SITZUNG AM 15. JANUAR 1859. Otto Funke, Beiträge zur Kenntniss der Wirkung des Urari und einiger anderer Gifte. Durch die trefflichen Untersuchungen von CI. Bernard und Kölliker ist die Aufmerksamkeit der Physiologen in höch- stem Grade auf das unter dem Namen Curara oder .Urari und einigen andern Synonymen bekannte amerikanische Pfeil- gift gelenkt worden. Das hohe Interesse für diese räthselhafte Substanz gründet sich vor allen Dingen auf die fast allgemeine Ueberzeugung, dass mit Hülfe derselben durch die genannten Forscher eine endgültige Entscheidung einer der wichtigsten Fundamentalfragen der Nervenphysiologie gewonnen sei, d. i. der Frage nach dem Abhängigkeitsverhältniss zwischen Mus- kel und Nerv. Bernard und Kölliker haben bekanntlich auf Grund der Urariwirkung die alle Lehre von der Muskelirri- tabilität rehabiJitirt, indem sie durch ihre Versuche die unge- störte Fortdauer der Beactionsfühigkeit der Muskeln selbst auf Reize bei vollständiger Lähmung ihrer motorischen Nerven durch das fragliche Gift dargethan zu haben glauben. Ausser diesem wesentlichsten Resultat sind aber aus den direclen Ergebnissen der Urariversuche noch eine Anzahl anderer Folgerungen abge- leitet worden, welche in überraschendem Conflict mit den bis- her herrschenden Anschauungen in der allgemeinen Nervenphy- siologie stehen, und neue Räthsel einführen, für welche vorläufig noch keine Lösung abzusehen ist. So steht der von Kölliker aufgestellte Satz, dass das Pfeilgift ausschliesslich die motori- schen Nervenfasern lähme, die Leistungsfähigkeit der sensibeln dagegen intact lasse, in vollem Widerspruch zu der auf die an- scheinend vollkommene histiologische, chemische und eleklro- Math. phys. CI. 1859. 2 OTTO FUNKE, motorische Uefrereinslimmung beider Faserarten basirten An- sicht, dass beide an sich vollkommen identisch seien und nur durch ihre Ausrüstung mit specifisch verschiedenen Endappa- raten in functioneil differente Klassen geschieden werden. So hat ferner die wunderbare Thatsache, dass das Herz mit Pfeil- gift vergifteter Frösche trotz der als unzweifelhaft betrachteten Lähmung aller motorischer Nerven ungestört fortschlägt, Kölli- ker zu einer Hypothese Uber die Natur der Herzbewegung ver- leitet, welche ohne strengere Beweise, als die aus den UrariWir- kungen geschöpften schwerlich sich Geltung erringen dürfte. Bei der Wichtigkeit der bei diesen Schlussfolgerungen auf dem Spiele stehenden physiologischen Fragen und der Gewichtigkeit der mannigfachen bekannten, hier nicht näher zu erörternden Gegengründe, welche sowohl gegen eine specifische Muskelirri- tabilität, als gegen eine Grundverschiedenheit sensibler und mo- torischer Fasern in ihrem Verhalten gegen äussere Agentien als endlich gegen derartige weitere Folgerungen wie die einer direc- ten Innervation der Herzmuskelfasern von apolaren Ganglien- zellen aus ohne Vermittlung motorischer Fasern sprechen , kön- nen die Ansprüche an die Beweiskraft der Grundfacta, auf welche jene Annahmen gestützt sind sowie an die Schärfe der Beweisführung selbst nicht streng genug gestellt werden. Fragen wir nach den Grundlagen der Bernard-Kölliker’schen Beweis- führung für die Muskelirritabilität, so sind dieselben kurz fol- gende: Vergiftet man einen Frosch mit Urari, so tritt nach we- nigen Minuten ein Zustand ein, in welchem die intensivsten Reize, auf einen Nervenstamm applicirt, die von demselben ver- sorgten Muskeln nicht mehr zur Zuckung zu bringen vermögen, während schwache Reize, auf die Muskelsubstanz selbst applicirt, dieselben wie im Normalzustand zur Zuckung veranlassen. Ver- hindert man dagegen durch Unterbindung der Blutgefässe die Zufuhr des Giftes zur Muskelsubstanz , so behalten auch die Nervenstämme, trotzdem dass sie dem Gifte zugänglich geblie- ben sind, sehr lange die Fähigkeit, auf Reizung die Muskeln in den Gontractionszustand zu versetzen. Hieraus schliessen Kolli— ker und Bernard, dass das Gift die motorischen Nerven in cen- tripetaler Richtung fortschreitend lödte, zuerst ihre innerhalb des Muskels selbst gelegenen Enden, dann die an diese zunächst sich anschliessenden Strecken ausserhalb, zuletzt die Stämme; da nun der Muskel trotz der auf diese Weise erschlossenen vor- WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. zugsweisen und vorausgehenden Lähmung der in ihm verbreiteten motorischen Nervenenden fortfahre, sich auf Reizung seiner Sub- stanz zu contrahiren, so bleibe nichts übrig, als ihm eine selbst- ständige, von den motorischen Nervenenden unabhängige Irrita- bilität zu vindiciren. Der Grundversuch, durch welchen die Immunität der sensibeln Nerven gegen Pfeilgift bewiesen wird, ist folgender: Vergiftet man bei einem Frosch nur die vordere Körperhälfte, indem man durch Unterbindung der zu den hin- tern Extremitäten gehenden Blutgefässe (oder Abschnürung der ganzen hintern Körperhälfte mit Ausnahme der Nerven) das Gift, welches in die vordere Körperhälfte eingebracht wird, von der hintern Hälfte absperrt, so bleibt den motorischen Nerven der letztem die Fähigkeit, auf Reizung die Muskeln zur Con- traction zu bringen , während dieselbe den motorischen Nerven der vordem Hälfte schnell verloren geht. Wohl aber kann man noch durch Reizung der sensibeln Nerven der Vorderhälfte Re- flexbewegungen der hintern Extremitäten auslösen; es sind mithin die sensibeln Nerven reizbar und in ihrer ganzen Länge leitungsfähig geblieben. Die angedeuteten Versuche selbst sind untadelhaft, ihre Resultate, wie dies solchen Experimentatoren gegenüber nicht anders zu erwarten stand , vollkommen bestä- tigt; ebenso ist der aus den positiven Ergebnissen des zuletzt genannten Versuchs gezogene Schluss, dass die sensibeln Nerven nicht durch Urari alterirt werden, unanfechtbar. Dagegen steht die auf die motorischen Nerven und die Unabhängigkeit der Muskeln von ihnen bezügliche Schlussfolgerung durchaus nicht auf so festen Füssen; sie stellt nur eine, wohl auch die zunächst- liegende Art der Auslegung der Versuchsergebnisse, nicht aber die einzige dar, und muss so lange als zweifelhaft betrachtet werden, bis alle übrigen Möglichkeiten mit unwiderleglicher Ge- wissheit zurückgewiesen sind, was keineswegs der Fall ist. Kölliker selbst hat einen naheliegenden Einwand angeführt; er denkt daran , dass die Gegner der Muskelirritabilität glauben könnten, dass das Gift zwar die innerhalb des Muskels frei ver- laufenden Nervenverästelungen lähme, vielleicht aber gerade die wirksamsten eigentlichen Nervenendigungen an den Muskelfasern vom Gifte unberührt bleiben , und von diesen daher die fort- dauernde Reizbarkeit des Muskels herrühre. Indessen legt Kölli- ker auf diesen Einwand kein grosses Gewicht, indem er ent- gegenhält, dass es viel näher liege anzunehmen, dass gerade 4 OTTO FUNKE, umgekehrt nur die letzten Endigungen, welche sich durch Zart- heit oder Mangel der Markscheide und mehr biosliegende Ach- sencylinder auszeichneten, gelödtet würden. Ich habe dagegen bereits früher auf einige Momente aufmerksam gemacht, welche, wie ich glaube, jenen Einwand nicht so ohne Weiteres verwerf- lich erscheinen lassen, das