Der Strom ging also von der einen Elektrode durch den Nerven in den Muskel und von diesem in die andere Elektrode, oder umgekehrt. In der Kegel Hess ich anfangs beim Präpariren den Nerven etwas länger stehen und kürzte ihn erst unmittelbar vor, seltener nach dein Auflegen. Die beschriebene Anordnung ist höchst empfindlich, aber man muss, wenn sie einmal getroffen ist, rasch zu Werke gehen, weil der Nerv nicht vor dem Vertrocknen geschützt ist, ein Übelstand, den man übrigens leicht vermeiden würde, wenn es die Natur der Versuche erheischen sollte. Ich gehe nun zu den Versuchen selbst über. Ich will zunächst von denen sprechen, bei denen es galt, die Induetions- ströme zu beobachten, die sich durch Schliessen und Offnen eines Stromschlüssels erzielen lassen. Die Anordnung war hier folgende: A und Fig. 2, sind die Bäusche der unpolarisirbaren (aus amalgamirtem Zink in Zinkvitriollösung bestehenden) Elektroden, auf welche der Muskel ganz so wie für die Demon- stration des Muskelstromes aufgelegt wird. S ist ein Vorreibe- Über die Wirkungen des Muskelstromes etc. 5 Schlüssel nach du Bois-Rcymond. Er ist seiner ursprüng- lichen Bestimmung gemäss als Nebenschliessung eingeschaltet, so dass der Stromkreis immer geschlossen bleibt. R ist ein Stromumschalter, durch den der Muskelstrom einmal durch die Win- dungen des Multiplicators M, das andere Mal durch den Kupferdraht der früher beschriebenen Inductionsspirale NNxKKy geleitet werden kann. Die Enden des Neu- silberdrahtes der letzteren wurden durch Zwischendrähte und Klemmen mit den früher beschriebenen Platinelektroden (Fig. 1) und so mit dem stromprüfenden Froschschenkel F in Verbindung gesetzt. Der Multiplicator war ein solcher, wie ihn du Bois zu seinen älteren Versuchen gebraucht hat; er hatte Ü2.000 Windungen. Da er hier nur dazu dienen sollte, in jedem Falle die vortheilhafteste Art der Ableitung vom Muskel zu ermitteln, so wurde er durch Annäherung seines verschiebbaren Magneten auf das Minimum seiner Empfindlichkeit ge- bracht. Ausserdem wurde die Stromstärke im Multiplicatordrahte durch ein Flüssig- keitsrheochord, Fig. 2 r, regulirt. Nachdem nun das Muskelpräparat so aufgelegt war, dass es eine möglichst grosse Ablenkung der Magnetnadel hervor- brachte, wurde der Stromumschalter gedreht, so dass nun der Muskelstrom nicht mehr durch den Multiplicator, sondern durch den Kupferdraht der Inductionsspirale ging, und es wurde dann mit dem Schlüssel abwechselnd geöffnet und geschlossen. An- fangs, als ich noch den stromprüfenden Froschschenkel in der hergebrachten Weise anlegte, gelang es mir nicht, mit einem ein- zelnen Muskel hinreichende Inductionswirkungen zu erzielen, wohl aber mit den ganzen Beinen eines Frosches, von denen die Flisse an den Knöcheln abgeschnitten waren. Sie wurden so aufgelegt, dass die Knöchel den einen, die dem Bauche zunächst liegenden Partien der Oberschenkel-Muskeln den anderen Figur 2. 6 Brücke. Bausch berührten. Später habe ich auch Wirkungen erhalten von zwei nebeneinander gelegten unversehrten dann von Muskelmassen aus der Rückseite des Oberschenkels, die mit natürlichem Längsschnitt und künstlichem Querschnitt berührten, endlich auch von einem einzelnen Gastroknemius, an dem die Achillessehne mit einem Theile ihres Spiegels schräg abgeschnitten, und so ein künstlicher Querschnitt angelegt war. Die Zuckung erfolgte stets nur beim Öffnen des Schlüssels, nie beim Schliessen desselben. Neben den positiven Resultaten habe ich eine grosse Anzahl von negativen zu verzeichnen. Selbst nachdem ich den Muskelstrom am Multiplicator geprüft hatte, konnte ich noch nichts Gewisses über das endliche Resultat aus- sagen, da