Der Einfluss der Wärme und EleetriciUü auf das Rückenmark. Erläuterte Bemerkungen W von Dr. F. Kunde, pract. Arzt in Rom (Separatabdruck aus Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Achtzehnter Band.) Stulta est clementia, cum tot ubique Vatibus occurras, periturae parcere chartae. Unter allen Krämpfen der schlimmste ist der Schreibekrampf, denn seine Symptome sind Bücher, die Andere lesen müssen. Wie aber die Schlange ihr eigenes Gift verschluckt, ohne dass es ihr Schaden zufügt, so ist doch ihr Gift für andere Geschöpfe unverdaulich und giftig. Ein Grund für die Krankheit ist oft schwer aufzufinden. Die Leute schreiben eben, sie wissen nicht, warum. Der Veitstanz ist ihnen in die Finger gefahren. — Ansteckend ist die Krankheit, und herrscht in Deutschland seit vielen Jahren epidemisch. Schreiber dieses ist auch ein Opfer derselben. Aber der Anfall soll kurz sein. — Zur Entschuldigung mag mir dienen, dass ich vor einiger Zeit die Resultate von Versuchen veröffentlichte, welche man bezweifelt hat, weil man sie nicht wiederholen konnte. Da aber Expe- rimente, welche man nicht wiederholen kann, schlechte Experimente sind, so will ich mit kurzen Worten erwähnen, wie ich verfahren bin. Es wurde zuerst der Einfluss kalten und warmen Wassers auf Herzschläge und Athembewegungen des Frosches beobachtet, und die Versuche Humboldt’s, H. Nasses und Anderer bestätigt. Es wurden ferner die Phänomene des Som- mer- und Winterschlafes studirt, d. h. es wurde nachgewiesen, dass alle Functionen des Körpers bei gesunkener oder gesteigerter Wärme aufhören, und lloraz sich in einem groben physiologischen Irrthume befand, wenn er glaubte, er würde die Lalage am Nordpole oder Aequator eben so lieben, als in Tivoli oder Bajae. Denn zur völligen Entwickelung der Energie eines Nerven bedarf es einer bestimmten Menge von Wärme, und ein kalter Nerv, oder ein Nerv, dem man Wärme entzieht, ist ein ganz anderes Object als ein warmer Nerv oder ein Nerv, dem man Wärme zuführt. Man erkälte einen Frosch, und ein electrischer Strom, der vor der Er- kältung Tetanus hervorruft, lässt das Thier jetzt unbewegt, oder wirkt erst nach einigen Secunden. Um diesen Versuch zu machen, stelle man den Schlitten des Rotationsapparates so, dass der erzeugte Strom der schwächste der Ströme ist, welcher bei einem Frosche, dessen Temperatur im Anus man misst, Tetanus erregt. Man setze darauf den Frosch zwischen Eisstücke, messe nach einiger Zeit dessen Temperatur im Anus wieder, lasse die Electricität einwirken, und wird finden, dass ein Strom, welcher z. B. bei 15" R. Tetanus hervorrief, bei 8"R. keine Wirkung mehr hat, obgleich das Thier sich willkürlich bewegt. Es entstand nun die Frage: Wie befindet sich das Rückenmark genannten Einflüssen gegenüber, und ich machte deshalb folgendes (vielleicht falsches) Rai- sonnement: Da erwiesenermaassen das Rückenmark gleichsam ein Reagens auf Strychnin ist, so müssen sich die Wirkungen des Rückenmarkes ändern, wenn bei gleichbleibender Menge des Strvchnin’s, die Wärme der Nervenelemente geändert wird. Diese Hypothese hat sich nun, wie ich glaube, bestätigt. Zu dem Ende nehme man ein Gefäss von etwa 1£ Fuss Durchmesser und giesse in dasselbe 12 Unzen Wasser, in welchem ein Gran Strychn. acet. auf- gelöst ist. Angenommen, das Wasser habe eine Temperatur von 16"C. In dieses Wasser setze man vier Frösche. Man bereite jetzt drei andere Gefässe, welche mit gleichen Quantitäten Wasser