von Kölliker für wahrscheinlicher gehaltene Gegentheil geradezu unwahrscheinlich machen. Es ist meines Erachtens trotz des Mangels jedes mikroskopischen Anhaltepunktes äusserst wahrscheinlich, dass jene fraglichen letzten Endigungen der motorischen Nerven , die Endapparate derselben, durch welche sie auf die Muskeln wirken, sich nicht zwischen den Muskelprimitivbündeln, sondern im Innern der- selben befinden , dass vielleicht hier durch weitere mikroskopi- sche Forschungen ein ähnliches complicirtes Endverhalten auf- gedeckt wird , wie an den peripherischen Enden der sensibeln Fasern, oder den Nerven im elektrischen Organ. Das sind frei- lich nur Vermuthungen, allein der Umstand, dass ein dem Mus- kel einfach aufgelegter Nervenstamm im Erregungszustand den Muskel nicht in Thätigkeit versetzt, spricht entschieden gegen eine einfache Apposition der frei endigenden Nervenfasern an die Aussenseite der Fleischfasern. Dringen die letzten Nerven- äste aber in das Innere der Primitivbündel, dann lässt sich wohl denken, dass sie vom Gifte verschont bleiben, da die Capillaren nicht in das Innere der Primilivbündel eindringen, das in den Parenchymsaft aus dem Blut transudirte Gift aber bei der no- torischen Schwierigkeit, mit welcher es thierische Membranen durchsetzt, schwerlich durch das Sarkolem hindurch zu jenen eingeschlossenen Enden gelangen kann. Es ist leicht begreiflich, dass wenn diese Hypothese sich bewahrheitete, alle Erscheinun- gen der Urarivergiftung sich mit Umgehung der Annahme der Muskelirritabilität vollkommen erklären Hessen. Heidenhain hat sich in seiner neuern Arbeit über das Verhalten der Herznerven zum Pfeilgift in ähnlicher Weise ausgesprochen und ist ebenfalls zu der Vermuthung gelangt, dass das Urari beim Vagus wie bei den motorischen Nerven nicht die letzten Enden aber auch nicht die Stämme, sondern ein zwischen beiden befindliches peripheri- sches Stück lähme. Es fragt sich, ob überhaupt ein entscheidender Beweis ge- liefert worden ist, dass die motorischen Nerven in ihrem Verlauf bis zu den Muskelenden gelähmt werden. Meines Erachtens fehlt WIRKUNG DES URAUI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 5 ein solcher durchaus; aus den Versuchen folgt mit Gewissheit zunächst nur, dass nach Urarivergiftung die Muskeln von den Nervenstämmen aus nicht mehr in Thätigkeit versetzt werden können, durchaus aber nicht, dass die Nervenstämme selbst durch den Reiz nicht mehr in Erregungszustand versetzt wer- den, denselben nicht mehr nach dem Muskel zu von der Erre- gungsstelle aus fortpflanzen. Es ist sehr wohl denkbar, dass die Nervenstämme ebenso wie die letzten innerhalb der Primitiv- bündel befindlichen Nervenenden vom Gifte nicht alterirt wer- den, aber ein zwischen beiden an der Uebergangsstelle befind- licher Zwischenapparat seine Leistungsfähigkeit einbüsst, so dass die im Nervenstamm wie im Normalzustand durch den Reiz hervorgerufene Erregung durch jenen Apparat nicht mehr hin- durch wirken kann, wohl aber die letzten Enden selbst bei di- recter Reizung wie die Stämme ihre normale Wirksamkeit äus- sern. Dass durch diese Annahme die Erscheinungen ebenso vollkommen erklärt werden wie durch die früher angedeutete, liegt auf der Hand. Es fragt sich, ob sie sich begründen lässt. Von vornherein spricht sehr dringend für die Immunität der motorischen Fasern im Verlauf die erwiesene Immunität der sensibeln Fasern, wie schon oben angedeutet. Es lässt sich nicht der entfernteste Umstand namhaft machen, welcher irgend wahrscheinlich machte, dass z. B. die im Stamme des Ischia— dicus enthaltenen sensibeln Fasern in irgend w elcher Weise sich anders verhalten könnten, als die motorischen. Gegen die Im- munität der motorischen Fasern in den Stämmen und gegen obige Hypothese scheinen die Versuche Kölliker’s zu sprechen, wo nach vollständiger Amputation eines Hinterschenkels über dem Knie mit Ausnahme des Nerven also trotz der Absperrung des Giftes von den Muskelenden der Nervenfasern , dennoch die letzteren längere Zeit nach der Vergiftung auch in den Stämmen oberhalb der Amputationsstelle die Fähigkeit verloren, auf Rei- zung die Unterschenkelmuskeln zur Contraction zu bringen. Aus diesen Versuchen schliesst Kölliker, dass das Pfeilgift auch die Stämme der motorischen Nerven, wenn auch viel später als deren Muskelenden tödte. Allein es scheint mir keineswegs un- zweifelhaft, dass die unter den genannten Verhältnissen viele Stunden nach der Vergiftung eintretende Reactionslosigkeit der Stämme wirklich von einer directen Einwirkung des Urari auf dieselben herrührt. Dafür spricht allerdings der Umstand, dass 6 OTTO FUNKE, in Kölliker’s Versuchen die oberen dem Gifte zugänglichen Par- thien des Ischiadicus zeitiger aufhörten auf den Muskel zu wir- ken als die an der Amputationsstelle zwischen beiden Stumpfen liegende Strecke. Allein trotzdem glaube ich, besonders auf Grund der unten zu erörternden Versuche hin , das centrifugale Absterben der Nervenstämme in diesem Falle als Folge der Ver- letzung des Schenkels und insbesondere der Unterbindung sei- ner Blutgefässe auffassen zu müssen. Beim Frosch tritt trotz seiner Lebenszähigkeit, trotz der nicht direct vom Gift afficirten Ilerzthätigkeit, doch endlich allgemeiner Tod nach UrariVergif- tung ein; dass die durch diesen bedingte Vernichtung der Ner- venleistungsfähigkeit in einem Schenkel, der auf die beschrie- bene Weise behandelt ist, früher eintritt, dass die wiederholten Reizungsversuche mit Bloslegung des Marks, der Wurzeln und des Stammes selbst dieselbe beschleunigen, ist nicht auffallend. Ferner ist zu bedenken, dass die Muskeln des Unterschenkels selbst in Folge der vollständigen Sistirung des Kreislaufes in ihnen, allmälig absterben, wie auch die Versuche lehren; es wird daher eine Zeit kommen, wo die Beizung benachbarter Theile des Nervenstammes noch auf sie zu wirken vermag, nicht aber die Reizung entfernter Parthien. Ich wiederhole, dass mich zu dieser Bekämpfung der Kölliker’schen Darlegung des in Rede stehenden Versuchresultates nicht grundlose übertriebene Scep- sis , sondern die Ergebnisse meiner Versuche veranlassen , wie ich unten zeigen zu können hoffe. Hier handelt es sich nur um das vorläufige Raisonnement über die vorliegenden Data und Schlüsse, auf welches hin ich die folgende Untersuchung unter- nahm. In diesem Sinne füge ich noch hinzu, dass mich a priori ganz besonders noch gegen die Kölliker’sche Deutung der Urari- wirkung auf die motorischen Nerven die Behauptung des regel- mässigen centripetalen Fortschrittes der Lähmung einnahm. Warum sollten die zarten marklosen Anfänge der motorischen Nerven im Mark , welche meines Erachtens dem Angriff des Giftes in Kölliker’s Sinn keine ungünstigeren Verhältnisse dar- bieten, als die peripherischen Enden im Muskel,. nicht ebenso früh oder früher absterben als letztere? Dass sie in der That aber ihre Leistungsfähigkeit lange erhalten, gehl schon aus der langen Fortdauer der Reflexbewegungen in den oben schon an- gedeuteten Versuchen hervor. Es kam also darauf an, ein Mittel zu finden, durch welches WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 