es in so hohem Grade von der Empfindlichkeit des stromprüfenden Froschschenkels abhing. Die Gegenprobe wurde so gemacht, dass auf die Bäusche A und Av auf denen das wirksame Muskelpräparat lag, noch ein mit Zinkvitriollösung getränkter Papierbausch als Neben- sehliessung gelegt wurde; dann war das Offnen und Schliessen des Schlüssels ganz wirkungslos. Eine Wirkung aber, die von einer anderen Stelle des Kreises oder vom Schlüssel selbst aus- gegangen wäre, hätte sich nun um so deutlicher manifestiren müssen, denn der primäre Strom, durch den sie inducirt worden wäre, musste bei offenem Schlüssel durch den Gesammtkreis AK K\ A{ eursiren, und der Widerstand dieses Gesammtkreises wurde durch das Auflegen des Bausches wesentlich vermindert. Ausserdem hatte ich mich von der Unschädlichkeit des Schlüssels überzeugt, indem ich einen stromprüfenden Frosch- schenkel in den primären Kreis einschaltete, während an der Stelle des Muskelpräparates ein mit Zinkvitriollösung getränkter Papierbausch denselben schloss. Das Schliessen und Offnen des Schlüssels war dann ganz wirkungslos. Ein anderer Schlüssel aber, der den Stromkreis für gewöhnlich offen liess, ihn aber auf einen Druck mit der Hand durch Eintauchen eines Platindrahtes in Quecksilber schloss, gab unter gleichen Umständen Strom- stösse, welche den stromprüfenden Froschschenkel in Zuckung versetzten. Ich habe soeben gesagt, dass bei meinen Versuchen die Zuckung stets auf Offnen des Schlüssels auftrat. Über die Wirkungen des Muskelstromes etc. 7 fch suchte der Ursache dieser Erscheinung näher auf die Spur zu kommen und traf zu dem Ende folgende Anordnung. In Fig. 3 ist F ein stromprüfender Froschschenkel, es ist gleichgültig, ob er nach meiner oder nach der sonst üblichen Weise an die Platindrähte an- gelegt ist; c c, sind die Klemmen, in welche die Enden der secundären Spirale eines gewöhnlichen Neef’schen Magnetelektromotors auslaufen. Der stromprüfende Froschschenkel ist also in den Kreis der secundären Spirale des Magnetelektromotors eingeschaltet. KKX sind die Enden der primären Spirale; ihr Stromkreis ist durch Feststellung des Hammers des Magnetelektromotors dauernd ge- schlossen. Den Strom führt das Daniell’sche Element D zu. Um denselben abzuschwächen, ist bei Wein Widerstand von 1000 Siemens-Einheiten mittelst eines Flüssigkeitsrheochords in die Haupt- leitung eingeschaltet. Ausserdem fungirte das du Bois’scheRheochord R als Nebenschliessung. Dieses wird so regulirt, dass beim Offnen des Vorreibeschlüssels S der stromprüfende Frosch- schenkel eben zuckt, dann zuckt er noch nicht heim Schliessen desselben, und das llheochord kann sehr bedeutend verstellt werden, ehe auch beim Schliessen des Schlüssels Zuckung beob- achtet wird. Wenn man den Strom in der primären Spirale umkehrt, so dass beide Inductionsströme die umgekehrte Richtung bekommen von derjenigen, welche sie früher hatten, so ändert dies nichts an der Sache. Was ich also früher an meiner Spirale beobachtet hatte, als Muskeln die Kette des primären Stromes bildeten, das zeigte sich auch an einem gewöhnlichen Magnetelektromotor mit einem Daniell’schcn Ele- mente als Kette für den primären Strom, wenn nur eben dieser primäre Strom hinreichend abgeschwächt wurde. Ich habe den kleinen Magnetelektromotor mit einem grösseren vertauscht, aus dem ich den Kern von Eisendrähten herausnahm. Ich brauchte nun einen etwas stärkeren primären Figur 3. 