angefüllt sind und gleiche Dimensionen haben. In dem einen (A) habe das Wasser lnC., in dem zweiten (R) 16" C. in dem dritten (C) 3I"C. — Nimmt man nun, nach etwa 10 Minuten 3 Frösche aus der Strychninlösung heraus und bringt sie in das verschieden erwärmte Wasser, so bekommt nur der Frosch in 31" C. Tetanus, die beiden anderen nicht. Ich führe ein solches Experiment an, welches nur nach vieler Uebung gelingt, und nicht, wie die folgenden, schlagend ist, aber doch nicht ohne Interesse. In den Gefässen A ist Wasser von 1" G. R - - 16"C. C - - 31" C. D - 16" C. nebst I Gran Strychn. acet. Um 5 Uhr werden vier Frösche in I) gebracht. Um 5 Uhr 10 Min. wird je einer dieser Frösche, nachdem derselbe abgespfilt und abgetrocknet, in ABC gebracht. Der vierte Frosch wird in D gelassen. Um 5 Uhr 20 Min. hat C (31") Tetanus. Um 5 Uhr 45 Min. hat D Tetanus. Um 6 Uhr 35 Min. hat R noch keinen Tetanus. Er wird in Wasser von 31" C. gebracht und hat nach 15 Minuten Tetanus. Um 6 Uhr 45 Min. hat A (in 1"C.) noch keinen Tetanus, sondern schwimmt langsam herum (krötenartiges Bewegen). Er wird in Wasser von 31" C. gebracht und hat nach 12 Min. Tetanus. Dies Experiment gelingt nicht immer, und cs gehört eine gewisse Routine dazu, um die Bedingungen mit Sicherheit hervorzurufen, welche es gelingen lassen. So wie nun in dem genannten Falle „Zufuhr von Wärme” den Tetanus her- vorrief, kann der Tetanus auch durch Zufuhr von Wärme aufgehoben werden. Die Bedingung dieser Erscheinung ist, dass sich eine geringere Menge von Strychnin im Organismus befindet. Es stellte sich nämlich im Verlaufe der Versuche das Gesetz heraus: „dass bei einer geringen Dosis von Strychnin die Wärmezufuhr den Tetanus aufhebt, die Wärmcentziehung denselben hervorruft; bei einer grösseren 3 Dosis von Strychnin, die Wärmezufuhr den Tetanus hervorruft, die Wärmeentziehung denselben nicht zu Stande kommen lässt.” \ Um dies Gesetz zu erläutern, nehme man die drei Frösche ABC des vorigen Experimentes, sobald sie in dem Wasser von 31" C. in Tetanus gerathen, sogleich heraus und lege sie auf eine flache Schüssel, in der sich wenig Wasser befindet, bei einer Zimmertemperatur von etwa 20" C. Nach 24 Stunden findet man, dass die Thiere aufsitzen und im Stande sind herumzuspringen. Einen der Frösche (A) lege man jetzt auf ein Stück Eis, indem man ihm mit dem Bücken ein wenig gegen dasselbe andrückt, und nach einigen Minuten befindet sich derselbe in voll- ständigem Tetanus. Man nehme ihn jetzt in die Hand, und nach wenigen Minuten kann das Thier wieder herumspringen. Auf Eis gelegt erscheint der Tetanus wieder. Die Frösche B und C befinden sich in einigen Tagen im Normalzustände, und es lässt sich kein Tetanus mehr durch Wärmeentziehung bei ihnen hervor- rufen, während der Frosch A, welcher die ganze Zeit über auf dem Eise lag, den Tetanus behalten hat. Es geht daraus hervor, dass das Strychnin allmälig aus dem Körper ausgeschieden wird, dass diese Ausscheidung aber bei höherer Tempe- ratur schneller von Statten geht als bei niederer. Diese Ausscheidung setzt wahr- scheinlich eine erhöhte Thätigkeit sammtlicher Functionen des Organismus voraus, der dadurch leicht erschöpft wird, welches aus Folgendem hervorzugehen scheint. Setzt man nämlich einen normalen Frosch in Wasser von 25" C., so lebt das Thier darin ganz gut fort. Ein Frosch dagegen, welcher eine geringe Menge Strychnin aufgenommen, welche ihn bei niederer Temperatur in Tetanus