7 sich unzweideutig entscheiden liess, ob die motorischen Nerven- fasern im Gegensatz zu den sensibeln wirklich durch Pfeilgift gelähmt werden , oder nicht. Es blieb keine andere W^ahl, als der Multiplicator; derselbe erschien mir aber auch als voll- kommen competent zur Lösung der aufgeworfenen Frage, ver- steht sich, bei gehöriger Anordnung der Versuche. Seitdem wir durch du Bois-Reymond’s classische Untersuchungen wissen, dass die elektromotorische Kraft des Nerven und seine physio- logische Leistungsfähigkeit unter allen Verhältnissen einander genau proportional sind, beide in demselben Verhältniss steigen und sinken , beide gleichzeitig erlöschen , seit wir ferner in der negativen Schwankung des Nervenstroms das einzige aber sichere, dem Nerven selbst angehörige Merkmal seines Erregungszustan- des kennen gelernt haben, seitdem darf und muss der Multipli- cator als schärfstes und sicherstes Reagens auf die Reizbarkeit und den Erregungszustand des Nerven angesehen werden, und bleibt in solchen Fällen , wie dem vorliegenden , wo der Muskel als solches nicht verwendet werden darf, das einzige. Lässt sich erweisen, dass die Nerven des Frosches nach der Urarivergiftung in ihrem ganzen Verlauf bis zum Muskel zu allen Zeiten, auch dann noch, wenn nach Kölliker längst eine Lähmung der Stämme eingetreten ist, unverändert, wie im Normalzustand elektromo- torisch wirksam sind, wie im Normalzustand auf Reizung die negative Stromschwankung und die Phasen des Elektrotonus zeigen, dass ferner selbst tagelang nach der Vergiftung kein Unterschied in der elektromotorischen Wirksamkeit motorischer und sensibler Nervenfasern vorhanden ist, so fällt meines Er- achtens jede Berechtigung weg, die motorischen Nervenfasern als durch das Gift gelähmt zu betrachten. Es ist wunderbar, dass bei dem hohen Interesse, welches dem Pfeilgift geschenkt worden ist, Niemand es unternommen hat, das elektromotorische Verhalten der Urarinerven einer eingehenden Prüfung zu unter- werfen. Kölliker hat zwar bei vergifteten Kaninchen die nn. ischiadici, mediani, facialis, lingualis und hypoglossus auf den Nervehstrom geprüft und denselben noch gefunden, allein un- mittelbar nach dem Tode, wo nach seiner eigenen Ansicht an eine Einwirkung des Giftes auf die Nervenstämme noch nicht zu denken ist, während spätere Untersuchungen bei Säugethieren nichts beweisen können, weil der Tod selbst, den der Stillstand der Respiration bedingt, schnell der Leistungsfähigkeit und 8 OTTO FUNKE, elektromotorischen Wirksamkeit der Nerven ein Ende macht. Bei Fröschen hat Kölliker keine Versuche angestellt, deutet aber das Interesse derselben an. Eine Vergleichung motorischer und sensibler Nerven auf ihre Stromentwicklung hält Kölliker bei Fröschen für unausführbar; die folgenden Versuche zeigen in- dessen , dass diese Vergleichung an den vorderen und hinteren Rückenmarkswurzeln der Frösche mit bestem Erfolg ausführ- bar ist. Dass aber für die vorliegende Frage vordere und hin- tere Rückenmarkswurzeln nicht als Repräsentanten motorischer und sensibler Nerven gewählt werden dürfen, werden, glaube ich , selbst diejenigen nicht behaupten , für w elche der Bell’sche Lehrsatz keine unbedingte Geltung hat. Ich habe daher eine, wie ich sagen zu dürfen glaube, erschöpfende Reihe von Ver- suchen über das elektromotorische Verhalten der Nerven mit Urari vergifteter Frösche angestellt und w'ende mich nun zur nähern Darlegung ihrer Resultate und der daran sich knüpfen- den Folgerungen. Ueber die Versuchsmethode habe ich w’enig vorauszu- schicken. Das von mir verwendete Pfeilgift ist ziemlich kräftig wirksam, da es indessen an Wirksamkeit dem von Kölliker ver- wendeten einigermaassen nachzustehen scheint, habe ich in allen Versuchen durch relativ grosse Dosen diesen Mangel zu compensiren gesucht. Die Vergiftung wurde in der Regel durch Einbringen von in Wasser aufgerührtem Uraripulver unter die Rückenhaut bewerkstelligt. Der zu den Versuchen verwendete Multiplicalor von 31000 Windungen ist vielleicht eines der aus- gezeichnetsten Instrumente, w elches bisher aus Sauerwald’s Händen hervorgegangen ist; seine Vorzüge bestehen, abgesehen von dem gänzlichen Mangel einer nachweisbaren Nebenschlies- sung in den Windungen, in einem sehr unbedeutenden Grade der Ablenkung durch die Drathmassen und vor allen in einer vorzüglichen Güte des Nadelpaares, welches den ihm ertheilten Grad von Astasie, natürlich bei Vermeidung jeder Misshandlung mit starken Strömen, aber trotz anhaltenden Gebrauchs mit merkwürdiger Zähigkeit sich erhält. Dass bei einer Untersuchung, wie der von mir beabsichtig- ten, eine vollständige Gleichartigkeit der Platinenden und Bäu- sche erforderlich war, versteht sich von selbst; glücklicherweise erhielt sich dieselbe während der ganzen Versuchsreihe unver- ändert. Die Nadel wurde beim Auflegen des Schliessungsbau- WIRKUNG DES URARI UNI) EINIGER ANDERER GIFTE. 9 sches fast nie vom Nullpunkt abgelenkt, und wenn ja ein Aus- schlag von 2— 4° nach der einen oder andern Seite erfolgte, so habe ich stets die Nerven in solcher Anordnung zwischen die Bäusche eingeschaltet, dass die Nadel in den entgegengesetzten Quadranten geführt werden musste; übrigens kommen so geringe Ungleichartigkeiten bei der Grösse der Ausschläge, um welche es sich durchweg in den Versuchen handelte, gar nicht in Be- tracht. Was das Verfahren bei den Multiplicatorversuchen be- trifft, so ist noch Folgendes vorauszuschicken. Um vergleichungs- fähige Ausschläge zu erhalten , habe ich in allen Fällen die zu vergleichenden Nervenstücke mit gleichen Theilen in gleicher Länge zwischen die Bäusche eingeschaltet, die Ischiadici stets mit peripherischem Querschnitt, welcher jedesmal an der Thei- lungsstelle des Stammes gemacht war, und einen 12 Mm. davon entfernten Punkt des natürlichen Längsschnittes, die Rücken- markswurzeln in der Regel mit ihrem peripherischen Abschnitt ebenfalls mit Querschnitt und Längsschnitt bei einem constanten Abstand der Bäusche von 21/» Mm. ; nur in einigen wenigen Fällen habe ich absichtlich die centralen Abschnitte der Wurzeln benutzt, ohne jedoch einen Unterschied in der Wirksamkeit zu bemerken. Ebenso habe ich mit grösster Gewissenhaftigkeit durchweg gleichartige Verhältnisse bei der Reizung der Nerven zur Reobachtung der negativen Stromschwankung hergestellt, durchweg dieselbe Stromstärke zur Reizung verwendet, den- selben Abstand der Platinbleche der stromzuführenden Vorrich- tung, dieselbe Nervenstrecke gereizt und endlich denselben Abstand der erregten von der abgeleiteten Nervenstrecke bei- behalten ; letztere Grössen waren natürlich andere bei den Ner- venwurzeln als bei den Nervenstämmen. Zur Reizung bediente ich mich des Schlittenelektromotors, der Abstand der Spiralen war in allen Fällen der, dass die secundäre mit ihrem einen Ende gerade an das hintere Ende der primären reichte. Diese an sich selbstverständlichen Sachen glaubte ich vorausschicken zu müssen, um die folgenden Data von dieser Seite her vor Ein- wänden zu schützen. Ich bespreche zunächst die an den Stämmen der Ischia- dici