8 Brücke. Strom, um einen wirksamen Inductionsstrom zu erhalten; im übrigen aber blieb die Sache dieselbe. Das hier wahrgenommene Verhalten ist wesentlich ver- schieden von dem, welches man beobachtet, wenn man dem primären Strome eine grössere Stärke gibt, und die Inductions- ströme dadurch schwächt, dass man die secundäre Spirale von der primären entfernt. Ich sendete durch die primäre Spirale meines kleinen mit einem Kern von Eisendrähten versehenen Magnetelektromotors den ungeschwächten Strom eines Daniell’sehen Elementes, und ent- fernte die mit dem ström prüfenden Froschsehenkel verbundene secundäre Rolle auf dem Schlitten so weit, dass kein wirk- samer Inductionsstrom auftrat; dann rückte ich sie allmälig wieder heran. Hier traten beide Inductionsströme bald nahezu gleichzeitig in Wirksamkeit, bald hing es von der Stromesrichtung ab, ob sich der eine oder andere wirksamer erwies. Beides stimmt mit anderweitigen Erfahrungen überein, und hat auch theoretisch nichts Befremdendes. Beim Schliessen und Offnen mit dem Vorreibeschlüssel von du Bois-Reymond bleibt der primäre Stromkreis immer ge- schlossen, und in der primären Spirale können die Inductions- ströme, welche der Strom in ihr selbst erzeugt, immer zur Entwick- lung kommen. Es sind desshalb auch die Inductionsströme in der secundären Spirale einander in derselben Weise ähnlich, wie diejenigen, welche man bei der Anwendung der Unterbrechungs- Vorrichtung von Helmholtz von der secundären Spirale eines Magnetelektromotors erhält. Der eine ist kein Schliessungs- Inductionsstrom, der andere kein Oflfnungs-Inductionsstrom, indem der primäre Stromkreis immer geschlossen bleibt. Da in der primären Spirale der Strom thatsächlich nicht aufhört, sondern nur auf eine verschwindende Stärke herabsinkt, so will ich den Strom, der beim Offnen des Schlüssels entsteht, den Verstärkungs-Inductionsstrom, den, der beim Schliessen entsteht, den Schwäehungs-Inductionsstrom nennen. Es ist auch nicht auffällig, dass die Richtung der Inductions- ströme nicht ohne Einfluss auf ihre Wirkung ist. Sehr schwache aufsteigende und absteigende Kettenströme gleichen sich zwar darin, dass sie beide stets nur Schliessungs- Über die Wirkungen des Muskelstromes etc. zuckung geben, aber in Rücksicht auf den Grad ihrer Wirksam- keit sind sie nicht identisch. Befremdend dagegen muss es sein, dass sich, wenn der primäre Strom sehr schwach war, der Verstärkungs - Induc- tionsschlag physiologisch soviel wirksamer erwies, als der Schwächungs-Inductionsschlag, und zwar unabhängig von der Stromesrichtung. Ich untersuchte desshalb mit Dr. Exner an einer sehr empfindlichen Wiedemann’schen Bussole mit Dämpfung nach du Bois-Reymond den Ablenkungswinkel, welchen mir Verstärkungs- und Schwächungsschläge gaben, die von einem sehr schwachen Strome inducirt waren. Der primäre Strom ging durch die primäre Spirale eines Neef sehen Magnetelektromotors mit Kern aus Eisendrähten. Die ganz aufgeschobene secundäre Spirale war zur Bussole abgeleitet. Der primäre, von einem Daniel!’sehen Elemente erzeugte Strom wurde durch dieselben Mittel wie bei den früher erwähnten Versuchen abgeschwächt und ebenso zunächst durch den Vorreibeschlüssel geschlossen, bei dessen Eröffnung er in die primäre Spirale hereinbrach. Kurz die Anordnung war ganz so getroffen, wie bei meinen vorerwähnten Versuchen, nur dass die Stelle des stromprüfenden Froschschenkels von der Bussole eingenommen wurde. Ich begann mit den schwächsten Strömen, bei denen noch die Fehler der Ablesung gegen die erzielten Ablenkungen zurück- traten, und ging dann stufenweise zu etwas stärkeren Strömen über. Die primären Ströme, welche ich hier anwenden musste, waren zwar im Allgemeinen stärker als diejenigen, mit welchen ich am stromprüfenden Froschschenkel gearbeitet hatte, aber die schwächsten von ihnen waren nicht stärker, ja schwächer als die stärksten, bei denen der