E. Cyon: Zur Abwehr u. s. w 387 Zur Abwehr wider eine in Hrn. Prof. Meissner’s physiologischem Bericht enthaltene Bemerkung. Von E. Cyon. (Aus einem Sehreiben an Ilrn. Prof. E. du Bois-Iteymond.) Leipzig, 29. Juni 1867. — Unlängst nach Deutschland zurückgekehrt, fand ich in der Zeitschrift für rationelle Medicin von Henle und Pfeuffer (Bd. XXYII, 2. u. 3. Heft, S. 384 u. f.) ein von Hrn. Prof. Meissner verfasstes Referat meiner Arbeit: „Ueber den Einfluss der hinteren Wurzeln u. s. w.“ Dieses Referat enthält mehrere aus einem Missverständnisse entstandene unrich- tige Angaben, deren Berichtigung für mich um so nothwendiger ist, als dieselbe Arbeit auch nach anderen Seiten hin zu ähnlichen Missverständnissen Veranlassung gegeben hat. In dem Meissner-sehen Referate heisst es unter Anderem: „Die früheren, diese Frage betreffenden Untersuchungen von Harless, welche Cyon gar nicht erwähnt, unterscheiden sich von denen des Verfassers nur darin, dass Harle ss nicht die vorderen Wurzeln, sondern den gemischten Stamm reizte vor und nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln, und dass Harless nicht mit den wirksamen Inductionsschlägen reizte wie Cyon, sondern mit Schluss und Oeffnung des mittelst Rheo- staten abgestuften constanten Stromes. — Die Resultate beider Untersuchungen stimmen überein.“ — Einige Worte werden ge- nügen , um zu zeigen, dass nicht nur mein Versuchsverfahren ganz von dem Harless’schen verschieden, sondern dass das- selbe auch der Fall mit unseren Resultaten ist, welche in einer Hinsicht sogar als entgegengesetzte bezeichnet werden können. Was zuerst unsere Resultate anlangt, so glaubte Harless sich aus seinen Versuchen zu dem Scldusse berechtigt, dass vom Rücken marke aus in centrif u gal er Richtung durch die hinteren Wurzeln fortwährend erregende Einflüsse auf die Muskeln oder Endausbreitungen der motorischen Nerven übertragen werden. Meine Versuche im Gegentheil zwangen 388 E. Cyon: Zur Abwehr u. s. w. miclL zu dem Schlüsse, dass vermittelst der hinteren Wurzeln im Rückenmarke selbst eine fortdauernde reflectorischc Erregung (Tonus) der vorderen Wurzeln stattfinde. Die Harless’schen Schlüsse sind, wie ich mich durch di- recte Controlversuche überzeugt habe, irrthümlich, und zwar liegt die Ursache seines Irrthums eben da, wo sein Versuchs- verfahren sich von dem meinigen unterscheidet. Harless prüfte nämlich mittels Schluss und Oeffnung einer constanten Kette die Erregbarkeit eines gemischten Nerven vor und nach Durchtrennung der hinteren Wurzeln; nun ist es klar, dass, wenn die von ihm vorausgesetzten erregenden Einflüsse, die vom Rückenmarke aus centrifugal auf die Muskeln und zwar durch Vermittelung der sensiblen Nerven übertragen werden sollten, auch wirklich existirten, Harless mittels seiner Me- thode deren Wegfall nach Durchschneidung der hinteren Wur- zeln doch nicht beobachten konnte, da er ja bei der Erregbar- keitsprüfung am gemischten Nerven durch gleichzeitige Rei- zung der sensiblen Fasern diese Einflüsse künstlich ersetzte. Derselbe Einwand gilt gegen seinen Versuch mit Reizung des peripherischen Stumpfes der hinteren Wurzeln mittels Kochsal- zes, bei gleichzeitiger elektrischer Erregung des gemischten Nerven. — Die unbedeutenden von Harless beobachteten Er- regbarkeitsschwankungen sind wahrscheinlich dem von ihm ge- brauchten Kheostaten zuzuschreiben, dessen Unzuverlässigkeit für Messungen der Stromstärke von Ihnen schon längst nach- gewiesen wurde. Die Harless’schen Versuche waren mir bei der Anstel- lung der meinigen bekannt, und wenn ich mich auf deren Wi- derlegung in der kurzen Mittheilung meiner Versuche nicht eingelassen habe, so geschah dies hauptsächlich aus Rücksicht gegen diesen erst kürzlich hin geschiedenen Forscher. Tn einer Arbeit über Tabes dorsalis (Die Lehre von der Tabes dor- sualis. Berlin 1867) habe ich mich leider über diese Versuche etwas weitläufiger auslassen müssen, um den bei einigen Neu- ropathologen wurzelnden Glauben an die Richtigkeit derselben zu erschüttern. Bei Erwähnung meiner Worte: „Die Orte der nervösen Centren, an welchen die motorischen Nerven durch die sensi- blen beeinflusst werden, könnten mehrfache sein,“ beschuldigt mich Hr. Prof. Meissner der Wortkargheit. Ich glaube durch die von ihm citirten Worte deutlich genug ausgedrückt zu haben, dass meine Versuche mit Durchschneidungen des Rük- kenmarkes darauf hinweisen, dass es im Rückenmarke mehrere Stellen geben mag, an welchen die Erregungen von den sen- siblen Partieeu auf die motorischen Wurzeln übertragen werden. Wollte ich mehr über diesen Gegenstand aussagen, so würde ich mich leicht dem viel gerechtfertigteren Vorwurfe der über- flüssigen Geschwätzigkeit ausgesetzt haben.