Aus der ,,New Yorker Medicinischen Monatsschrift,“ Mai 1891. Ueber das Ulcus septi nasi perforans. Von Dr. W. FREUDENTHAL, New York. Die Perforationen des Septum narium wurden gewöhnlich als ein diagnostisch für Syphilis ausschlaggebendes Syptom angesehen, und erst im letzten Decenniutn fing man sowohl von anatomischer als klini- scher Seite an, auf Perforationen aufmerksam zu werden, die entschie- den nicht-luetischen Ursprungs waren. Man glaubte namentlich das Trauma in aetiologischer Beziehung für manche Perforationen des Sep- tum verantwortlich machen zu müssen. So sah Foulerton*) (Chatham) Perforationen des Septum bei Cement-Arbeitern und erklärt dieselben auf folgende Weise : Der Cementstaub sammelt sich in den Nasen- löchern der Arbeiter an. Versuchen diese nun den Staub zu entfernen, so machen sie mit dem Fingernagel leicht Abschilferungen. Auf diese Weise entsteht eine Ulceration, aus der sich dann leicht eine Perforation herausbilden kann. Auch Thrasher (Cincinnati) spricht von Fällen, in denen eine Perforation des Septum durch Herumstöchern in der Nase mit denuFingernagel hervorgebracht zu sein scheint. Der Erste, der sich vom anatomischen Standpunkte aus mit dieser Frage befasste, war Zuckerkandl**). Er fand unter 150 Leichen, die er untersuchte, 8 Mal eine Perforation des Septum cartilaginosum von verschiedener Grösse und schliesst aus dem Aussehen und Verhalten die- ser Perforationen, dass dieselben aus einem Ulcus entstanden seien. Fast zu derselben Zeit veröffentlichte A. Weichselbaum***) eine Ar- beit, die auf 14 Fälle gestützt war. Weichselbaum glaubt, dass dieser Prozess namentlich häufig bei Phthisikern vorkomme, da von seinen 14 Fällen mehrere an Tuberkulose litten, eine Ansicht, die in neuester Zeit von seinem Schüler Hajek, auf dessen Arbeit wir noch später zurück- kommen werden, zum Theil aus dem eigenthümlichen Leichenbefund erklärt wird. Voltolini war nun der erste Kliniker, der in seinem bekannten Lehr- buche der Krankheiten der Nase (Breslau 1888) dem perforirenden Ge- schwür der Nasenscheidewand, von dem er wohl eine verhältnissmässig grosse Anzahl von Fällen gesehen haben mag, ein eigenes Kapitel wid- mete. Doch scheint er sich über die eigentliche Ursache dieses Ge- schwürs selber nicht klar gewesen zu sein. Denn einmal sagte er, (1. c. pagina 126): „Zunächst muss ich hier eines lokalen Leidens erwähnen als U r s a c h e von habituellen und zuweilen gefährlichen Blutungen, wel- *) A Perforation of the Septum nasi Occurriug in Cement Workers. Lancet, Aug. 7th, 1889. **) Anatomie der Nasenbildung etc. Wien, 1882. ***) Das perforirende Geschwür der Nasenscheidewand. Allg. Wiener Med. Zeitung 1882, pag. 363 ff. 2 ches noch wenig gekannt ist, und mir selbst noch Bäthselhaftes darbie- tet, ich will es Ulcus septi nasi perforans nennen, und werde weiter un- ten noch spezieller dasselbe besprechen, hier es nur als Ursache von Blutungen erwähnen.“ Weiterhin sagt er dann aber (pag. 178) : „Nach meiner Meinung haben wir es hier mit einem haemorrhagischen Geschwür zu thun .... das häufig aus dem Platzen eines Gefässes des Septum cartilag. nasi entsteht.“ Wir sehen also, dass er ein Mal die Blutungen, und das andere Mal das Geschwür als das Primäre hinstellt. Wir glauben jedoch nicht fehl zu gehen, wenn wir die Blutungen als die eigentliche Ursache des Ge- schwürs ansehen. Auf diese Weise lässt sich dann leicht der trau- matische Ursprung dieses Geschwürs beweisen, eine Ansicht, der unter Anderen auch Bothholz*) huldigt. Auch Bossbach**) glaubt gleichfalls, dass Blutungen und Bohren mit dem Finger u. s. w. ein Ulcus veranlassen können, und zwar natür- lich immer an derselben praedilectirten Stelle, nämlich an dem mit Blutgefässen überaus reichlich versehenen vorderen Theile des Septum cartilaginosum. Zunächst wird die Schleimhaut ergriffen; dieselbegeht zu Grunde und zerfällt molecular. So wird der Knorpel freigelegt, zer- fällt ebenfalls und die Perforation ist da. Bossbach spricht im Uebrigen seine Ansicht dahin aus, dass wir es hier mit einer lokalen Gefäss- erkrankung (Thrombose) zu thun haben.