Froschschenkel unabhängig von der Stromesrichtung nur auf den Verstärkungs - Inductionsstrom reagirt hatte. Nirgendwo zeigte sich ein greifbarer Unterschied zwischen den Ablenkungen, welche durch den Verstärkungs-Inductions- strom und den dazu gehörigen Schwächlings - Inductionsstrom hervorgebracht wurden. Wenn man / die Intensität des einzelnen secundären Stromes nennt und mit t die Zeit bezeichnet, so war 10 Brücke. oo also I idt, wie es die Theorie verlangt, stets für beide Ströme 0 gleich. Es machte auch keinen Unterschied, wenn in die secun- däreLeitung noch eine mit einer Lösung von Zinkvitriol genässte Strehne von Baumwollenfäden mit ihrem beträchtlichen Wider- stande eingeschaltet wurde. Es musste also, wie dies auch von vornherein zu erwarten war, der Unterschied in der Wirksamkeit begründet sein in dem zeitlichen Verlaufe der beiden Ströme, in den Gestalten, welche ihreCurven darstellen, wenn man ihre Intensitäten als Ordinaten, die Zeiten als Abscissen aufträgt. Welcher Art diese Gestalten waren, wird sich schwer bestimmen lassen, da nach den Unter- suchungen von Helmholtz1 Inductionsschläge sich durch schlechte Leiter, wie es die Nerven sind, oscillatorisch entladen. Jeder weitere Schritt in der Erklärung wird mir überdies dadurch erschwert, dass die in Bede stehende Erscheinung nicht absolut constant ist. Unter allen von mir benützten stromprüfenden Froschschenkeln fand sich nämlich einer, bei dem es von der Stromesrichtung abhing, ob der Verstärkungs- oder der Schwä- chungs-Inductionsstrom wirksamer war. Da dieser Schenkel zufällig wenig erregbar war, so glaubte ich anfangs, die Erscheinung rühre von der etwas grösseren Intensität des primären Stromes, der angewendet werden musste, her; ich habe aber später ebenso schwererregbare Schenkel gehabt, bei denen nichtsdestoweniger bei jeder Stromesrichtung der Verstärkungs-Inductiousstrom der wirksamere war. Ich gehe jetzt über zu den Inductionswirkungen, welche erzielt wurden durch die negative Stromschwankung, die der Muskelcontraction vorhergeht. Die Anordnung war ganz wie in Fig. 2. Der Nerv des in Fig. 2 A At aufgelegten Gastroknemius war bis zum Plexus ischindicus herauspräparirt und mit seinem Ende über die Platinelectroden eines du Bois’schen Stromzu- leitcrs gelegt, dessen Drähte mit der Inductionsrollc eines Neefschen Magnetelektromotors in Verbindung standen. Die Leitung zum Magnetelektromotor lief nirgendwo neben der, in welcher der Muskelstrom umlief; die Entfernung des Magnetelek- i Ueber electrische Oscillationen. Vers. d. naturhist. med. Vereines in Heidelberg, 1869, p. 353. Über die Wirkungen des Muskelstromes etc. 11 tromotors von den Zuleitungsgefässen betrug 3-31 Mtr., die Entfernung der Zuleitungsgefässe von der Inductionsspirale betrug 1*34 Mtr., die Entfernung des Magnetelektromotors von der Inductionsspirale 4-53 Mtr. Ich führe dies an, um zu zeigen, dass der Magnetelektromotor nicht direct auf die Inductionsspirale NNlKKi wirken konnte. Zwischen dem Nerven, da wo er den Muskel verlässt, und dem Bausche, auf den der Muskel aufgelegt war, war ein Glimmer- plättchen so eingeschoben, dass der Nerv auf demselben ruhte ; dann verliess er dasselbe und ging, eine Strecke freisehwebend, zu den Platinelectroden des Stromzuleiters. Von dem Zwecke dieses Glimmerplättchens werde ich später sprechen. In die Leitung zum Magnetelektromotor war ein Vorreibe- schliissel eingeschaltet, der vorläufig geschlossen blieb. Nachdem Alles zum Versuche fertig, der Magnetelektromotor in Gang gesetzt und der stromprüfende Froschschenkel aufgelegt war, wurde der Schlüssel geöffnet und die Stromstösse des Magnetelektromotors brachen nun