gewonnenen Resultate. Zu einer richtigen Würdigung der vonUrarinerven erhaltenen Ausschläge gehört natürlich eine Ver- gleichung mit den Ausschlägen gesunder Froschnerven unter sonst gleichen Verhältnissen. Die Nadel meines Multiplicators 10 OTTO FUNKE, wird bei grosser Erregbarkeit der Frösche und möglichst hoher Empfindlichkeit des Instruments von dem Strom eines ruhenden Ischiadicus unfehlbar bis an die Hemmung geführt und in einer dauernden Ablenkung von etwa 45—60° erhalten. Dieser Maass- stab liess sich indessen an die vorliegenden Versuche nicht an- legen, weil dieselben erstens an Fröschen , welche bereits seit 2 Monaten in Gefangenschaft aufbewahrt waren, angestellt sind, zweitens der Multiplicator sich während derselben zwar in einem hohen aber nicht im höchsten Grad der Empfindlichkeit befand. Unter diesen Verhältnissen erreichte die Nadel bei der Einwir- kung des Stromes eines gesunden (auf die beschriebene Weise eingeschalteten) Ischiadicus seltner die Hemmung, wurde in der Regel nur um 50 — 80° abgelenkt und kam dem entsprechend auch nur in Ablenkungen von etwa 30 — 45° zur Ruhe. Reim Tetanisiren der oberen Parthie des Ischiadicus unter denselben Redingungen, wie sie in den Urariversuchen constant eingehal- ten wurden, ging sie aus ihrer dauernden Ablenkung durch den Strom des ruhenden Nerven in der Regel bis in die Nähe des Nullpunktes zurück, überschritt denselben aber auch häufig und gab einen Ausschlag von 10—20° in den negativen Quadranten je nach der Stärke der Ladungen. Die folgende Tabelle enthält die Ausschläge, welche in ver- schiedenen Zeiten nach der Urarivergiftung von den Ischiadicis erhalten wurden, zusammengestellt. Ich füge die Nummern der Versuche bei, um die auf gleiche Thiere bezüglichen Zahlen der verschiedenen Tabellen unter einander vergleichen zu können. Das -t- Zeichen begleitet die Ausschläge in denjenigen Quadran- ten , in welchen nach der jeweiligen Anordnung der Strom des ruhenden Nerven die Nadel nach dem Gesetz führen muss. Das — Zeichen bezeichnet den entgegengesetzten Quadranten der Theilung, H bedeutet einen Ausschlag bis zur Hemmung, L in der 2. Colonne Längsschnitt, Q Querschnitt des Nerven. WIRKUNG DBS URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 11 Tabelle I. (Urari.) Nummern des Versuchs. Bezeichnung des Nerven. Erster Ausschlag. '■o a £ 3 !§ Negative Schwaukung. Zeit nach der Vergiftung. Bemerkungen. III. d. Ischiad. sin. + H + 52° - H 40' Nach Beendig, d. Rei- zung abermals + H. V. g. Ischiad. sin. + 70° + 38° — 62° 50' VI. c. Ischiad. sin. + 82° + 46° — 66° 6' IV. h. Ischiad. sin. + 74° + 42° + 10° t11 3 0' Nach Beendig, d. Rei- zung + 48°, 2tenegat. Schwankung —4°. ,, i- Ischiad. dext. + 72° + 36° + 4° 3h20' Naoh Beendig, d. Rei- zung + 46°. VII. e. Ischiad. dext. + 11 + 62° - II 3h53' V. h. Ischiad. dext. + 46° + 28° - H 19h55' 19h 5' nach Ausschnei- dung der Rücken- markswurzeln u. des Isch. sin. VI. d. Ischiad. dext. ders. umgek. ders. Q. n. Q. + 74° + 42° + 4° + 44° + 27° -62° -49° 20h 42' £0h45' 20*1 49' VIII. f. Ischiad. sin. ders. umgek. + 80° + 80° + 45° — 21° 24h 25' 24'1 28' g. Ischiad. dext. + 69° + 47° -42° 24h 32' ' ders. Q. u. Q. + 8° _ — l4‘* 36^ Diese Zahlen lehren zur Genüge, dass die elektromoto- rische Wirksamkeit der Nervenstämme durch die Einwirkung des Urari nicht herabgesetzt wird. Obwohl schon 8 —13 Minuten nach der Application des Giftes die intensivste Reizung des Ischiadicus durch die Muskeln nicht mehr beantwortet wurde, zeigte derselbe doch noch 24 Stunden nach der Vergiftung und wahrscheinlich noch viel länger einen nicht minder kräftigen Strom als ein gesunder, während die negative Stromschwankung an Urarinerven sogar in der Regel weit beträchtlicher ausfiel, als an gesunden. Ich kann mich nicht erinnern, bei den sehr zahlreichen Versuchen, welche ich mit letzteren angestellt, jemals die Nadel aus ihrer ersten durch den ursprünglichen Strom ihr angewiesenen Ruhelage beim Te- tanisiren bis an die Hemmung des negativen Quadranten gehen gesehen zu haben. Dass der negative Ausschlag bei Urarinerven ebensowenig als bei gesunden von einer Stromumkehr herrührte, wie auch nicht anders zu erwarten stand, davon habe ich mich durch den Versuch überzeugt. Ein im Tetanus eingeschalteter 12 OTTO FUNKE, Nerv gab stets einen , wenn auch geringen positiven Ausschlag. Jedenfalls lässt die Mächtigkeit der negativen Schwankung nach der Vergiftung eher auf eine Erhöhung als auf eine Herabsetzung der Erregbarkeit schliessen. Nach diesen Wahrnehmungen konnte es nicht zweifelhaft sein, dass Urari- nerven auch die Erscheinungen des E lekt rotonus am Mul- tiplicator zeigen. Der Versuch bestätigte diese Voraussetzung vollkommen; ich liess bei demselben den Abstand der Bäusche, der Platinbleche von einander, der erregten von der abgeleiteten Strecke unverändert wie in den vorhergehenden Versuchen und schickte durch den oberen Theil des Stammes den Strom von 3 der kleinen von du Bois angegebenen Grove’schen Elemente; in diesen und in den später zu referirenden Versuchen habe ich, wenn die Nadel zur Ruhe gekommen war, stets die positive Phase zuerst hervorgerufen. Tabelle II. (Urari.) Bezeichnung Strom des ruhenden Nerv. Elektrotonus. Zeit u © nach der qj -3 1 £ des Erster Dauern- Ver- Bemerkungen. s ® Nerven, Aus- schlag. de Ab- lenkung. + Phase. Phase. giftung. XII. d. Ischiad. sin. + 75° + 38° + H 18h 29' -28° + H © 00 CO I + 14° 4 8b 40' XII. e. Ischiad. dext. + 85° + 40° + H - H + H - H Zur weiteren Befestigung des ausgesprochenen Resultates, dass das elektromotorische Verhalten der motorischen Nerven- stämme durch Urari nicht geändert wird , blieb mir noch übrig, erstens an demselben Thiere gleichnamige vergiftete und unver- giftete Nerven zu vergleichen, zweitens den Beweis zu führen, dass 4 8—24h nach der Vergiftung die elektromotorisch noch so kräftig wirksamen Nervenstämme bei Anstellung des Kölliker’- schen Versuches mit Absperrung des Giftes von ihren peripheri- schen Enden wirklich gelähmt erscheinen, und drittens, dass der wahrgenommene Nervenstrom nicht etwa ausschliesslich den WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. im Ischiadicusstamm eingeschlosseucn sensibeln Fasern ange- höre. Den zuerst genannten Vergleich habe ich häufig ausgeführt, indem ich die arteria iliaca einer Seite vor der Vergiftung unter- band und nun zu verschiedenen Zeiten nach der Vergiftung den vergifteten und unvergifteten Ischiadicus gegeneinander auf ihren Strom prüfte. Bei dieser Prüfung habe ich theils beide Ischiadici nach der Methode der Compensation gleichzeitig aber in entgegengesetztem Sinne in den Multiplicatorkreis ein- geschaltet , theils beide nacheinander aufgelegt. Das Ergebniss war folgendes. Bei gleichzeitiger Einschaltung war das Ueber- gewicht des Nervenstroms in der Ruhe bald auf Seite des gesun- den, bald auf Seite des Urarinerven. Beim Tetanisiren erhielt dagegen stets der vergiftete Nerv das Uebergewicht, die Nadel ging in der Regel an die Hemmung im Sinne der negativen Schwankung des vergifteten Nerven, selbst dann, wenn dessen ursprünglicher Strom an Stärke