Ueber die Flimmerbewegung. Vorläufige ittittljeUung von \ J Mp. Tli. W, En^elinann, Assistenten am physiologischen Laboratorium der Universität zu Utrecht. Die folgenden Mittheilungen beziehen sich auf das Flimmer- epithel von Wirbelthieren, speciell vom Frosch (Mund-, Rachen- Schleimhaut u. s. w.). Auf die Flimmerbewegung bei Wirbellosen, welche sich in einigen wesentlichen Puncten anders verhält, wird hier nicht Rücksicht genommen. — Bei den meisten Versuchen benutzte ich eine feuchte Kammer eigener Construction. Sie besteht aus einem flachen Messingkästchen mit luftdicht eingekittetem Glasboden und abhebbarem Deckel. Letzterer hat in der Mitte eine grössere kreisförmige Oeffnung, welche durch ein innen aufgeklebtes Deckglas verschlossen wird. Auf der unteren Fläche dieses Deckglases hängt der Tropfen mit dem Object. Zwei in der Kammer mündende messingene Ansatzröhren getatten die Durchführung von Gasen wäh- rend der Beobachtung.*) Die Hauptergebnisse der Untersuchung, zum Theil Bestätigun- gen bereits bekannter Thatsachen, sind folgende. 1. Unter normalen Verhältnissen schwingt jedes Flimmerhaar in einer senkrecht auf der Oberfläche der Zelle stehenden Ebene. Die Schwingungsrichtungen benachbarter Flimmerhaare sind unter sich und im Allgemeinen der Längsaxe des Organs (Oesophagus, Tuba z. B.) parallel. 2. Unter normalen Bedingungen führt jedes Flimmerhaar min- destens zwölf ganze Schwingungen in der Secunde aus. — Den Ein- druck des Flimmerns macht die Bewegung erst, wenn sie bereits ver- langsamt ist. *) Der Apparat ist von dem Meciianicus Herrn Oll and in Utrecht zu be- ziehen. 3. Jede ganze Schwingung eines Flimmerhaars setzt sich zu- sammen aus zwei halben Schwingungen von ungleicher Dauer. Die halbe Schwingung grösster Dauer entspricht der Contraction; die halbe Schwingung kleinster Dauer der Erschlaffung. 4. Unter normalen Bedingungen ist jedes Flimmerhaar an allen Stellen seiner Länge contractil; doch findet die Contraction nicht auf allen Querschnitten des Flimmerhaars gleichzeitig statt. Contraction und Erschlaffung pflanzen sich abwechselnd, in Form einer Welle von der Basis nach der Spitze des Haars zu fort. Die Länge dieser Welle ist etwa die doppelte von der des Haars. Die mittlere Ge- schwindigkeit, mit der sie sich fortpflanzt, beträgt unter normalen Be- dingungen wenigstens 0,24 mm. in der Secunde. 5. Contraction und Erschlaffung erfolgen bei ein und demselben Haar im Allgemeinen gleichschnell; nur an der Basis des Haars ver- läuft die Contraction viel langsamer als die Erschlaffung. Hier sind besondere elastische Kräfte thätig, welche bei der Contraction des Basalstücks überwunden werden müssen, die Erschlaffung dieses Theils aber befördern. Da diese elastischen Kräfte bei allen Flim- merhaaren in gleichem Sinne wirken, kommt eine continuirliche, immer gleichgerichtete Strömung der Flüssigkeit auf der flimmernden Oberfläche zu Stande. 6. Flimmerhaare, die man aus dem Organismus entfernt und in Blutserum, Kochsalzlösung von 0,5 bis 1%, oder andere möglichst indifferente Flüssigkeiten gelegt hat, werden nach einiger Zeit starr; viele bereits während der Anfertigung des Präparats. — Die Starre bildet sich in der Regel langsam aus und ergreift selten alle Stellen eines Flimmerhaares gleich schnell. Am längsten bleibt meist das Basalstück verschont. Ist nur der Basaltheil noch contractil, das Haar in seiner übrigen Länge aber starr, so werden die Bewegungen „hakenförmig“. Diess ist der häufigste Fall. — Erstarrt das Basal- stück und bleibt ein mehr nach der Spitze zu gelegener Abschnitt verschont, so werden die Bewegungen „pendelnd“. — Tritt die Starre unsymmetrisch in Bezug auf die durch die Längsaxe des Haars ge- legte normale Schwingungsebene ein, so erfolgt eine