in die durch den Nerven gehende Leitung herein. Der als Kette aufgelegte Muskel zog sich zusammen und mit ihm der stromprüfende Froschschenkel Fig. 2 F. Ich habe auf diese Weise nichtnur einzelne Zuckungen, sondern in günstigen Fällen ausgebildeten Tetanus am stromprü- fenden Froschschenkel erhalten. Es war hiezu nicht nötliig, die Bolle meines kleinen Magnetelektromotors ganz hinaufzuschieben, aber es war nötliig, dies so weit zu tliun, dass der aufgelegte Gastro- knemius sich kräftig und dauernd zusammenzog. Ein Theil dieser Versuche wurde so angcstellt, dass der Schlüssel nur ganz kurze Zeit geöffnet wurde, nur probeweise, um sich von der hinreichenden Empfindlichkeit des stromprüfenden Froschschenkels zu überzeugen, da eine solche nicht bei allen vorhanden war. War ein positives Besultat erzielt worden, so wurde der Nerv des kettebildenden- Muskels auf dem obener- wähnten Glimmerblatte durchschnitten, und die Schnittenden wurden dann wieder in leitende Berührung gebracht. Wurde jetzt der Schlüssel wieder geöffnet, so blieb der kettebildende Muskel in Bube und auch der stromprüfende Froschschenkel. Wie man leicht einsieht, war hierdurch der Beweis geliefert, dass die Stromschwankung des Muskels die Induction bewirkt 12 Brücke. hatte, und dass dieselbe nicht direct mit Vorgängen im secun- dären oder primären Stromkreise des Magnetelectromotors zusammenhing. AebnIichejVersuche liabe ich so angestellt, dass die Reizung nicht durch Inductionsströme, sondern durch Schliessen und Offnen einer Kette bewirkt wurde. Auch hier habe ich positive Resultate erhalten und auf gleiche Weise die Gegenprobe gemacht. Die erste Bedingung zum Gelingen der Versuche ist, dass man hinreichend empfindliche Frösche hat. Als die Thiere mit dem Hereinbrechen der rauhen Jahreszeit an ihrer Empfind- lichkeit verloren, Hess ich sie im Freien in Erde und Moos aufbe- wahren, und dann, so viele ich brauchte, eine Stunde vor Beginn der Versuche ins Zimmer bringen und in laues Wasser setzen. So habe ich noch in der zweiten Hälfte des Deeember recht erregbare Frösche gehabt. Die zweite Bedingung ist, dass man einigermassen rasch zu Werke geht. Gewöhnlich wurde so gearbeitet, dass Dr. Exner oder Dr. Fl ei sc hl, welche so freundlich waren, mich abwech- selnd bei meinen Versuchen zu unterstützen, entweder das kettebildende oder das stromprüfende Präparat anfertigten, und ich das andere gleichzeitig. Dann wurden beide gleichzeitig aufgelegt und der Versuch begann sofort. An Tagen, an denen ich allein arbeitete, fertigte ich jedesmal erst das kettebildende Präparat, und dann das slromprüfende unmittelbar vor dem Beginne des Versuchs. Ein Verzug ist hier durchaus schädlich, weil die Empfindlichkeit gerade anfangs rasch abnimmt, und später, wenn der Nerv anfängt zu vertrocknen, freiwillige Zuckungen auftreten, die zu Täuschungen Veranlassung geben könnten. Auch jede Zerrung des Nerven des stromprüfenden Froschschenkels, selbst eine geringe, schien mir nachtheilig. Ich habe immer dafür gesorgt, dass der Nerv nicht gespannt war, sondern im leichten Bogen hängend Electrode und Schenkel mit einander leitend verband. Schwieriger war es, den Inductionsstrom nachzuweisen, wenn die negative Stromschwankung nicht durch electrische, sondern durch mechanische Reizung bewirkt wurde. Ich habe unter einer bedeutenden, aber ungezählten Menge von Versuchen, Über die Wirkungen des Muskelstromes etc. 13 die mit verschiedenen Anordnungen angestellt wurden, nur sechs mit positivem Resultate zu verzeichnen. Die Versuche, denen letztere angehörten, wurden alle auf ein und dieselbe Weise angestellt. Tn die Klemmen, welche sich an den Enden der