***) Sonst seien diese Patienten ganz gesund, höchstens etwas nervös oder hysterisch. Auch Trophoneurosen wurden für die Entstehung des Ulcus septi perforans verantwortlich gemacht, und es war besonders Bosenfeld (Stuttgart), der diese Ansicht auf der Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte in Heidelberg vertheidigte, während Krause, Akon- sohn und Andere das Trauma als wichtigstes Moment heranzogen. Vor einigen Monaten erschien in Virchow’s Archiv (Heft III, Band 120) von Hajek eine ausführliche Arbeit über perforirende Geschwüre der Nasenscheidewand. Hajek hat im Ganzen 33 Fälle gesammelt, die zum grössten Theile dem Leichenmateriale von Weichselbaum entstammen, die aber auch den poliklinischen Fällen von Schnitzleb entnommen sind. Er hat bei der Autopsie dieses Ulcus sehr häufig bei Individuen, die mit frischer oder inveterirter Tuberculose behaftet waren, gefunden, und glaubt die geringe Widerstandsfähigkeit Tuberkulöser als ein ge- eignetes Moment für die Entstehung der Geschwürsbildung heranziehen zu müssen. Doch macht Hajek selbst auf die Häufigkeit der in jenem Hospital zur Section kommenden Phthisiker aufmerksam, so dass dieser Punkt wohl nicht als stichhaltig gelten kann. Von unseren drei später zu nennenden Fällen war keiner mit Phthisis behaftet. Ferner hat Hajek seine Fälle histologisch und bacteriologisch unter- sucht und hat gefunden, dass sich bei den Frühformen derselben eine *) Deutsche medic. Wochenschrift No. 40. 1889. **) Citirtnach der Allgem. Medic. Central-Zeitung No. 24. 1889. ***) Yergl. auch B. Fbaenkel : Tageblatt der Deutschen Naturforscherver- sammlung. Heidelberg, 1889, pag. 551, 552. 3 Pseudomembran bildet, die aus einer Nekrose des Epithels und der oberflächlichen Schleimhautschicht hervorgegangen ist. In derselben befanden sich eine Menge Bakterien, von welchen besonders der Staphylococcus pyogenes aureus und der Streptococcus pyogenes, deren Einwanderung eine Nekrose des Gewebes veranlassen soll, hervorzu- heben sind. Wenn wir auch bekennen müssen, keine eigenen bakte- riologischen Untersuchungen in dieser Richtung angestellt zu haben, so sind wir doch geneigt, uns der Ansicht Dietrich’s *) anzuschliessen, dass das Vorkommen derartiger Mikroorganismen eigentlich eine selbstver- ständliche Sache sei, da dieselben wohl in der Athemluft enthalten waren, und zufällig an der erkrankten Stelle leichter haften geblieben sind, als an gesunden. Vielleicht würde Hajek auch in der Mundhöhle solche Microorganismen gefunden haben. Nachdem wir den letzteren Artikel gelesen hatten, ist es uns durch einen Zufall geglückt, drei derartige Fälle von perforirendem Ulcus, die sich alle in verschiedenen Stadien der Entwickelung befanden, zu sehen. Es sei uns gestattet, des hohen Interesses halber, das dieselben bean- spruchen, hier näher auf sie einzugehen. Der erste Fall betraf ein Mädchen von 12 Jahren, das wegen Blutun- gen aus der Nase, die seit einigen Wochen bestanden hatten und noch immer fortdauerten, auf die laryngologische Abtheilung der Deutschen Poliklinik geschickt wurde. Bei der rhinoskopischen Untersuchung sah man auf der rechten Seite am vorderen Theile der Cartilago qua- drangularis eine grauweisse Verfärbung der oberflächlichen Schleim- hautschichte und zum Theile auch schon oberflächliche Ulceration. Die Umgebung des Geschwürs war stark geschwollen und injicirt. Das Geschwür befand sich also nach Hajek im ersten Stadium. Weder Lues, noch Tuberkulose waren nachzuweisen. Ich behandelte das Ge- schwür mit Adstringentien, und es begann sehr