brachte, verliert zwar den Tetanus in dem Wasser von 25" C, wird aber auch alsbald scheintodt, d. h. Blut und Lvmphherzen hören auf zu pulsiren. Nimmt man ihn aus dem Wasser heraus und kühlt ihn ab, so tritt das Leben wieder ein, mit diesem aber auch der Tetanus. Auf die Frage: weshalb bei grösseren Dosen Strychnin der Tetanus, welcher durch Wärmezufuhr hervorgerufen, auf dem Eise nicht verschwindet, sondern fortbesteht, und das Thier nicht stirbt, muss ich mit unserem Meister antworten: Aber was nicht zu begreifen Wiisst’ ich auch nicht zu erklären Die Frequenz der Athem- und Herzbewegungen hat, wie man leicht einsieht, keinen Einfluss auf die genannten Phänomene. Dass der Tetanus jedesmal ver- schwindet, wenn das Herz unterbunden wird, und nach Lösung der Ligatur zurück- kehrt, habe ich an einer anderen Stelle erwähnt. Was den Einfluss der Elektricität auf den Strychnintetanus betrifft, so ist es leicht nachzumachen, dass man einen vergifteten Frosch in einen tetanisirenden Strom bringt. Der Tetanus verschwindet augenblicklich bei der Berührung. Das Phänomen auf eine momentane Lähmung des Rückenmarkes zurückführen zu wollen, ist, glaube ich, nicht richtig. Ich möchte das Phänomen viel eher mit dem Namen „gebundener Tetanus” bezeichnen und an jene poetische Skizze Humboldts „der Rhodische Genius” erinnern, da es in vielen Fällen beruhigender ist, falsch zu denken, als garnichts zu denken. Ich habe Frösche viele Stunden lang in diesem gebundenen Tetanus liegen lassen, und gleich nach Unterbrechung des Stromes war der Strychnintetanus wieder eingetreten. Da ich leider nicht in der Lage bin, diese Versuche weiter zu verfolgen, er- wähne ich noch folgenden Experimentes, weichte Beachtung verdient: Ich brachte einen normalen Frosch unter einen Inductionsstrom, welcher so eben Tetanus erzeugte. Dann vergiftete ich das Thier mit der geringsten Quantität Strychnin. Sobald Tetanus eingetreten, wurde mittelst des vorigen Inductions- stromes das Thier zur Buhe gebracht. Der eine Draht steckte am unteren, der andere am oberen Ende der Wirbelsäule. Herz und Lymphherzen pulsirten sehr gut. Am ganzen Rumpfe keine Spur von Reflexbewegung, wohl aber an den Augen. Das Thier athmet und plinkt mit den Augen. Von Zeit zu Zeit ruckweises Schliessen der Augen und Contraction der Unterkiefermuskeln, nebst Muskelzittern der Rumpfmuskeln. Wurde der Strom unterbrochen, so stellte sich der Tetanus in wenigen Sekunden her, und das bisher auf dem Rauche liegende Thier nahm wieder die Lage auf dem Rücken ein. Ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, die Vergiftung, sowie die Intensität des Stromes so zu modificiren, dass ich auch an den Rumpfmuskeln einfache Reflexbewegungen bekommen würde. Das habe ich aber nicht erreicht. Schliesslich sei es dem practischen Arzte noch erlaubt, zu bemerken, dass ein Herr von der Caucase-Kaste Similia similibus (Gleich und Gleich gesellt sich gern) diese Experimente zu Gunsten seiner Doctrin benutzen will. Da es noch Zeit ist, ihn davon abzuhalten, so erinnere ich ihn an Swifts Erzählung aus der Akademie von Logado: „Der Doctor pumpte dem Hunde Luft in den Hintern, um ihn zu heilen. Der Hund starb auf der Stelle, und wir verliessen den Doctor, eifrig beschäftigt, das Thier durch dieselbe Operation wieder ins Leben zu rufen.” Von einem Nachkommen dieses Arztes weiss ich, dass ihm dies, ganz gegen seine Erwartung, nicht gelang. Gedruckt hei Georg Reimer in Berlin.