dem des gesunden nachgestanden halte. Das stimmt zu der schon oben bemerkten Thatsache, dass die negative Stromschwankung an Urarinerven so beträchtlich ausfällt. Ich führe nur einen Versuch speciell an. Als beide Ischiadici eines Frosches nach Unterbindung der arter. iliaca sinistra, 4h!9' nach der Vergiftung gleichzeitig aber in entgegengesetztem Sinne auf die Bäusche aufgelegt wurden, er- folgte ein Ausschlag von 18° im Sinne des gesunden Nerven, dessen abgeleiteter Bogen indessen auch wirklich etwas grösser ausgefallen war; dieNadel ging aber schnell auf2°zurück. Beim Tetanisiren wurde sie mit Gewalt an die Hemmung geschleudert im Sinne der negativen Schwankung des vergifteten Nerven. Ein fernerer hier zu erwähnender Vergleichsversuch ist fol- gender. Da ich in Versuch V.h. bei einem mit Urari vergifteten Frosch , dessen Rückenmark bei der Untersuchung der elektro- motorischen Wirksamkeit der Nervenwurzeln zerstört, dessen linker Ischiadicus zu gleichem Zweck ausgeschnitten worden war, noch 19 Stunden nach diesen Operationen im rechten Ischia- dicus einen starken Strom und eine mächtige negative Schwan- kung desselben gefunden hatte, so war es mir von Interesse, das gleiche Experiment an einem nicht vergifteten Frosch anzu- stellen. Ich bewahrte daher einen unvergifteten Frosch, dessen Rückenmarkswurzeln zur Untersuchung am Multiplicator gedient hatten, in einem feuchten Raum auf, und schaltete etwa 20 OTTO FUNKE, Stunden später die beiden Ischiadici in den Multiplicatorkreis ein. Das Resultat war folgendes. Der linke Ischiadicus gab einen ersten Ausschlag von + 40°, eine dauernde Ablenkung von + 18°, der rechte einen ersten Ausschlag von +58°, eine dau- ernde Ablenkung von +31°; beim Tetanisiren ging im ersten Fall die Nadel auf -f- 3°, im zweiten auf + 1 4° zurück. Es zeigte sich also in der Ruhe ein etwa ebenso starker Strom als am ver- gifteten Frosch unter sonst gleichen Verhältnissen , aber wie- derum fiel die negative Schwankung am gesunden Nerven weit geringer aus als am Urarinerven. Um den möglichen Einwand, dass mein Gift zu schwach gewesen sei um die Stämme überhaupt anzugreifen, dass daher die 24 Stunden nach der Vergiftung noch bemerkbare Wirksam- keit der Ischiadici nichts beweise, zu entkräften, stellte ich fol- genden Versuch an. Ich verfuhr wie Kölliker in seinem ingeniö- sen Versuch zur Demonstration des centripetalen Ganges des Nerventodes durch Urari. Ich unterband vor der Vergiftung bei einem sehr kräftigen Frosch sorgfältig sämmtliche Blutgefässe (doppelt) des rechten Hinterbeines dicht über dem Knie, schnitt sodann Weichtheile und Knochen vorsichtig durch, so dass Ober- schenkel und Unterschenkel nur noch durch den unversehrten und vor jeder Zerrung durch die Befestigung des Thieres auf dem du Bois’schen Träger geschützten Ischiadicus zusammen- hingen; ich überzeugte mich von der ungestörten Erregbarkeit des- freiliegenden Nervenstückes durch Anlegen eines kleinen Zinkplatinbogens, und vergiftete das Thier'vorn durch eine sehr beträchtliche Dosis Urari. Als ich 10 Minuten nach dessen Ap- plication keine Reflexe mehr wahrnehmen konnte, lockerte ich die Bande der hintern Extremitäten , um Druck auf die Nerven zu verhüten, neigte den Träger nach vorn, so dass ein Ilerab- fliessen der vergifteten subcutanen Lymphe vom Rücken zu dem rechten Unterschenkel nicht möglich war, bedeckte das freilie- gende Nervenstück sorgfältig mit einem Stück der Oberschen- kelhaut, und liess das Thier unter einer Glasglocke in feuchter Luft stehen. Am andern Morgen, 18 Stunden 25 Minuten nach der Vergiftung begann die Untersuchung. Beide Ischiadici rea- girten nicht mehr durch Muskelzuckung auf die kräftigsten Schläge des Schlittens, auch nicht das freiliegende aber bedeckt gebliebene Stück des rechten, welches die einzige Brücke zwi- schen Ober- und Unterschenkel bildete. Am Multiplicalor er- WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 15 hielt ich folgende Ausschlage. Der rechte Ischiadicus (auf der Unterbindungsseite) gab einen ersten Ausschlag von +60°, die Nadel kam in 4-36° Ablenkung zur Ruhe, ging aber beim Teta- nisiren nur auf 4- 30° zurück , zeigte also nur eine Spur einer negativen Stromschwankung an. Für den andern Ischiadicus betrug der erste Ausschlag +58°, also etwa ebensoviel, die Na- del kam in einer Ablenkung von 4-28° zur Ruhe, schlug aber beim Tetanisiren in den negativen Quadranten auf — 11° aus, um nach der Unterbrechung des Tetanus wieder auf -4-29° vor- zugehen. Zunächst folgt hieraus, dass die elektromotorische Wirksamkeit des ruhenden Nerven auf beiden Seiten in ziem- lich gleichem Grade erhalten war, dass dagegen auf dieselbe Reizung der Strom auf der Unterbindungsseite fast gar keine Aenderung erlitt, auf der unversehrten Seite dagegen eine be- trächtliche negative Schwankung zeigte. Wie ist dies zu deuten? Beide Nervenstämme sind dem Gift zugänglich gewesen, wäre für einen derselben eine geringere Giftwirkung zu erwarten, so wäre es entschieden für den der rechten Seite, da durch die Unterbindung der Kreislauf sicher auch im Oberschenkel be- trächtlich gestört war; erwartet man also nach Kölliker Läh- mung des Nerven als Resultat der Giftwirkung , so war auf der Unterbindungsseite auch geringere Beeinträchtigung der elek- tromotorischen Wirksamkeit und der negativen Bewegungser- scheinung des Nervenstroms vorauszusetzen. Der Versuch lehrt in letzterer Beziehung das Gegentheil, fast vollständige Aufhe- bung der negativen Schwankung auf der Unterbindungsseite. Es scheint mir daher unstatthaft, diesen Erfolg, mithin auch den Verlust der Erregbarkeit im Stamm der Amputationsseite der Wirkung des Giftes zuzuschreiben, derselbe erscheint vielmehr als Folge der eingreifenden Operation. Dass nicht etwa Gift trotz aller Vorsichtsmaassregeln zu dem abgeschnittenen Unter- schenkel gelangt und dadurch der Erfolg der Reizung des rech- ten Ischiadicus vereitelt war, beweist noch folgender Umstand. Beide Gastrocnemii reagirten gut auf elektrische Reizung; als ich ihre Reizbarkeit jedoch genauer nach Rosenthal’s Methode verglich, fand ich, dass der rechte schon bei einem Abstand der Spiralen von 22 Cm. in Tetanus gerieth, der linke dagegen erst bei einer Annäherung der Spiralen auf 11% Cm. Da ich mich nun früher durch wiederholte Versuche von der Richtigkeit der Rosenthal’schen Angabe überzeugt hatte, dass ein unvergifteter 16 OTTO FUNKE, Muskel auf weit schwächere Ströme reagirt, als ein vergifteter, so scheint mir diese Thatsache im vorliegenden Falle beweisend für die gänzliche Absperrung des rechten Unterschenkels gegen das Gift. Ganz besonders geeignet, mich in meiner Ueberzeu- gung, dass die Lähmung des rechten Ischiadicusstammes nicht von der Wirkung des Pfeilgiftes herrührte, zu bestärken, war folgende interessante Beobachtung, zu welcher mir zufällig dasselbe Thier Gelegenheit bot. Als ich 18h 25' nach der Ver- giftung die Rückenhaut aufschnitt, war ich ausserordentlich überrascht bei jedem Schnitt schwache, abör deutliche Reflex- bewegungen in den Zehen beider Vorderextremitäten, beson- ders der linken zu bemerken; bald