schön zu verheilen, als Patientin nach der dritten Visite nicht wieder kam. Ich habe Grund anzunehmen, dass das Geschwür geheilt ist. Der zweite Fall, den ich erst vor einigen Tagen in der Deutschen Poliklinik sah, betraf eine 60jährige Frau R. K., welche vor zwei bis drei Jahren an Verstopfung der Nase gelitten hatte. Sie wurde damals von einem Collegen behandelt, und ihr Zustand besserte sich. Jetzt sind dieselben Klagen vorhanden : Starke Verstopfung in der Nase, so dass sie Nachts nicht schlafen kann, Trockenheit im Munde u. s. w. Der objective Befund in der Nase ist nun ein solcher, wie man ihn wohl nur selten zu Gesicht bekommt. Ich erinnere mich nicht, ihn in der Lite- ratur vorgefunden zu haben. An der linken Seite des Septum cartilagi- nosum an der bekannten Stelle sieht man eine ziemlich tiefe Delle, in die man etwa die Kuppe des kleinen Fingers hineinlegen kann. Die Delle ist mit einer sehr dünnen Schleimhaut ausgekleidet, und man sieht deutlich Narben. Die Umgebung erscheint normal, jedenfalls ist keine Atrophie der übrigen Schleimhaut des Septums zu constatiren. Es *) Das Ulcus septum nasi perforans. Monatssckr. f. Ohrenheilkunde, etc., November 1890. 4 sind noch Hypertrophieen der Nasenmuscheln vorhanden, und andere Veränderungen, die uns hier weiter nicht interessiren. Die rechte Seite des Septum ist normal. Die Frau gibt auf Befragen an, dass sie früher mit dem Finger oft in der Nase gebohrt hatte, namentlich, als sie zum ersten Male die starke Verstopfung in der Nase hatte. Wir glauben daher, dass sie sich durch diese Manipulationen selbst ein Ulcus erzeugt hatte, das nach Beseitigung der behinderten Nasenathmung, vielleicht in Folge der Behandlung zum Stillstand gekommen und ausgeheilt ist. Es ist dies also ein sehr sel- tener Fall, wo ein traumatisches Ulcus der knorpeligen Nasenscheide- wand nicht zur Perforation geführt hat, sondern vorher durch Vernar- bung ausgeheilt ist. Von Lues ist keine Spur vorhanden und von Tuberkulose auch nicht. Die Frau sieht blühend und gesund aus. Der dritte Fall, den ich ziemlich lange beobachten konnte, war der eines 65jährigen Tischlers Henry L. Dieser Patient wurde von mir vor einigen Wochen der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York vorgestellt. Derselbe hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Vor 7 Jahren bekam er Schmerzen in der linken Supraorbital-Gegend, die bald sehr heftig wurden. Sie zogen sich nach der Nase zu, und an der gan- zen linken Seite der Nase entlang nach unten und dehnten sich allmäh- lich über die ganze linke Gesichtsseite aus. Der hauptsächlichste Schmerz war in der Gegend der Fossa canina und am Nasenflügel, so- wie am Zahnfleisch des linken Oberkiefers. Es ist also klar, dass wir es hier mit einer Infraorbital-Neuralgie zu thun hatten. Mit denselben Beschwerden kam Patient etwa vor zwei Jahren in die Deutsche Poliklinik. Er ist ein höchst nervöser und aufgeregter Mensch, der fortwährend mit dem Finger in oder an der Nase herum- arbeitet und zwar in so komischer Weise, dass man beim Anblick des- selben kaum ein Lächeln unterdrücken kann: „Es juckt und klopft und sticht in einem fort da drinnen herum,“ so dass er deswegen gar nicht schlafen kann. Auch seinem Berufe als Tischler konnte er aus diesem Grunde nicht nachgehen. Ausser einer leichten Hypertrophie der linken unteren Muschel wurde nun nichts Abnormes in der Nase gefunden. Die Muschel wurde kauterisirt, jedoch ohne den geringsten Erfolg, und Patient verschwand sehr bald aus meiner Behandlung. Vor einem Jahre kam er wieder zu mir mit genau denselben Erscheinungen, um wiederum nach kurzer Zeit aus meinem Gesichtskreise zu entschwinden. Anfang Januar dieses Jahres kam er zum dritten Male wieder, und ich war nicht wenig erstaunt, als ich bei der Untersuchung der Nase eine vollständig ausgebildete