primären Spirale befanden (Fig. 2 KK{), wurden Kupferdrähte geschraubt, an deren Enden Platindrähte gelöthet waren. Ein Frosch wurde vom Schultergürtel an nach abwärts enthäutet, es wurde ihm ein Schnitt vom hinteren Ende der einen Orbita zum hinteren Ende der anderen durch Schädel und Hirn gemacht, er wurde an einem hölzernen Halter aufgehängt, und nun wickelte ich den einen der Platindrähte um die Knöchel der an einander gelegten Fiisse, den anderen schob ich, nachdem ich ihn in passender Weise zusammengebogen hatte, dem Thiere in den Rachen. Wurde jetzt ein hinreichend empfindlicher Frosch- schenkel in der vorher erwähnten Weise an die Electroden der secundären Spirale angelegt, so zuckte er, während dem aufge- hängten Frosche das Rückenmark mit einer Fischbeinsonde zerstört wurde. Auch bei dieser Versuchsanordnung hatte ich eine weit über- wiegende Anzahl von negativen Resultaten, aber ich halte die beobachteten Zuckungen dennoch nicht für zufällige. Bei allen diesen Versuchen war der stromprüfende Froschschenkel vor und nach dem Zerstören des Rückenmarks vollkommen ruhig; auch waren in drei der erwähnten sechs Fälle die Zuckungen durch ihren Charakter und ihre Energie von bloss zufälligen, wie ich glaube, sicher zu unterscheiden; in einem Falle beobachtete ich ein ziemlich heftiges tetanisches Flimmern an dem enthäuteten Gastroknemius, in den beiden anderen Fällen machte die Pfote drei deutliche Schläge hintereinander. Immerhin zeigen diese Versuche auch wieder, dass die durch mechanische Reizung der Nerven erzeugte Schwankung des Muskelstroms sich durch ihre geringere Intensität oder durch die Art ihres Verlaufes wesentlich von derjenigen unterscheidet, welche durch elektrische Reizung hervorgebracht wird. Alle Versuche mit einem einzelnen Schenkel oder Gastroknemius und directer mechanischer Reizung des Nervenstammes waren durchaus resultatlos geblieben. 14 Brücke. Audi meine Versuche, durch willkürliche Zusammenziehung menschlicher Muskeln Wirkungen zu erhalten, die einen Frosch- schenkel zucken machen, sind bis jetzt vergeblich gewesen. Ich halte es indessen nicht für unmöglich, dass mit verbesserten Hilfsmitteln und Methoden positive Resultate erzielt werden. Es würde sich in derThat an solche ein besonderes Interesse knüpfen. Ein Rheoskop, welches, in einen secundären oder auch in den primären Stromkreis eingeschaltet, jede einzelne Strom- schwankung unserer Muskeln signalisirte, würde von hohem Werthe sein; denn wir wissen bis jetzt von dem Hergänge beider willkürlichen Zusammenziehung viel weniger, als wir uns gestehen mögen. Wir wissen nur, dass bei dauernder Contraction eines Muskels eine continuirliche Reihe von Stromschwankungen statt- findet; wir zweifeln nicht, dass dasselbe statt hat, wenn wir ein Gewicht in die Höhe heben; aber wir haben nur vage Vermu- thungen über das, was in den Muskeln eines Armes vorgeht, der einen Stein schleudert. Noch weniger wissen wir über einen anderen Punkt, für dessen experimentelle Untersuchung auf unserem Wege freilich vor der Hand keine Hoffnung vorhanden ist, über die langsamen Bewegungen, welche unter sehr geringem Widerstande ausgeführt werden. Wie bewegen wir unsere Hand bei anatomischen Präparationen? Wie beim Zeichnen und Malen? Wie wirken die Muskeln auf die Hand, welche den Bogen der Geige führt? Bis zu welchem Grade sind wir im Stande, eine Reihe von so schwachen Stromschwankungen zu erzeugen, dass die Verkürzung trotz des geringen Widerstandes nur langsam erfolgt, und wann und bis zu welchem Grade machen wir uns Widerstände durch die Antagonisten der in Action tretenden Muskeln? Aus der k. k. Hof- und Stmtsdruckerei in Wien.