darauf sah ich beide Vor- derarme auf Application mässig starker Inductionsströme in kräftigen Tetanus gerathen. Der Verdacht, dass die Vergiftung aus irgend einem Grunde misslungen, war durch das schnelle Verschwinden der Reflexe, die Reactionslosigkeit der Ischiadici und das Auffinden der Giftreste unter der Rückenhaut genügend widerlegt. Das Räthsel erklärte sich sehr einfach; ich fand, dass die Schlingen, mit welchen die Vorderextremitäten an den Träger befestigt waren, Uber dem Ellenbogengelenk so fest an- gezogen waren, dass beide Vorderarme wie durch absichtliche Unterbindung vollständig abgeschnürt waren, das Gift also nicht, oder wenigstens nicht in ausreichender Menge, zu deren Muskeln hatte gelangen können. Nun hätte man allerdings auch eineTöd- tung der Nerven in Folge ihres Einschlusses in die Ligatur er- warten können, allein theils mochten dieselben durch ihre Lage vor tödtlicher Compression bewahrt worden sein, theils scheint aus Harless’ Versuch hervorzugehen, dass ein massiger Druck auf den Nerven erregbarkeilserhöhend wirkt. Es waren also in diesem Falle unzweifelhaft die motorischen Nerven der vorderen Extremitäten, trotzdem, dass sie in ih- rem ganzen Verlauf vom Ellenbogen bis zum Rü- ckenmark der Einwirkung des Giftes über 18 Stun- den ausgesetzt gewesen waren, erregbar geblie- ben, und zwar bis zum Rückenmark, wie das Eintreten von Reflexbewegungen unwiderlegbar darthut. Ich glaube, dass diese Thatsache entscheidend gegen eine Lähmung der motori- schen Fasern in ihrem Verlauf durch die Einwirkung des Pfeil- giftes spricht, dagegen die Richtigkeit der obigen Deutung der Reizlosigkeit des Iscbiadicus auf der Unterbindungsseite erhärtet. WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 17 Es kam nun noch darauf an, den dritten oben angedeuteten Einwand, dass die erhaltene oder sogar gesteigerte elektromo- torische Wirksamkeit der Nervenstiimme nach Urarivergiftung ausschliesslich den in denselben enthaltenen sensibeln Fasern angehöre, zu widerlegen. Zu diesem Zwecke wendete ich mich an die Rückenmarks wurzeln des Frosches und verglich das elektromotorische Verhalten der vorderen und hinteren Wur- zeln in derselben Weise, wie bei den Stämmen, zu verschiede- nen Zeiten nach der Vergiftung. Multiplicatorversuche an den Nervenwurzeln des Frosches gehören natürlich zu den subtileren Versuchen , doch sind die Schwierigkeiten wenigstens in einer Beziehung nicht sogross, als man vielleicht erwarten könnte. Es kommt darauf an , nach dem Aufbrechen des Wirbelkanals eine vordere oder hintere Wurzel möglichst rasch ohne jede Zer- rung und Quetschung am Rückenmark und am Eintritt in den Intervertebralkanal abzuschneiden, sodann das eine Finde der- selben mit Querschnitt und Längsschnitt zwischen die Bäusche einzuschalten , das andere dagegen Uber die Platinbleche der stromzuführenden Vorrichtung zu legen. Bei einiger Uebung ge- lingt dies ziemlich leicht, obwohl man die abgeleitete Strecke nur etwa 2% Mm. lang machen kann, um einen möglichst gros- sen Abstand derselben von der erregten Strecke zu erzielen; störend ist zuweilen die Geneigtheit der Wurzeln mit ihren freien Enden sich aufzurollen. Vergleichende Versuche Uber die elek- tromotorische Wirksamkeit derselben würden dann sehr misslich sein, wenn die von ihnen zu erhallenden Ströme von so gerin- ger Stärke wären, wie der Querschnitt dieser zarten Fäden und die geringe Länge der abgeleiteten Strecke erwarten lassen ; allein glücklicherweise sind die Ströme der Wurzeln verhält- nissmässig ausserordentlich mächtig, wie bereits duBois (Unters. Bd. II. pag. 255.) angiebt. Bei Wiederholung der du Bois’schen Versuche zur Demonstration des doppelsinnigen Leitungsvermö- gens der Nerven hatte ich früher schon mit Erstaunen bemerkt, dass normale Nervenwurzeln an meinen» Multiplicator unter den genannten Verhältnissen der Einschaltung constant Ausschläge von 50 — 70° und eine dauernde Ablenkung von 20—32° geben. Dasselbe lehrten mich einige Parallelversuche mit den Wurzeln unvergifteter Thiere bei der vorliegenden Untersuchung. Eine vordere Wurzel gab z. B. einen Ausschlag von 52°, eine andere von 78°, eine hintere Wurzel 56°, eine andere 64°; beim Teta- Math. phys. CI. 185!). 18 OTTO Fl!\KE, nisiren derselben ging die Nadel stets in die Nähe desNullpunk- tes der Theilung zurück, doch habe ich sie bei den freilich nicht zahlreichen Versuchen mit gesunden Wurzeln denselben nie überschreiten gesehen. Da die zarten Wurzeln ausserordentlich rasch vertrocknen und dadurch unwirksam und unerregbar wer- den, habe ich bei allen folgenden Versuchen mit dem Telanisiren nie solange gewartet, bis die Nadel vollständig zur Ruhe gekom- men war, sondern die Reizung stets in dem Moment begonnen, in welchem die Nadel nach ihrem zweiten Rückschwung eben zum dritten Male vorwärts zu gehen anfing. Da sie in diesem Zeitpunkt immer nur wenige Grade von ihrem Ruhepunkt ent- fernt ist, wie ich mich direct überzeugt habe, ihr Rückschwung bei der negativen Schwankung aber stets sehr beträchtlich aus- fiel, glaube ich mit diesem Verfahren keinen Fehler begangen zu haben. In der folgenden Tabelle, in welcher die Resultate der nach Urarivergiftung an den vordem und hintern Wurzeln an- gestellten Muitiplicatorversuche zusammengestellt sind, habe ich statt der dauernden Ablenkung neben den ersten Ausschlägen auch noch die zweiten notirt, da auch diese den Graden der dauernden Ablenkung sehr nahe stehen. Die Rezeichnungen sind dieselben wie in der ersten Tabelle. s 1% S ~a m .5 a> > Bezeichnung der Wurzeln. fcß u Sä « W p < Zweiter I Ausschlag. ! Negative Schwankung. Zeit nach der i Vergiftung. Bemerkungen. III. a. Hintere W. + 75° + 52° + '10° 20' Ausschi. n. d. Telan. +30° b. Vordere W. + 44° + 28° — 10° 25' „ „ ,, +24° c. + 70° + 44° — 30° 30' „ ,, „ +42° V. a. + 85° + 56° + 8° 22' m ii ji ii +40° Zweite neg. Schw. + 0° b. „ ,, — — + 30° 28' Erst nach dem Beginn der Reizung eingeschaltet. c. )} + 72° + 30° - 4» 32' Ausschi. n. d. Tetan. 4-35° d. Hintere W. + H + 60° —13° 35' „ +32° e. f. Vordere W. Hintere W. L. u. L. Q. u. L. + 72° + 12° + 36° + 29° -28° 0° 41' 44' 45' IV. a. Hintere W. + 54° + 35° -14° 45' Ausschi. n. d. Telan. 4-21° b. Vordere W. + 68° + 50° -18° 50' „ „ „ ,, +38° Der Querschnitt löste sich während des Vorganges d. Nadel vom Bausche ab. c. Hintere W. + 46° 55' Tabelle III. (Urari.) WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 19 — TA V JS 11 § - 1 Bezeichnung der Wurzeln. Erster Ausschlag. Zweiter Ausschlag. 