Aenderung der Schwingungsrichtung. — Nur in den Fällen, wo die Basalstücke noch contractil sind, kommt eine continuirliche Flüssigkeitsströmung auf der flimmernden Oberfläche zu Stande (vgl. 5). — Beim Herannahen der Starre verlangsamt sich die Bewegung, d. h. die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Contractionswelle wird kleiner. Gleichzeitig nimmt die Excursionsweite, d. h. die Grösse der Contraction ab. 7. In einer Atmosphäre von reinem Wasserstoff erlischt die Flimmerbewegung viel schneller als bei der Gegenwart von Sauer- stoff. Hat der Wasserstoffstillstand nicht zu lange angehalten, so kann er ohne vorherigen SauerslofFzutritt durch Säuren oder Alkalien aufgehoben werden. Ebenso, doch in der Regel nur für sehr kurze Zeit, durch Temperaturerhöhung. 8. In reinem Sauerstoff erhält sich die Bewegung sehr lange. Schon eine geringe Sauerstoffmenge hebt in den meisten Fällen den Wasserstoffstillstand auf. Die in atmosphärischer Luft zur Ruhe ge- kommenen Flimmerhaare werden durch einen Strom reinen Sauer- stoffs zuweilen vorübergehend wiederbelebt. 9. Kohlensäure, Oxalsäure, Milchsäure, Essigsäure, Salzsäure, Schwefelsäure, Chromsäure, erwecken die in atmosphärischer Luft oder reinem Sauerstoff erloschene Bewegung wieder; ebenso heben diese Säuren den Wasserstoffstillstand auf, wenn er nicht zu lange angehalten hat. — In schwach saurer Flüssigkeit kann die Flimmer- bewregung noch minutenlang fortbestehen. Im Ueberschuss bewirken die Säuren Stillstand unter Bildung eines Coagulats im Innern der Zellen. — Der Kohlensäurestillstand kann durch einen Strom von Luft oder Sauerstoff, unter Umständen auch durch reinen Wasser- stoff aufgehoben werden. Den durch andere Säuren herbeigeführten Stillstand vermögen in der Regel nur alkalische Flüssigkeiten zu be- seitigen. Kein Säurestillstand kann durch eine andere Säure aufge- hoben werden. 10. Ammoniak, Kali und Natron erwecken die in atmosphä- rischer Luft oder reinem Sauerstoff erloschene Bewegung wieder; ebenso lösen sie den Wasserstoffstillstand, wenn er nicht zu lange gedauert hat. Säurestillstand kann ebenfalls von ihnen gehoben werden, wobei das Säurecoagulat im Innern der Zellen verschwindet. — Im Ueberschuss bewirken die Alkalien Stillstand unter Quellung des Zellenleibes. — Kein Alkalienstillstand kann durch ein anderes Alkali, wohl aber durch die obengenannten Säuren aufgehoben werden. Durch Temperaturerhöhung kann die in Luft, Sauerstoff, unter Umständen auch die in Wasserstoff zur Ruhe gekommene Bewegung wieder angefacht werden. — Erwärmen auf 45° C. bewirkt (beim Frosch) Starre. Diese Wärmestarre kann nach erfolgter Abkühlung bei Gegenwart von Sauerstoff, durch Alkalien, nicht aber durch Säuren aufgehoben werden. Fand die Erwärmung auf 45° in einer Wasserstoffiatmosphäre statt, so beleben die Alkalien, wenn Sauerstoff abgeschlossen bleibt, die Bewegung nicht wieder. 12. Die Bewegungen der Spermatozoen des Frosches verhalten sich unter den) Einfluss des Wasserstoffs, Sauerstoffs, der Säuren, der Alkalien und höheren Temperaturgrade im Wesentlichen ebenso wie die Flimmerbewegung. Die Annahme liegt nahe, dass die unter gewöhnlichen Bedin- gungen, nach Entfernung aus dem Organismus, eintretende Starre der Flimmerhaare auf der Bildung eines Gerinnsels (etwa Myosin) in der contractilen Substanz des Haars beruhe. Die belebende Wir- kung der Säuren und Alkalien könnte man der Lösung dieses Ge- rinnsels zuschreiben. Der Umstand, dass die Wärmestarre wohl durch Alkalien, nicht aber durch Säuren aufgehoben werden kann, deutet darauf hin, dass bei der Wärmestarre eine reichliche Säure- bildung stattfindet. Utrecht, im Juni 1867. Sep.-Abdr. a. d. Centralblatt f. d. med. Wissensch. 1867. No. 42, Druck von H. S. Hermann in Berlin.