Perforation der knorpeligen Scheidewand vor- fand. Dieselbe war oval und von links unten nach rechts oben gerichtet. Die Perforations-Oeffnung war auf der linken Seite grösser, als rechts. Die Schleimhaut an den Bändern äusserst dünn und glatt, keine Ulce- ration. Ich fragte mich nun, woher diese Perforation entstanden sei und dachte natürlich auch an Syphilis, und wiewohl absolut keine andern 5 Symptome vorhanden waren, bekam Patient doch Jodkalium in grossen Dosen, ohne dass jedoch ein Resultat erzielt werden konnte. Auch eine Schmierkur führte zu demselben negativen Erfolge, und die Frage nach dem Ursprung dieser Perforation entstand zum zweiten Male. Tuber- kulose war auch nicht vorhanden, und ich konnte nicht umhin, mich jetzt definitiv zu der Ansicht zu bekennen, dass wir es hier mit einem genuinen Ulcus septi nasi perforans zu thun hatten, eine Ansicht, die ich aber durch Ausschluss von Syphilis und Tuberkulose erst bekräf- tigen zu müssen glaubte. Der Patient bohrte sich mit dem Finger in der Nase herum, wann immer ich ihn auch sah, und so entstand im Laufe eines Jahres — denn im vorigen Jahre war noch keine Spur davon vorhanden — ein Ulcus, und dann in der oben beschriebenen Weise eine Perforation, wie wir sie jetzt vor uns sehen. An dieser möchte ich noch als sehr charakte- ristisch hervorheben den eigenthümlichen ovalen Defect gerade im knorpeligen Theile der Nasenscheidewand, und gerade in der Richtung, wie er mit dem Finger bohrte ; ferner die ganz erhebliche Verdünnung der Schleimhaut am Rande des Loches, und endlich den Mangel einer jeden pathologischen Veränderung in der Umgebung der Perforation. Dass dieser Fall viel mehr, als die beiden vorher erwähnten ein aus- gezeichnetes Beispiel für die traumatische Entstehung des Ulcus per- forans bildet, wird wohl Niemand bezweifeln, der einmal beobachtet hat, in wie geradezu krankhafter Weise dieser Mann mit dem Finger in der Nase bohrt, um das beständige Jucken und Stechen los zu Dem gegenüber fällt auch der eventuelle Einwurf, dass hier schon eine anderweitige Neurose (des Infraorbitalis) vorhanden ist, ganz und gar nicht in’s Gewicht, und wir glauben, eine ti’ophoneurotische Entstehung dieses Ulcus aus obigen Gründen entschieden ausschliessen zu müssen. Wir sehen also, dass unter diesen drei Fällen zwei weibliche Indi- viduen waren, und heben dieses Voltolini gegenüber hervor, der unter seinen scheinbar mannigfaltigen Beobachtungen nur ein Mal ein solches Ulcus bei einer Frau gesehen zu haben behauptet. — Dass diese Ulcera im Uebrigen nicht so zahlreich sind, wie Zuckerkandl glaubt, der, viel- leicht zufällig, unter 150 Leichen acht Fälle von Ulcus perforans gesehen hat, beweist schon Hajek, der bei 2136 Leichen nur 33 Fälle = 1,40% gesammelt hat. Und auch das ist sehr viel im Vergleich zu dem, was am Lebenden wirklich beobachtet wird ; denn von rhinologischer Seite sind die Berichte hierüber sehr spärlich, und die Rhinologen sollten doch solche Fälle zu allererst zu Gesicht bekommen. Zum Schluss können wir nur noch die Worte Hajek’s, mit denen auch wir übereinstimmen, citiren. Er sagt (loc. cit.): ,.Das perforirende Ge- schwür ist somit nach anatomischen und klinischen Beobachtungen eine wahrscheinlich häufig mit Blutungen in der Schleimhaut sehr chronisch verlaufende progressive Nekrose der Schleimhaut und des Knorpels innerhalb der knorpeligen Nasenscheidewand, welche, ohne in der umliegenden Schleimhaut erhebliche Veränderungen her- vorzurufen, zur Perforation der Scheidewand führt (nur selten früher 6 heilt), und nach der Perforation spontan zur Heilung gelangt. Als Resultat der Perforation bleibt ein kreisförmiger (zuweilen ovaler Hof) mit scharfen, glatten Rändern versehener Decfect übrig. Der Ge- schwürsprozess steht mit Syphilis in keinerlei Zusammenhang.“ 1054 Lexington Ave.