1 Negative Schwankung. Zeit nach der Vergiftung. Bemerkungen. d. Vordere W. + 70° + 40° -66° 1h Ausschi. n. d.Tetan. +60° e. Hintere W. + 80° + 50° 4- 2° 1h 5' .. ,, ,, +26° g. ? W. + 35° — — 1h20' I Beide Wurzeln hatten ? W. + 24° — — 1 >'22' j lange Zeit blosgelegen. VI. a. Vordere W. + 82° 4-40° -29° 55' Ausschi. n. d. Tetan. +32° b. Hintere W. + 45° + 29° — 24° 1h 1' VII. a. Vordere W. + 59° + 38° — 9° 3b38' Ausschi. n. d. Tetan. +34° dies. Q.u.Q. 4- 3° — — 3h 40' b. Hintere W. 4.440 4-26° -16° 3h42' c. Vordere W. + 66° + 54° — 38° 3h 46' d. Hintere W. + H + 63° 4- 3° 3h 51' VIII. a. Vordere W. 4-70° 4-38° -36° 231' 43' Ausschi. n. d.Tetan. +26° b. Vordere VV. + 64° + 44° — 296 23h 46' „ „ ,, +37° Das eingeschaltete Ende war das centrale. c. Hintere W. 4-62° 4-42° —14° 23h50' Ausschi. n. d.Tetan. +14° d. | „ + H + 67° 4- 6° 24h53' >1 >> II n -t-46° e. Vordere W. + 68° + 35° + 22° 24h 21' ,, „ „ ,, +30° Zweite negat. Schw. -1- 4° Ehe ich zur nähern Betrachtung dieser Versuchsdata über- gehe, will ich noch die Ergebnisse eines Versuchs Uber den Elektrotonus vorderer und hinterer Wurzeln bei vergifteten Frö- schen zusammenstellen. Tabelle IY. (Urari.) j= 1 p Bezeichnung der Wurzel. Strom des ruheudeu Nerv. Elektrotonus. Zeit ~5 t“ S P o -r Erster [Dauern- Aus- de Ab- schlag. | lenkg. + Phase. Phase. Ver- giftung. Bemerkungen. Xll.a. Hintere W. — + 40° + 27° + 24° + 0° 181» 10' Gleich in der negat Phase d. Elektrolo- nus aufge- b. Vordere W. + 50° + 28° + 40° + 23° 18h 17' legt. Aus diesen Zahlen geht mit Sicherheit hervor, dass auch die Nerven wurzeln ihre elektromotorische Wirk- samkeit nach U r n ri v ergi ft u n g nicht verlieren, im 20 OTTO FUNKE, Gegentheil dieselbe eher gesteigert erscheint, zweitens, dass kein Unterschied in der Wirksamkeit vordererund hinterer Nervenwurzeln wahrnehmbar ist; beide zeigen selbst 24 Stunden nach der Vergiftung noch denselben starken Strom , dieselbe mächtige Stromschwankung uf Reize. Was die negative Stromschwankung insbesondere betrifft, so begegnen wir auch hier bei den Wurzeln wie bei den Stämmen einer beträchtlicheren Grösse derselben als im Normalzustand, in der Regel negative Ausschläge, während auch hier Vers. V.b. den beweis liefert, dass nicht etwa eine Umkehr des Stromes stattfindet. Endlich geht aus den beiden in Tabelle IV. mitge- theilten Versuchen unzweifelhaft hervor, dass auch die Phasen des Elektrotonus nach der Urari Vergiftung an den Nerven wur- zeln noch zur Erscheinung kommen. Fassen wir nun die Ergebnisse aller vorstehenden anUrari- nerven angestellten Versuche zusammen , so geht zunächst aus denselben als unzweifelhafteThatsache hervor, dass das Pfeil- gift die elektromotorische Wirksamkeit der moto- rischen wie der sensibeln Nervenfasern nicht be- einträchtigt, im Gegentheil, wo nicht die Stromentwicklung in der Ruhe, doch die Beweglichkeit der elektromotorischen Ele- mente , deren Resultat die negative Schwankung des Stromes auf Reizung des Nerven ist, zu erhöhen scheint. Dies ist die einfache Uebersetzung der Zahlen in Worte. Es fragt sich, wel- che physiologischen Antworten lassen sich aus dieser Thatsache für die wichtigen Fragen, deren Entscheidung wir vom Multipli— cator gehofft haben, ableiten? Meines Erachtens bleibt nur zweierlei übrig: entweder man muss die wohlbegründeten Sätze, dass die elektromotorische Kraft nur dem leistungsfähi- gen Nerven angehört, und die negative Stromschwankung das charakteristische Merkmal des thätigen Zustandes des Nerven ist, ohne Weiteres als nicht stichhaltig über den Haufen werfen, oder man muss zugeben, dass das Pfeilgift auf die moto- rischen Nervenfasern in ihrem Verlauf vom Muskel bis zum Mark ebensowenig eine 1 ähmende Wi rkung ausübt, als auf die sensibeln Fasern. Der erstere Schluss wäre eine völlig grundlose Behauptung, der zweite ist nach meiner Ueberzeugung eine Nothwendigkeit. Seine Stützen sind ausser den Aussagen derMultiplicatornadel die schon a priori geltend gemachte Thatsache, dass die sensibeln Nervenfasern WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 21 unzweifelhaft vom Pfeilgift nicht alterirt werden, und für mich wenigstens jene oben ausführlich referirte zufällige Beobach- tung, welche die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der motori- schen Nervenfasern trotz 1 Sstündiger Berührung mit dem Gift meines Erachtens sicherer beweist, als Kölliker’s Amputations- versuch sie widerlegt. Fragen wir nun weiter, wie die Annahme, dass das Urari die motorischen Nerven nicht lähmt, mit der Thal- sache, dass dieselben auf die Muskeln nicht mehr zu wirken vermögen, vereinbar ist, so lässt sich eine direct erweisbare Er- klärung nicht abgeben; wir müssen zu Vermuthungen greifen und diese sind ziemlich dehnbar, lassen sich sowohl für als gegen die Muskelreizbarkeit wenden. Es lässt sich denken, dass das Gift ausschliesslich die letzten Enden der motorischen Ner- venfasern im Muskel tödtet, und daran die weitere Folgerung von der Muskelirritabilität knüpfen. Gegen diese Vermuthung spricht besonders die Thatsache, dass die ebenso zarten mark- losen Anfänge der motorischen Fasern im Mark nicht gelähmt werden. Es lässt sich aber, wie schon in der Einleitung ange- deutet wurde, auch vermuthen, dass die Nervenfaser als solche nirgends, weder innerhalb noch ausserhalb des Muskels gelähmt wird, wohl aber ein Apparat ausser Wirksamkeit gesetzt wird, welcher in den Verlauf der Fasern dicht vor ihren letzten En- den, welche wahrscheinlich innerhalb der Primitivbündel zu suchen sind, eingeschoben ist. Denken wir uns beispielsweise, dass die motorische Nervenfaser, ehe sie in ihre letzten Enden ausläuft, eine Ganglienzeile durchsetzt, in ähnlicher Weise, wie die Fasern des Opticus in der Belina und dass diese Ganglien- zelle durch das Gift auf irgend eine Weise so alterirt wird, dass sie die Erregungsbewegung der Nervenfaser nicht mehr durch sich hindurch zu den letzten auf die Muskelsubstanz selbst wir- kenden Enden passiren lässt, so erklärt sich ebensowohl die Erfolglosigkeit der Beizung der Stämme, als die Zuckung auf directe Beizung der Muskeln, d. h. jener letzten in ihren Primi- tivbündeln eingeschlossenen Nervenenden. Ein weiteres Ein- gehen in diese Vermuthungen wäre unnütz, da sich vorläufig kein Weg erspähen lässt , auf welchem die eine oder die andere zur Gewissheit erhoben werden könnte. Für mich hat die zweite Vermuthung einen weit hohem Grad von Wahrscheinlichkeit, da der Mulliplicator mir bestimmt beweist, dass die motorischen Nervenfasern in ihrem ganzen Verlauf, soweit sie der directen OTTO FUNKE, Untersuchung zugänglich sind, durch Urari nicht gelähmt wer- den , kann ich mich nicht entschlossen an eine Lähmung der- selben innerhalb des Muskels zu glauben, und betrachte das Fortbestehen der Muskelzuckung auf directe Reizung weit eher als einen beweis für die Erhaltung der Erregbarkeit der letzten Nervenenden, als für die Existenz der Muskelreizbarkeit. Jeden- falls muss ich auf Grund meiner Versuche entschieden gegen die A n n a h m e protest iren, dass durch das Pfeilgift ein gültiger Beweis für die Existenz der Muskelirri- tabilität bereits geliefert sei. Das überraschende Verhalten der Nerven nach Urari ver- giftung am Multiplicator musste mich natürlich veranlassen, auch nach der Einwirkung einiger anderer Gifte, deren Angriffspunkte in den Nerven gesucht wer- den, die elektromotorische Wirksamkeit derselben genauer zu untersuchen. Ich wünschte namentlich zu er- fahren, ob es im Gegensatz zum Urari wirklich ein Nervengift gebe, dessen Wirkung die Nervenfasern selbst trifft, und sie daher auch ihrer elektromotorischen Kraft beraubt. Die kleinen Mengen, welche bei allen diesen Giften zur Hervorbringung der vollen Wirkung genügen, machen es a priori ebenso unwahr- scheinlich, wie beim Urari, dass ihr Wirkungsgebiet ein so aus- gedehntes, ihre wirksamen Theilchen einer solchen Verdünnung fähig seien, dass sie sich über die Summe aller Nervenfasern eines Körpers in seinem ganzen Verlauf ergiessen könnten. Für die meisten dieser Gifte ist übrigens erwiesen und anerkannt, dass nicht die peripherischen Nerven, sondern die Centralorgane des Nervensystems, oder vielmehr nur gewisse Classen von Ap- paraten in denselben, oder auch die peripherischen Endapparate der Nerven, wie die Muskeln, die Objecte der directen Giftwir- kung sind , während die Nervenfasern gar nicht oder nur indi— rect, z.B. durch Ueberreizung, in ihrer Leistungsfähigkeit beein- trächtigt werden sollen. Bringt ein Gift wirklichen allgemeinen Tod hervor, so versteht sich das secundäre Absterben allerNerven von selbst, bei Säugethieren ist dies der regelmässige Fall, weit seltner erfolgt Tod als unmittelbare Giftwirkung bei den Frö- schen, und in den meisten Füllen ist es unmöglich, beim Frosche den Moment zu bestimmen , in welchem wirklicher Tod eintritt, oder überhaupt zu entscheiden, ob der Frosch todt ist oder nicht. Sicher darf man einen Frosch, solange das Herz noch schlägt, WIRKUNG DES URARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. nicht als todt betrachten , womit indessen nicht gesagt ist, dass mit dem Stillstand des Herzens augenblicklich der Tod eintrete. Ich beschränke mich auf die .Mittheilung weniger Versuche, wobei sich von selbst versteht, dass die nicht ausführlich be- richteten nicht etwa entgegengesetzte oder nur zweideutige Re- sultate geliefert haben. Zunächst wendete ich mich an das Coniin, für welches Kölliker erwiesen hat, dass es im Wesen seinerWirkung mit dem Pfeilgift Ubereinstimmt. Einem Frosch wurde, um sicher das Maximum der Wirkung zu erzielen eine beträchtliche Dosis Co- niin unter die Rückenhaut gebracht, die Erscheinungen der Ver- giftung stellten sich ganz in der von Kölliker beschriebenen Weise ein. Am andern Tage 23 Stunden nach der Vergiftung waren nicht allein spontane Bewegungen und Reflexe gänzlich erloschen , sondern die Ischiadici reagirten auch nicht mehr auf die kräftigsten Inductionsschläge, während die Muskeln noch gut reizbar waren und das Herz noch energisch pulsirte. Der Multi— plicator gab folgende Resultate. Tabelle Y. (Coniin.) .Nummer des a Cu n er ta Versuchs. ST sc ® g.! = ‘ ° E 5' ® 2 g* 2 I CO 2 N n 2. 2 Ä ö e W. re W. e W. re W. d. sin. a 2 a : ? g o-. + + + + + Erster o CO O O GO Ausschlag-. 0 0 0 0 0 , + + + + Zweiter 1 t>© -e- -p" 00 Ü( OD oo Ausschlag. 0 0 0 0 Dauernde fc© 1 ! 1 1 oo Ablenkung. © + + + + + Negative CO Oi Schwankung. 0 0 0 0 0 fc© t© t© c© t© W w w Zeit r 3* f r nach der Üt w Oi Ü* fc© Vergiftung. « £3 -3 S CfQ p Diese Zahlen bestätigen vollkommen die Erwartung, dass die elektromotorische Wirksamkeit der Nerven, und zwar motorischer wie sensibler durch Coniin ebensowenig beeinträchtigt wird, wie durch Urari. Der einzige Unterschied gegen die mit Pfeilgift erhaltenen Resul- tate besteht in der weit geringem Grösse der negativen Schwan- kung, welche etwa ebenso ausfiel, wie an normalen Nerven unter gleichen Verhältnissen. Sehr interessant waren mir die Ergebnisse einiger mit Strychnin angestellter Versuche. Das Strychnin hat nach OTTO FUNKE, Kölliker’s Versuchen keinen directen lähmenden Einfluss auf die Nerven, weder auf die motorischen noch auf die sensibeln, aber es soll die ersleren indirect durch die Ueberreizung, welche die von ihm bedingten tetanischen Anfälle in denselben hervor- bringt, lähmen. Zwei Frösche wurden mit starken Dosen Strychnin unter die Rückenhaut vergiftet, die nächsten Erscheinungen waren die bekannten. Der eine derselben wurde 4 Stunden, der andere 18 Stunden nach der Vergiftung untersucht. Bei beiden waren die spontanen Bewegungen gänzlich erloschen, und Reflexe durch mechanische Beleidigungen nicht mehr zu erzielen ; Durch- schneidung der vorderen Wurzeln und der Stämme der Ischia- dici erregte ausserordentlich schwache Zuckungen in den Extre- mitäten. Ebenso erfolgte auf elektrische Reizung der Ischiadici selbst bei gänzlich übereinander geschobenen Rollen des Schlit- tenapparates nur eine einfache schwache Zuckung, kein Tetanus, bei Wiederholung der Reizung blieb aber selbst die Zuckung aus ; die Muskeln dagegen geriethen auf directe Reizung in kräf- tigen anhaltenden Tetanus. Das Herz schlug in beiden Fällen noch ungestört fort. Die Untersuchung am Multiplicator gab fol- gende Resultate. XV. a. b. c. d. e. f. g. h. XVII. a. b. c. d. e. f. Nummer des Versuchs. Hintere W. Vordere W. Vordere W. Hintere W. Hintere W. Hintere W. Vordere W. Ischiad. dext. Hintere W. Vordere W. Hintere W. Vordere W. Rückenmark Q. u. L. 5 Mm. Ischiad. sin. Bezeichnung des Nerven. ++ ++++++++++++ m hm t-r* >-r< O _h Oi © © © © © © Erster Ausschlag. + +++++++++ | | 0)00)05| CO OCOOOO cn GO CO © oooo ooooo Zweiter Ausschlag. +1 ll++++lll+++ 1 | ül Ü? | | w tt ■*■ 00 GO tö o oooo ©oo Dauernde Ablenkung. + +++++++II — 1 K> 1 1 1 -»■ OO o tö O Ifl to Ci CO Ci © © © o © © © o © © ! Negative Schwankung. OOOO a>CCG0004>4>-P'*'-6'^*'4f' cot® ■**00 CJ^o^oüctecoücooo Zeit nach der Vergiftung. > > > S ec 8 ** "* o ** ** S S ar B . S 2 S S 2 3 r- S s o. c- H H H 2. © © p p s + + + + + + + ■ CO M *. CS M » *. 1 >*• S .p- 9 9 ■ OC o 05 Zeit nach der Vergiftung. • Bemerkungen. Aus diesen Zahlen geht evident hervor, dass nach Blau- säur evergiftung motorische und sensible Nerven ihre elektromotorische Wirksamkeit einbUssen. Sobald die Nervenstärnme auf Reizung nicht mehr mit Muskel- zuckung antworten, zeigen sie auch am Multiplieator nur WIRKUNG DES UUARI UND EINIGER ANDERER GIFTE. 29 schwache Reste des Nervenstroms, oder erscheinen ganz un- wirksam ; selbst wenn sie aber in der Ruhe noch schwache Aus- schläge geben, lässt sich durch Reizung keine Spur einer negativen Stromschwankung mehr hervorrufen. Es fragt sich nur, ist diese unzweideutige Lähmung der Nerven Folge einer direclen Einwirkung der Riausäure auf die peripherischen Fasern im Verlauf, oder ist sie nur secundäre Folge des einge- tretenen allgemeinen Todes, welcher durch die zeitige Uerzläh- mung bedingt wird? Die Frage dürfte schwer mit Sicherheit zu entscheiden sein, indessen sprechen die Ergebnisse der Kolli— ker’schen Versuche, in welchen er in Riausäure eingetauchtc Nerven weit rascher absterben sah , als in indifferenter Salzlö- sung, für eine directe Einwirkung der Riausäure auf dieselben. Nach der vollständigen Lähmung der Nervenstämme durch Riau- säure verlieren auch die Muskeln die Fähigkeit auf directe Reize zu reagiren, was sich bei meiner festen Ueberzeugung von der Nichtexistenz der Muskelirritabilität aus dem Umstand erklärt, dass auch die letzten Enden der motorischen Nerven wie die Stämme der Einwirkung des Giftes unterliegen; wahrscheinlich aber auch gleichzeitig die Muskelsubstanz selbst so verändert wird, dass sie dem Anstoss der erregten Nervenenden, wenn derselbe auch erfolgte, nicht mehr gehorchen würden.